Der in Engels an der Wolga geborene Deutschrusse Schnittke lernte jung in Wien die Musik des Westens kennen; gestorben ist er im Westen, in Hamburg, wo er zuletzt lebte. Bekannt ist Schnittkes Vorliebe für barocke und klassische Formen (man denke an MozArt à la Haydn oder Concerto grosso). Sie ist auch im siebenminütigen Kanon bedeutungsvoll. Die Komposition ist als Threnos auf Strawinsky (+ 6. April 1971) streng und traurig gehalten. Den konstruktiven Kern bildet eine absteigende, vom Grundton g ausgehende diatonische Melodie, die in Varianten wiederholt wird.
Sciarrino, gebürtiger Palermitaner, ist in Basel kaum bekannt. Im «südlichen» Luzern hingegen ist er präsent: Uraufführung seiner Oper Luci mie traditrici 1999, Aufführung von Macbeth in dieser Saison (Premiere 27. März 2004); und auch Freiburg hat seinen Sciarrino im Programm. Sciarrino darf heute ruhig einer der Grossen der neuen Musik genannt werden, obwohl oder vielleicht gerade weil er seine Musik von der alten seriellen Darmstädter Schule abwandte und als mediterraner Mensch mehr auf Klang als auf intellektuell-strukturelle Philosophie setzte. Als Autodidakt bewahrte er sich diese Freiheit: «Ich musste...mir den Umgang mit den Instrumenten mit Hilfe einer unberührten Hand und eines jungfräulichen Ohrs auf der Grundlage des Experiments zwischen Primitivismus, Ordnung und Futurismus erfinden.» Vielleicht ist dies das Geheimnis seiner Wirkung, die in letzter Zeit neben Werken für fast alle Musikgattungen vor allem in seinen Bühnenwerken zum Ausdruck kam.
Auch Fedele stammt aus Süditalien, aus der Barockstadt Lecce. Er studierte in Mailand und Rom (bei Franco Donatoni). Seit 1977 hat er ein umfangreiches Oeuvre in fast allen Gattungen (inkl. elektroakustischer Musik) vorgelegt, darunter nicht wenig Kammermusik in den verschiedensten Besetzungen. Er wird europaweit von bedeutenden Orchestern, Dirigenten und Ensembles aufgeführt. Fedele sagt über sein 3. Quartett: «Târ, was im Indo-Iranischen soviel wie Faden bedeutet, repräsentiert die Quintessenz einer langen «Reise», die ich vor zehn Jahren angetreten habe. Auf diesem Weg haben mich die Beachtung des Psycho-Akustischen als Vorstellung von Klang und Rekonstruktion von Form und folglich die Aufmerksamkeit auf das Richtungsweisende der Form (im Sinne einer kompositorischen Weiterführung, die Bedeutung schafft) zu der übergreifenden Konzeption des «Theaters der Erinnerung» geführt – verstanden als den Ort, an dem die Form «ihre Form annimmt». Dieses dritte Quartett unterteilt sich, obwohl als einsätziges Werk von zwanzig Minuten komponiert, in vier größere sich überschneidende Abschnitte. Der erste und dritte dieser Abschnitte sind vorherrschenderweise ekstatisch im Charakter: Abstrakte Melodiefragmente erklingen im dialektischen Austausch der Instrumente, mal schnell, mal vereinzelt, in einen harmonischen Plan eingewebt, der den Klang in «enge» oder gegensätzlich «weite» Gruppierungen anordnet – fast wie eine Metapher für das Atmen, ausladend geweitet und auf intime Weise verengt. Im zweiten und vierten Abschnitt des Werkes dagegen ist die nicht nachlassende und zuweilen ungebändigte Dynamik der Motor, der die Musik zu explosiven Beschleunigungen führt, dadurch gleichsam «Asche» produzierend, aus der neuen Ansammlungsprozesse, vulkanischen Ausbrüchen ähnlich, entstehen.»
Ligeti, Sohn ungarisch-jüdischer Eltern, feierte am 28. Mai seinen 80. Geburtstag, Anlass für Rückblicke auf sein umfangreiches und wichtiges Oeuvre, aber auch auf sein Denken. Nach Studien in Cluj und Budapest (bei Sándor Veress, Ferenc Farkas u.a.) war er 1956 nach Wien emigriert und wirkte später in Köln, Darmstadt und Hamburg. Noch vor seiner Emigration war ein erstes Streichquartett «Métamorphoses nocturnes» entstanden (1953/54). Das 1969 in Baden-Baden vom LaSalle Quartet uraufgeführte 2. Streichquartett ist eine Auseinandersetzung mit grossen Vorbildern – Ligeti selbst nennt etwa Beethoven (op. 130/132), Mozart (KV 465), Bartók (Nr. 4 und 5) und Bergs Lyrische Suite (in der Tat erinnern die fünf Sätze an Bartók, die Satzbezeichnungen an Berg), ohne dass man Zitate oder gar Kopien erwarten dürfte. Es ist zugleich eines der Hauptwerke der neueren Quartettliteratur. Gemäss Ligetis Aussage, sind die Sätze «unterirdisch miteinander verbunden, es gibt geheime Korrespondenzen, fast Reime, ... alle fünf Sätze sind sozusagen gleichzeitig anwesend». So kommt auch in diesem so sehr auf Variation der Klangfarben und Bewegungsmuster ausgerichteten Stück das Prinzip der Metamorphose zum Zuge. Metamorphosen sind auch die Umformungen, wie sie der Scherzotypus (ein maschinelles Pizzicato-Stück mit präzis-mechanischer Polyrhythmik als 3. und der «in übertriebener Hast, wie verrückt» zu spielende 4. Satz mit seinen unheimlichen Gegensätzen) erfährt. Das Werk, das mit einer Generalpause von 8 bis 10 Sekunden (!) aus der Stille heraus begonnen hatte, findet am Schluss des 5. Satzes zu dieser Stille zurück.
Xenakis wurde als Sohn griechischer Eltern im rumänischen Braila geboren. Er studierte in Athen Architektur. Der im Kampf gegen den Faschismus schwer verwundete Widerstandskämpfer fand 1947 in Frankreich Asyl und wurde in den fünfziger Jahren Mitarbeiter im Atelier von Le Corbusier. Obwohl er eine ganze Reihe eigener Bauten konzipierte, ist er vor allem als Komponist bekannt geworden. Architekt (grafische Skizzen als Ursprung der Partituren) und Mathematiker (Computerberechnungen zufälliger Reihen) blieb er auch beim Komponieren. Sein erster grosser Erfolg war 1955 die Aufführung des Orchesterstücks Metastasis in Donaueschingen. Aus der Folgezeit stammt die erste Quartettkomposition ST/4–1,080262 (1955–1962), für die Xenakis sich (am 8.2.1962!) einer Computer-Berechnung nach stochastischem (darum «ST»), d.h. von der Wahrscheinlichkeit bestimmtem Zufallsprinzip, bediente; «4» steht für die vier Instrumente. Über zwanzig Jahre später folgte das dem Arditti Quartet gewidmete Quartett Tetras. Auch hier besagt der Titel mit der Anspielung auf das griechische Wort für «vier» «Quartett». Das hochvirtuose Stück ist in neun Unterabteilungen gegliedert. Es «stellt wilde kommunikative Verschlingungen, das Ineinander herber Gesten der vier Protagonisten vor» (R. Schulz).
rs