• Werk-Details
  • Clarinet and String Quartet (1983)

Morton Feldman 1926-1987

Die angenehme Nachricht vorweg: Wer Morton Feldmans 2. Streichquartett von 1983 kennt oder davon gehört hat, wird sich erschreckt fragen, ob das Klarinettenquartett aus dem gleichen Jahr ebenfalls vier bis sechs Stunden dauern wird. (Diese Angaben kann man lesen; die Universal Edition gibt 3,5 bis 5,5 Stunden an.) Keine Angst! Clarinet and String Quartet – so der Originaltitel (Feldman benennt viele Werke nach Besetzung) – dauert laut UE–Angaben 45 Minuten. Der in New York geborene Feldman, 1944 Schüler von Stefan Wolpe, fand den Weg zu einem eigenständigen Stil, nachdem er 1950 John Cage kennen gelernt hatte. Inspiriert wurde er auch durch moderne Maler (Rothko, Pollock, Rauschenberg etc.); eines seiner Hauptwerke heisst Rothko Chapel. Meist stellen die langsamen und leisen (Kammermusik-)Werke die Klangfarbe ins Zentrum. Für die frühen Werke ab 1950/51 verwendete er eine graphische Notationsweise, die er 1969 aufgab, da sie dem Interpreten zu viel Freiheiten liess. Damals begann er, vermehrt auf typische Instrumenteneigenschaften zu achten, wie dies auch im heute aufgeführten Werk der Fall ist. Typisch für Feldmans Arbeit war die Reduktion des kompositorischen wie instrumentalen Materials. Seine Musik will nichts ausdrücken: Sie ist das Gegenteil der deutschen Romantik und vermeidet jede Empfindungsäußerung. Die musikalische Entwicklung ist weitgehend ausser Kraft gesetzt. Man hat seine Musik manchmal als Meditationsmusik verstehen wollen oder sie in die Nähe der Minimal Music gerückt. Das war aber nicht Feldmans Absicht. Seine Musik will nichts anderes sein als Musik, die gehört werden soll – l’art pour l’art ohne weitere Absichten. So bleibt vieles geheimnisvoll, mag es auch absichtsvoll geplant sein. Ein typisches Beispiel bietet das aufgeführte Werk: Vier Klarinettentöne, je zwei in aufsteigenden Halbtonschritten, Ces – C – A – B, bilden das Grundmaterial. Da wird jeder Musikkenner gleich sagen, das sei doch der Krebs von B-A-C-H. Doch Feldman schreibt ausdrücklich Ces und nicht H. Warum? Es bleibt sein Geheimnis. Handkehrum schreibt er der Klarinette den Wechsel von Ces und H vor. Die Tonfolge wird rhythmisch variiert und transformiert – alles im leisesten Bereich bei langsamem Tempo. Dem Cello notiert Feldman die Tonfolge variiert so: H – Deses – Gisis – Ais, was nicht leicht spielbar ist. Im temperierten System ist das natürlich wieder die Ausgangstonfolge. Da sie anders phrasiert und in der Spielweise des Flageoletts erscheint, finden wir hier eine dieser feinen Varianten, auf welche Feldman so grossen Wert legt. «Die Gleichzeitigkeit des Gleichen und doch nicht genau Gleichen: So entsteht eine irisierende Doppeldeutigkeit, ein Schwebezustand zwischen Identität und Differenz. Nichts ist bei Feldman so einfach, wie es scheint.» So erklärt der Musikwissenschaftler Peter Niklas Wilson diese Technik. Der Schlussteil des Werks weist «weitausgreifende Klarinettenfiguren in durchlaufenden Achteln», später auch in Sechzehnteln auf, die wie «traditionelles Klarinettenlaufwerk» wirken könnten. Dazu meint Wilson: «Vom Instrumentalen her ist Feldmans Schreibweise für die Klarinette ‚klassischer‘ als die brahmssche. [...] Und wenn man weiß, dass der Einzelgänger Feldman ein sehr genauer Kenner des klassischen Repertoires war, mag man sogar so weit gehen, die rhythmischen und metrischen Mehrdeutigkeiten des Stücks als Hommage à Brahms zu lesen, dessen Klarinettenquintett mit derartigen Finessen gespickt ist.» Natürlich meidet Feldman direkte Bezüge. Er stellt auch die Klarinette mehr dem Streichquartett gegenüber als sie zu integrieren, wie dies Mozart und Brahms tun. Dies rechtfertigt den Titel, der eben nicht «Klarinettenquintett» lautet.