Mit Pavel Haas begegnen wir nicht nur einem Zeitgenossen Schulhoffs, sondern einem, dem ein noch schlimmeres Schicksal widerfahren ist. Er wurde als Sohn eines jüdischen Schuhmachers in Brno (Brünn) geboren. Seit 1913 hatte er Unterricht in der Musikschule und begann zu komponieren. 1917 wurde er als Soldat in die k.u.k. Armee eingezogen, Er konnte zwar in Brünn bleiben, doch erst 1919 am von Leoš Janáček neu gegründeten Brünner Konservatorium die musikalische Ausbildung fortsetzen. Von 1920 bis 1922 studierte er in Janáčeks Meisterklasse. Er gilt als dessen bedeutendster Schüler. Danach komponierte er, u. a. Bühnenmusiken für das Brünner Theater. Nach Janáčeks Tod wurde er dessen Nachfolger als Vorsitzender des Mährischen Komponistenverbands. Der Einmarsch der deutschen Truppen im März 1939 hatte ein Berufsverbot und das Verbot seiner Musik zur Folge. Am 2. Dezember 1941 wurde er ins KZ Theresienstadt deportiert. Hier komponierte er, angeregt vom Pianisten Gideon Klein, nur noch selten. Von acht Kompositionen blieben nur drei erhalten. Am 16. Oktober 1944 wurde er nach Auschwitz verbracht, wo er, wohl am 18., mit vielen anderen vergast wurde. Seine Musik blieb vergessen und wurde erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts wiederentdeckt. In unseren Konzerten wurde das 2. Streichquartett 1997 und das Bläserquintett 1998 aufgeführt.
Das 3. Streichquartett op. 15 (1937/1938) ist sein erstes Werk, das Spuren dieser düsteren Zeit in sich trägt. Haas verwendet im Quartett motivische Figuren, die den St. Wenzels-Choral zitieren. Die Verwendung des patriotischen Chorals in Verbindung mit jüdischen Elementen wie melodischen Wendungen, die Haas von hebräischen Gesängen ableitete, spiegelt den eigenen Standort des Komponisten wider. Ganz besonders das Finale mit seiner Doppelfuge ist eine grossartige kompositorische Leistung.
Felix Mendelssohn Bartholdys Opus 44 umfasst drei Streichquartette, die 1837/38 wohl in der Reihenfolge 2, 3 und 1 entstanden sind – zehn Jahre nach den beiden ersten gültigen Quartetten op. 13 und 12. Op. 44/1 hat er im April 1838 in Leipzig begonnen und am 24. Juli in Berlin beendet. Vor der Drucklegung hat er alle drei nochmals überarbeitet; erschienen sind sie 1839 mit einer Widmung an den schwedischen Kronprinzen. Wie oft bildet das letzte Werk eines Zyklus die Synthese der vorangehenden Stücke und ist ausgeglichener, konziser in Form und Ausdruck. Dies gilt auch hier. Das D-dur Quartett wird als das eleganteste, brillanteste und virtuoseste, aber auch als das ausgeglichen regelmässigste beurteilt. Am 16. Februar 1839 wurde es in Leipzig von Mitgliedern des Gewandhausorchesters uraufgeführt; Primgeiger war der Konzertmeister Ferdinand David, ein Freund Mendelssohns.
Gleich am Beginn des Kopfsatzes, der Mendelssohn «über die Massen» gefiel, tritt der Charakter im schwungvollen Einsatz der 1. Violine mit dem ersten Thema hervor. Auch später führt die Primgeige häufig, so dass man das Quartett auch ein verkapptes Violinkonzert genannt hat. Das Menuett mit einem pastoralen Thema wirkt altertümlich; der Komponist hat von «Rococogeschmack» gesprochen. Im Trio brilliert wieder die 1. Violine. Das elegische Andante erinnert an ein Lied ohne Worte; hier kommt die zweite Geige stärker zum Zug. Das Finale kehrt durch seinen Impetus und seine Spielfreude das virtuos Brillante noch stärker hervor als der Kopfsatz.