Konzerte Saison 2008-2009

  • 31.3.2009
  • 20:15
  • 83.Saison
  • Zyklus A
Stadtcasino, Hans Huber-Saal

Hagen Quartett (Salzburg)

Die beispiellose, bald drei Jahrzehnte dauernde Karriere des Hagen Quartetts begann 1981, als es zweifach beim Kammermusikfest Lockenhaus ausgezeichnet wurde. Ein Jahr später gewannen die damals alle noch unter 20-jährigen Mitglieder Yehudi Menuhins renommierten Streichquartettwettbewerb in Portsmouth. Preise folgten in Evian, Bordeaux und Banff. Das Quartett hatte seine erste Ausbildung in seiner Heimatstadt Salzburg am Mozarteum erhalten. Lehrer und Mentoren waren später Hatto Beyerle, Heinrich Schiff, Walter Levin, Nikolaus Harnoncourt, dessen Prinzip der historisch informierten Aufführungspraxis und der „Klangrede“ sie zur Grundlage ihres Interpretationsstils machten, und Gidon Kremer, der das Quartett früh nach Lockenhaus einlud und immer wieder in seine kammermusikalischen Projekte einbezog. In der jetzigen Formation, mit Rainer Schmidt an der zweiten Geige, besteht das Hagen Quartett seit 1987. Inzwischen zählt das Hagen Quartett zu den weltweit etablierten und anerkannten Meisterquartetten. Die sorgfältig ausgewählten Einspielungen bei der Deutschen Grammophon belegen wie die Konzertprogramme das Wandlungsvermögen in den unterschiedlichsten Stilen von Isaac und Bach bis Schnittke und Kurtág. Mitglieder des Hagen Quartetts spielten in den letzten Jahren mehrfach in Claudio Abbados Lucerne Festival Orchestra mit. Sie unterrichten auch: Veronika und Clemens am Mozarteum, Rainer Schmidt seit einiger Zeit an der Musikhochschule Basel. Das Quartett ist bei uns zum siebten Mal zu Gast.
Am 19. August 1799 schrieb der englische Musikhistoriker Charles Burney (1726–1814) an Haydn: „Ich hatte das grosse Vergnügen, Ihre neuen Quartetti (Opera 76) gut aufgeführt zu hören (...); Instrumentalmusik hat mir noch nie so grosse Freude beschert; sie sind voller Erfindungsgabe, Feuer, gutem Geschmack und neuen Effekten und scheinen das Werk nicht eines sublimen Genius zu sein, der schon so viel und so gut geschrieben hat, sondern eines von höchst kultivierter Begabung, der zuvor nichts von seinem Feuer hergegeben hat.“ Über die Entstehung der letzten Sechserserie von Streichquartetten wissen wir fast nichts. Einem Brief von Haydns schwedischem Freund Silverstolpe vom 14. Juni 1797 ist einzig zu entnehmen, dass damals zumindest ein Teil der Werke vollendet war. Longman & Clementi in London brachte alle sechs in zwei Heften als op. 76 1799 (Nr. 1–3 als erster im April) und 1800 heraus, während Artaria in Wien sie im Juli bzw. Dezember 1799 mit Widmung an Graf Erdödy je zu dritt als op. 75 und 76 (vergleichbar den opp. 71 und 74) veröffentlichte. Haydn hat wieder einmal gleichzeitig die gleichen Werke mehreren Verlegern, zusätzlich auch in Paris, angeboten. Graf Erdödy scheint, wieder laut Silverstolpe, für 100 Dukaten die Rechte zwei Jahre lang für sich erhalten zu haben – das geht aber chronologisch nicht ganz auf. Das vierte Stück der Serie trägt aufgrund des Beginns in England den Beinamen „Sunrise“ (in Frankreich „L’Aurore“), weil man in der piano, ruhig und weich aufsteigenden Violinstimme über einem liegenden B-dur-Akkord der übrigen Streicher das Erscheinen und Aufsteigen der Sonne durch Dunst oder Nebel zu hören glaubte. Erst mit der Zeit steigert sich die Figur, die man kaum als Thema bezeichnen möchte, zum Fortissimo. Einen wahren Sonnenaufgang in strahlendem C-dur-fortissimo hat Haydn zu Beginn der teilweise gleichzeitig entstandenen Schöpfung komponiert. Erstaunlicherweise lässt Haydn anstelle eines zweiten Themas die gleiche Melodielinie absteigend vom Cello vortragen, diesmal unterhalb des Akkords (jetzt in F-dur). Haydn verarbeitet das Thema nicht, was zu dem eher statisch wirkenden, beinahe romantischen Klangbild passt. Auch der „chromatische Hymnus voll der ‚romantischsten’ Harmonien“ (W. Konold) des – so mehrere Musikführer – empfindungstiefen Adagios entspricht dem. Das heitere Menuett überrascht im Trio nach volksliedhaftem Beginn über einem Dudelsack-Bordun mit einer fahlen unisono gestalteten Abwärtsbewegung. Das zunächst bedächtig und rondohaft einsetzende Finale steigert in einer langen Coda das Tempo allmählich über allegro bis hin zur più presto-Stretta.

Mit Beethovens Opus 18, das im Verlauf der zu Ende gehenden Saison zu Hälfte in unseren Konzerten erklungen ist bzw. erklingt (Nr. 2/5/6), steht die Komposition von Streichquartetten im Moment des Wandels. Die Klassik eines Haydn und Mozart, die noch vor nicht allzu langer Zeit im Gewande des Rokoko dahergekommen war, stand mit Haydns op. 76 und dem 1799 geschriebenen unvollständigen op. 77 auf dem Höhepunkt, aber auch an ihrem Ende. Eine neue Klassik, die sich mit romantischen Elementen verbinden sollte, stand am Horizont. Zur gleichen Zeit arbeitete Beethoven erstmals an Streichquartetten. Zuvor oder gleichzeitig hatte er sich in erstaunlicher Weise fast allen Kammermusikgattungen gewidmet. Jetzt war die Zeit reif, fühlte er sich reif für die Komposition und Veröffentlichung von Quartetten; kurz danach sollte die 1. Sinfonie folgen. Natürlich wurzeln die sechs Quartette op. 18 noch im 18. Jahrhundert und berufen sich auf Haydn und Mozart. Noch einmal taucht auch jene Sechserzahl eines Opus auf, die für Haydn die Regel gewesen war. Sie zeigen aber auch die Suche nach dem eigenen Stil. Äusserlich wird dies sichtbar an der Bezeichnung des Tanzsatzes, dem Beethoven in der Form des Scherzos eine neue Dimension gibt, wenn auch nach Haydns Vorbild. Dreimal bezeichnet ihn Beethoven als Scherzo (Nr. 1/2/6), zweimal als Menuetto (Nr. 4/5), einmal gar nicht (Nr. 3; es handelt sich eher um ein Menuett). In Nr. 4 bezeichnet er ungewohnt das Andante als Scherzo. Allerdings deckt sich die Bezeichnung Scherzo nicht mit der Entstehungsreihenfolge (Nr. 3/1/2/5/4/6). Den Schritt zum damals modernen Streichquartett verdeutlicht Beethovens Revision der ersten drei Stücke im Jahre 1800. Wenn wir sein Verhalten und die Äusserung nach dieser Revision gegenüber Karl Amenda, dem er das Quartett Nr. 1 zunächst gewidmet hat ("Dein Quartett gieb ja nicht weiter, weil ich es sehr umgeändert habe, indem ich erst jetzt recht Quartetten zu schreiben weiss."), richtig interpretieren, dürfen wir die Quartette Nr. 4 bis 6 als den entscheidenden Schritt vom Quartett des späten 18. zu dem des frühen 19. Jahrhunderts ansehen. Beethoven empfand offenbar von der ersten zur zweiten Dreiergruppe einen qualitativen Fortschritt, der ihn nötigte, die ersten drei Werke dem neuen Standard anzugleichen. Für das A-dur-Quartett hat sich Beethoven allerdings bis in die Satzbezeichnungen hinein an Mozarts KV 464 in der gleichen Tonart orientiert (bei diesem lauten die Sätze Allegro – Menuetto – Andante – Allegro); das Finale hat er eigenhändig kopiert. Beide Male steht das Menuett an zweiter Stelle, beide Male ist der langsame Satz ein Variationen-Andante, welches das Herzstück des Werks bildet. Aber man darf nicht von Nachahmung sprechen. Was Beethoven in diesem hellsten seiner Quartette mit allen Anklängen, übrigens auch an eigene Werke, macht, ist auch die Entwicklung einer neuen, eigenen Tonsprache.

Mendelssohns Streichquartett Nr. 2 von 1827 ist eigentlich seine Nummer 1 (bzw. bleibt die Nr. 2, wenn man das erst 1879 veröffentlichte Es-dur-Quartett von 1823 mitzählen will). Einzig die spätere Veröffentlichung (1830) hat ihm im Vergleich mit dem 1829 entstandenen op. 12 die Nummer 2 und die höhere Opuszahl eingetragen (ähnlich wie bei Beethovens Klavierkonzerten Nr. 1 und 2). Nehmen wir das Werk als das, was es ist: Mendelssohns erstes vollgültiges Quartett. Der damals achtzehnjährige Komponist schuf damit eine originelle und auf der Höhe der Zeit stehende Komposition, vielleicht sogar sein bestes Werk bisher. Mendelssohn orientiert sich am Modernsten seiner Zeit, an den späten Quartetten Beethovens, die in dessen Todesjahr 1827 zumindest teilweise als schwierig galten. Kurz zuvor hatte er – noch vor der Berliner Erstaufführung – das op. 132 kennen gelernt. Die Anlehnung geschieht nicht als Kopie und ist verknüpft mit viel Eigenem. Dazu gehört etwa das Intermezzo, das weder als Menuett noch als Scherzo daherkommt, sondern liedhaft, allerdings im Trioteil in den typischen „Elfenstil“ umschlagend. Neuartig ist auch, wie Mendelssohn das Einleitungs-Adagio einsetzt: Er greift auf ein Lied „Frage“ („Ist es wahr?“ op. 9/1) desselben Jahres zurück und stellt es mottoartig nicht nur an den Beginn des Werks, sondern auch an dessen Schluss. So erreicht er eine damals höchst moderne zyklische Geschlossenheit.

rs

Joseph Haydn 1732-1809

Streichquartett Nr. 78, B-dur, op. 76, Nr. 4, Hob. III:78 «The sunrise» (1797)
Allegro con spirito
Adagio
Menuetto: Allegro
Finale. Allegro ma non troppo

Ludwig van Beethoven 1770-1827

Streichquartett Nr. 5, A-dur, op. 18, Nr. 5 (1798/99)
Allegro
Menuetto
Andante cantabile
Allegro

Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847

Streichquartett Nr. 2, a-moll, op. 13 (1827)
Adagio – Allegro vivace
Adagio non lento
Intermezzo: Allegretto con moto – Allegro di molto
Presto – Adagio non lento