Elliott Carter, einer der grössten modernen Komponisten der USA, wird – fast auf den Tag Altersgenosse von Olivier Messiaen – in wenigen Tagen, am 11. Dezember 2008, seinen 100. Geburtstag feiern. Er hat nicht durch spektakuläre, die Publizität suchende Auftritte auf sich aufmerksam gemacht, sondern durch seine gediegene, sorgfältige, aber nichtsdestoweniger lebendige Musiksprache. Er will – bei aller Radikalität – nicht aufbegehren, sondern kommunizieren. Er sucht die «fokussierte Freiheit» des Diskurses, nicht die Konfrontation. Nach den Nr. 1, 4 und 5 kommt heute in unseren Konzerten das 2. Stück zum Zuge. Es ist vor beinahe 50 Jahren entstanden und steht genau in der Lebensmitte Carters. 1960 wurde es vom Juilliard String Quartet uraufgeführt und erhielt in den Folgejahren drei Preise (Pulitzer, New York Music Critics Award, UNESCO). Es handelt sich also um ein reifes Werk. Bereits das 1. Quartett von 1951 wurde als Meilenstein der amerikanischen Musik angesehen. In der Zwischenzeit hatte Carter ein dreijährige Schaffenspause eingelegt. Das 2. Quartett zeigt noch stärker die Verfeinerung der musikalischen Ausdrucksmittel. Nicht Themen stehen im Vordergrund, sondern die Ausdrucksmittel der einzelnen Instrumente, denen jeweils eigene, in ihrer Beziehung zueinander genau definierte Intervalle und ein eigenes typisches Verhalten zugewiesen werden, während sich das Quartett als ganzes mit dem Verhältnis der vier Stimmen zueinander auseinandersetzt. Die 1. Violine gibt sich virtuos, selbstbewusst und phantastisch, während Carter die Spielweise der zweiten mit «laconic, orderly...sometimes humorous» bezeichnet. Die Bratsche spielt ausdrucksvoll klagend, das Cello impulsiv, was sich in Accelerandi und Ritardandi äussert. Die Dichte dieser Elemente nimmt im Verlauf des Werks immer mehr zu, bis im letzten Satz das Cello mit seinem Accelerando die Mitspieler zum Höhepunkt führt. Das Quartett ist letztlich klassisch viersätzig, ergänzt durch Einleitung und Schluss sowie überleitende Kadenzen zwischen den eigentlichen Sätzen. Die sorgfältige Planung und Ausarbeitung des Werks erkennt man daran, dass 2000 Seiten Skizzen vorliegen, während die Partitur selbst 62 Seiten umfasst.
Die beiden Quartette op. 51 von Brahms sind nicht aus dem Nichts entstanden, habe er doch zuvor, so die Äusserung einem Freund gegenüber, «bereits über 20 Quartette komponiert». 1853, also mit zwanzig Jahren, hatte er geplant, sein Opus 1 – wie es sich lange Zeit gehört hatte – für ein Quartett in h-moll vorzusehen, wies die Opuszahl dann aber einem Werk für sein eigenes Instrument zu, der 1. Klaviersonate. 20 Jahre später, inzwischen doppelt so alt, scheint er sein 2. Quartett dem Geiger und Freund Joseph Joachim zugedacht zu haben. Zuletzt ging aber die Widmung beider Quartette op. 51, nicht zuletzt wegen einer schweren Verstimmung mit Joachim, an den Chirurgen Theodor Billroth, was – wie Brahms sich ausdrückt – angesichts der «Zangengeburt» sinnvoll scheint. Skizzen zum op. 51 gehen bis in die 1860er Jahre zurück. Schwankte das c-moll-Quartett zwischen Dramatik (1. und 4. Satz) und Melancholie und Nachdenklichkeit (2. und 3. Satz), so gibt sich das a-moll-Werk dazu beinahe komplementär – und doch sind beide in der Konzeption eng verwandt. Es wirkt gelöster, heller, im Gesamten lyrischer, aber all das bei höchster Polyphonie und intensiver motivischer Arbeit. Sie beginnt nicht erst in der Durchführung, sondern bereits in der Exposition. Diese Ableitungs- und Variationstechnik bei Brahms, der bei den Neudeutschen und Modernen als reaktionär galt, hat später Schönberg veranlasst, gerade die beiden Quartette op. 51 zum Ausgangspunkt seiner Theorie über die «entwickelnde Variation» und Brahms zu einem Modernen («Brahms the Progressive») zu machen. Der Kopfsatz des a-moll-Quartetts beginnt mit einem Motiv (a-f-a-e), dessen Noten 2 bis 4 wörtlich das berühmte Motto Joachims F – A – E («Frei, aber einsam») zitieren – wohl ein Hinweis auf die ursprünglich geplante Widmung. (Brahms war 1853 an der Komposition der F-A-E-Sonate zu Ehren Joachims mit dem Scherzo beteiligt gewesen.) Das Andante in A-dur, im bewegteren Mittelteil mit scharfen Akzenten in fis-moll, erscheint äusserlich als dreiteilige Liedform, ist aber im Detail viel komplizierter gestaltet. In den Rahmenteilen dominiert das Lyrisch-Liedhafte. Obwohl Brahms in seiner Jugend ein Meister der Scherzo-Komposition war, verzichtet er je länger je mehr auf diesen Typus. Das Minuetto – schon die altmodische Bezeichnung überrascht – soll piano, mezza voce gespielt werden. Es wird von einem lebhafteren Intermezzo (Allegretto vivace in A-dur) abgelöst, das seinerseits durch einen sechstaktigen Doppelkanon über einem vom Cello gespielten Orgelpunkt auf E unterbrochen wird. Das Finale im Dreivierteltakt, ein Sonatensatz mit zwei gegensätzlichen Themen, die man als ungarisch bzw. ländlerhaft-wienerisch charakterisiert hat, wirkt tänzerisch, insbesondere in der umfangreichen Coda. Sie lässt das Werk, nachdem sich zunächst alles in Dur aufzulösen schien, wieder in die Haupttonart a-moll zurückfinden (più vivace). Ein ruhiges Innehalten davor lässt noch einmal das F-A-E-Motiv, jetzt im Akkord, aufklingen.
rs