Die Komposition In the realms of the unreal, Ende 2009 entstanden, ist – nach Akroate Hadal (1995) und Settori (1999) – Olga Neuwirths dritte Auseinandersetzung mit der Gattung Streichquartett. Mit dem Werktitel setzt die Komponistin dem zurückgezogen als Hausmeister lebenden amerikanischen Künstler Henry Darger (1892-1973) ein Denkmal, dessen über 15.000 Seiten umfassendes und mit mehreren hundert Zeichnungen und Aquarellen illustriertes Buchmanuskript The Story of the Vivian Girls, in What is known as the Realms of the Unreal, of the Glandeco-Angelinnian War Storm, Caused by the Child Slave Rebellion erst nach seinem Tode entdeckt wurde. Der Verweis auf die von Ideen überquellende literarische Schöpfung liefert – metaphorisch gedeutet – einen Anhaltspunkt für das zentrale Charakteristikum von Neuwirths Musik: die ständigen, mitunter stark kontrastierenden Wechsel von Texturen unterschiedlichen Ausdrucks und Charakters, aus denen die Komposition zusammengesetzt ist. Ausgangspunkt des Quartetts ist ein laut angestimmtes und lang gehaltenes, engräumiges Vierteltoncluster im Bereich der eingestrichenen Oktave, das um die Tonhöhe a’ gelagert ist; ihm folgt nach einer Pause ein ähnliches, rhythmisch und dynamisch anders ausgearbeitetes Cluster mit Zentrum g’. Mit diesen eng aufeinander bezogenen Klangsituationen ist ein Moment beschrieben, das in mehr oder weniger stark abgewandelter Form im Werkverlauf immer wiederkehrt und auch in einer auf den Zusammenklang a-g erweiterten, mit perkussivem Pizzicato artikulierten Gestalt das Stück beschliesst. Vermittelt über die in Tonhöhen übersetzten Namensinitialen A und G versteckt sich darin ein Hinweis auf den «in memoriam»-Charakter von Neuwirths Werk, den die Komponistin zudem mit der Bemerkung «in loving memory of Alfreda Gallowitsch» ausdrücklich benennt. Wie eine Art Erinnerungszeichen durchzieht diese Tonhöhenkonstellation daher die Texturen des Streichquartetts, welche die teils unerwarteten Wendungen immer wieder an eine konkreten Klanggestalt zurückbindet und über diese zugleich die musikalische Gedankenfülle kontrolliert.