Mit Beethovens Opus 18, das im Verlauf der zu Ende gehenden Saison zu Hälfte in unseren Konzerten erklungen ist bzw. erklingt (Nr. 2/5/6), steht die Komposition von Streichquartetten im Moment des Wandels. Die Klassik eines Haydn und Mozart, die noch vor nicht allzu langer Zeit im Gewande des Rokoko dahergekommen war, stand mit Haydns op. 76 und dem 1799 geschriebenen unvollständigen op. 77 auf dem Höhepunkt, aber auch an ihrem Ende. Eine neue Klassik, die sich mit romantischen Elementen verbinden sollte, stand am Horizont. Zur gleichen Zeit arbeitete Beethoven erstmals an Streichquartetten. Zuvor oder gleichzeitig hatte er sich in erstaunlicher Weise fast allen Kammermusikgattungen gewidmet. Jetzt war die Zeit reif, fühlte er sich reif für die Komposition und Veröffentlichung von Quartetten; kurz danach sollte die 1. Sinfonie folgen. Natürlich wurzeln die sechs Quartette op. 18 noch im 18. Jahrhundert und berufen sich auf Haydn und Mozart. Noch einmal taucht auch jene Sechserzahl eines Opus auf, die für Haydn die Regel gewesen war. Sie zeigen aber auch die Suche nach dem eigenen Stil. Äusserlich wird dies sichtbar an der Bezeichnung des Tanzsatzes, dem Beethoven in der Form des Scherzos eine neue Dimension gibt, wenn auch nach Haydns Vorbild. Dreimal bezeichnet ihn Beethoven als Scherzo (Nr. 1/2/6), zweimal als Menuetto (Nr. 4/5), einmal gar nicht (Nr. 3; es handelt sich eher um ein Menuett). In Nr. 4 bezeichnet er ungewohnt das Andante als Scherzo. Allerdings deckt sich die Bezeichnung Scherzo nicht mit der Entstehungsreihenfolge (Nr. 3/1/2/5/4/6). Den Schritt zum damals modernen Streichquartett verdeutlicht Beethovens Revision der ersten drei Stücke im Jahre 1800. Wenn wir sein Verhalten und die Äusserung nach dieser Revision gegenüber Karl Amenda, dem er das Quartett Nr. 1 zunächst gewidmet hat ("Dein Quartett gieb ja nicht weiter, weil ich es sehr umgeändert habe, indem ich erst jetzt recht Quartetten zu schreiben weiss."), richtig interpretieren, dürfen wir die Quartette Nr. 4 bis 6 als den entscheidenden Schritt vom Quartett des späten 18. zu dem des frühen 19. Jahrhunderts ansehen. Beethoven empfand offenbar von der ersten zur zweiten Dreiergruppe einen qualitativen Fortschritt, der ihn nötigte, die ersten drei Werke dem neuen Standard anzugleichen. Für das A-dur-Quartett hat sich Beethoven allerdings bis in die Satzbezeichnungen hinein an Mozarts KV 464 in der gleichen Tonart orientiert (bei diesem lauten die Sätze Allegro – Menuetto – Andante – Allegro); das Finale hat er eigenhändig kopiert. Beide Male steht das Menuett an zweiter Stelle, beide Male ist der langsame Satz ein Variationen-Andante, welches das Herzstück des Werks bildet. Aber man darf nicht von Nachahmung sprechen. Was Beethoven in diesem hellsten seiner Quartette mit allen Anklängen, übrigens auch an eigene Werke, macht, ist auch die Entwicklung einer neuen, eigenen Tonsprache.
Mendelssohns Streichquartett Nr. 2 von 1827 ist eigentlich seine Nummer 1 (bzw. bleibt die Nr. 2, wenn man das erst 1879 veröffentlichte Es-dur-Quartett von 1823 mitzählen will). Einzig die spätere Veröffentlichung (1830) hat ihm im Vergleich mit dem 1829 entstandenen op. 12 die Nummer 2 und die höhere Opuszahl eingetragen (ähnlich wie bei Beethovens Klavierkonzerten Nr. 1 und 2). Nehmen wir das Werk als das, was es ist: Mendelssohns erstes vollgültiges Quartett. Der damals achtzehnjährige Komponist schuf damit eine originelle und auf der Höhe der Zeit stehende Komposition, vielleicht sogar sein bestes Werk bisher. Mendelssohn orientiert sich am Modernsten seiner Zeit, an den späten Quartetten Beethovens, die in dessen Todesjahr 1827 zumindest teilweise als schwierig galten. Kurz zuvor hatte er – noch vor der Berliner Erstaufführung – das op. 132 kennen gelernt. Die Anlehnung geschieht nicht als Kopie und ist verknüpft mit viel Eigenem. Dazu gehört etwa das Intermezzo, das weder als Menuett noch als Scherzo daherkommt, sondern liedhaft, allerdings im Trioteil in den typischen „Elfenstil“ umschlagend. Neuartig ist auch, wie Mendelssohn das Einleitungs-Adagio einsetzt: Er greift auf ein Lied „Frage“ („Ist es wahr?“ op. 9/1) desselben Jahres zurück und stellt es mottoartig nicht nur an den Beginn des Werks, sondern auch an dessen Schluss. So erreicht er eine damals höchst moderne zyklische Geschlossenheit.
rs