Botond Kostyak, Kontrabass stammt aus Klausenburg und studierte in Bukarest. Er ist Solo-Kontrabassist im Orchestre National de Lyon und unterrichtet an der Hochschule für Musik Basel sowie am Konservatorium Wien.
Alexei Lubimov, Klavier studierte ab 1963 in Moskau bei Heinrich Neuhaus. Früh erregte er mit Musik vom Barock (in historischer Aufführungspraxis) bis zu Zeitgenössischem Aufsehen. 1987 begann seine internationale Karriere, die ihn seither mit den bedeutendsten Künstlern zusammenbringt und in die grossen Konzertsäle und zu wichtigen Festivals führt. Neben der Tätigkeit als Solist pflegt er intensiv die Kammermusik. Es liegen von ihm über 30 CD-Einspielungen vor. Viele Jahre war er Professor am Mozarteum Salzburg; heute unterrichtet er am Moskauer Konservatorium.
Beinahe 200 Jahre russischer Kammermusik
Die auf dem Programm stehenden Komponisten umspannen knapp zwei Jahrhunderte russischer Musik, also die gesamte Epoche eigentlicher national-russischer Musik. Michail Glinka gilt als ihr Begründer, und mit Pavel Karmanov steht ein aktiver jüngerer zeitgenössischer Komponist auf dem Programm. Alle gelten sie nicht als eigentliche Kammermusikkomponisten oder sind, jedenfalls bei uns, (noch) nicht als solche bekannt, ebensowenig der fünfte Russe, der latent im Programm präsent ist: Igor Stravinski. Am 6. April 1971 ist er knapp 89jährig in New York gestorben. Das Londoner Musikmagazin Tempo forderte daraufhin Komponisten auf, Werke zu seinem Andenken zu schreiben und dafür seinen Doppelkanon in memoriam Raoul Dufy (1959) zum Vorbild zu nehmen. Neben Berio, Boulez, Carter und Denissow tat dies auch Alfred Schnittke. Der in Engels an der Wolga geborene jüdische Komponist deutsch-russischer Abstammung ist mit vier Streichquartetten und weiteren Werken (Sonaten, Streichtrio, Klavierquartett und -quintett etc.) wohl derjenige der genannten Komponisten, der am ehesten als Kammermusiker Geltung hat. Beim Kanon «handelt es sich um eine kleine Komposition von strengem und traurigem Charakter. Sein konstruktiver Kern ist eine absteigende, vom Grundton g ausgehende diatonische Melodie, die in verschiedenen Varianten wiederholt wird. Hier bedient sich der Komponist der Technik kanonischer Unisono-Imitationen bei freier rhythmischer Gestaltung. Die asynchrone Führung des Themas in den vier Instrumenten erzeugt ein instabiles, schwankendes Klanggewebe.» So S. Rasorjonow nach der Uraufführung durch das Borodin Quartett 1971 in Moskau. «Kanonische Unisono-Imitation» ist ein von Schnittke verwendeter Begriff.
Den Spätromantiker Rimski-Korsakov aus der Provinz Novgorod kennt man als Opernkomponisten und als genialen Orchestrator, als der er sich auch in seinen sinfonischen Dichtungen (Scheherazade, Capriccio espagnol, Russische Ostern etc.) erwies. Seine Opernbearbeitungen, etwa von Mussorgskis Boris Godunow, werden heute abgelehnt. Als Lehrer von Stravinski, Prokofiev oder Respighi – irgendwo müssen die das Raffinement für ihre Orchesterbehandlung ja her haben – war er bedeutend. Eigentlich aus Familientradition Marineoffizier, begann er zu komponieren; nach dem Erfolg seiner 1. Sinfonie wurde er Professor für Instrumentation und Komposition in St. Petersburg – und musste rasch noch die Regeln der Kunst lernen. Obwohl Kammermusik für ihn eine untergeordnete Rolle spielte, hat er mit der Zeit doch einige geschrieben (Streichsextett, Quintett für Bläser und Klavier, Klaviertrio, 3 Streichquartette, Beiträge zu den «Freitagabenden» Mitrofan P. Belajevs in St. Petersburg). Im gleichen Jahr 1897 wie das – angeblich unvollendete – c-moll-Klaviertrio ist das G-dur-Streichquartett entstanden, beides im Auftrag Belajevs. Die Werke blieben Manuskript, denn Rimski verbot Belajev, der ab 1886 auch Musikverleger war, die Herausgabe; sie erschienen erst 1955 im Druck. Er meinte: «Diese beiden Kompositionen überzeugten mich davon, dass Kammermusik nicht mein Gebiet ist.» Ob das stimmt, können wir heute überprüfen. Das Quartett orientiert sich in der Schreibweise an Beethoven. Die Mittelsätze zeigen Rimskis Kunst in kontrapunktischer Technik ebenso wie seinen Sinn für Melodik. Zudem fehlen Anklänge an russische Themen und orientalische Klangfarben nicht. Über weite Strecken führt tonangebend die erste Geige.
Pavel Karmanov stammt aus Sibirien. Nachdem er bereits als Kind komponiert hatte, studierte er am Moskauer Konservatorium, wo er 1995 abschloss. Seit den Studienjahren nahm er an Festivals zeitgenössischer Musik in Russland teil. Er wird häufig aufgeführt, auch bei Festivals im Ausland wie dem Warschauer Herbst oder beim Schostakowitsch Festival 2006 in Seattle/USA. Von namhaften Musikern erhielt er Aufträge – neben Yuri Bashmet auch von Alexei Lubimov. Seine Filmmusiken sind in Russland oft zu hören. Er gibt auch Konzerte als Mitglied (Flötist und Pianist) einer Moskauer Rock Band. Sein Stil ist vielfältig und reicht vom Serialismus bis zum Pseudobarock. Die russische Kritik bezeichnete ihn auch schon als «Romantiker im Kleid eines Minimalisten». Wie Minimalmusic klingt auch das neue Werk, das Karmanov im Auftrag von CULTURESCAPE für das heutige Konzert geschrieben hat (Dauer ca. 27 Minuten). Kleine Tonfigurationen wiederholen sich und wandeln sich beinahe unbemerkt im Verlauf. Das ergibt ein faszinierendes Klanggewebe, das auf einmal in klavierlosen Passagen wie ein renaissanceähnliches Stück – Hommage an die Humanistenstadt Basel und an den Alte Musik-Spezialisten Lubimov – daherkommen kann. Danach ergeht sich das Klavier in ausgesungenen melodischen Phrasen, bevor es mit kleinteiligen Figuren Bewegung in Gang setzt, die wie die Dynamik immer stärker bis zum unheimlichen Ausbruch zunimmt. Ein Abbruch, Rückkehr der intimen, kleinen Figurationen – und ein allmähliches Ausklingen.
Als Spross einer kleinadligen Familie der Provinz Smolensk geboren, interessierte sich Michail Glinka erst mit der Zeit für Musik. Ein paar Klavierstunden nahm er beim berühmten John Field und studierte dann bei dessen Schüler Charles Mayer in St. Petersburg. Von 1830 bis 1833 lebte er aus gesundheitlichen Gründen in Italien, wo er die Kunst des Belcanto erkundete. Er gilt als der Begründer speziell der russischen Oper («Ivan Sussanin» 1836, auch als «Ein Leben für den Zaren» bekannt, und «Ruslan und Ludmilla» 1842) und bemühte sich um russische Melodik, doch glaubt man immer wieder die «italianità» eines Bellini oder Donizetti zu hören. Über deren Melodien hat er denn auch Stücke in Kammerbesetzung geschrieben. Italienische Anklänge hören wir denn auch im «Gran Sestetto», das während des Italienaufenthalts für die Tochter des Mailänder Arztes De Filippi, eine ausgezeichnete Pianistin, entstanden ist. Darum ist das Klavier bevorzugt behandelt, und die Schreibweise entspricht dem elegant-virtuosen Stil, wie ihn Glinka von der Field-Schule oder von Hummel, dem er in jungen Jahren begegnet war und dessen a-moll-Konzert er öffentlich gespielt hatte, her kannte. Der erste Satz, ein Sonatensatz, vom Klavier energico eingeleitet, wartet mit einem elegant-majestätischen Hauptthema und einem vom Cello cantabile ed affetuoso angestimmten lyrischen Seitenthema auf. In der Reprise erscheint es überraschend in C-dur. Eine reizvolle Serenadenmusik bildet das vom Klavier arpeggienselig mit einem langen Solo eingeleitete Andante; es wird von einem zigeunerhaften Intermezzo unterbrochen. Attacca schliesst mit einer Überleitung das Finale mit drei Themen an. Das erste ist rhythmisch prägnant, das dritte zeigt bereits russischen Einfluss. 1854 formulierte das Glinka dann so: «Heimweh brachte mich allmählich auf den Gedanken, russisch zu komponieren.» Kammermusik hat er nach der Rückkehr aus Italien nicht mehr komponiert.