Knappe dreissig Minuten höchster Expressivität und Unmittelbarkeit in sechs Sätzen mit einem Umfang von zwei bis knapp zehn Minuten bietet Rihms 3. Streichquartett. Schwankend zwischen Verinnerlichung mit kaum Hörbarem bis zu Eruptionen der Bewegung und der Lautstärke (am Ende des 4. Satzes soll die 1. Violine morendo in ffff spielen!), zwischen Sanglichkeit und Schroffheit ziehen sechs Sätze am Zuhörer vorüber. Vor dem Schlusssatz, dem umfangreichsten des Werks, ist ein geräuschhaftes Zwischenspiel quasi niente eingeschoben. Dem Zuhörer und der Zuhörerin ist es überlassen, mit diesen Klängen Verbindungen herzustellen oder über den Titel „Im Innersten“ nachzudenken. Sind es „Intime Briefe“ wie bei Janáček oder in Bergs „Lyrischer Suite“, zu der man neben der Sechssätzigkeit Verbindungen in der „Formulierung innerer Prozesse“ festgestellt hat? Rihm hält wenig von der Erklärung seiner Werke: Die einzigen Einführungen, die für die Musik etwas bewirken (im positiven wie im negativen Sinn), sind die Ohren der Hörer. Aus purer Freiheitsliebe plädiere ich für äusserst unterschiedliche Ohren. An jedem Kopf sollten mindestens zwei völlig verschiedene Zugänge zu mindestens zwei völlig verschiedenen Hörweisen installiert sein.
1847 war Mendelssohns Schicksalsjahr. Am 14. Mai war seine geliebte Schwester gestorben, am 4. November sollte er ihr nachfolgen. Das f-moll-Quartett, das wichtigste Werk dieser Zeit, darf als eine Art Requiem für Fanny gelten, eine Klage um die Schwester. Das Werk ist, bei Mendelssohn eine Seltenheit, autobiografisch zu verstehen. Es ist aus einem Guss, und schon allein das sollte auf die enorme Qualität des Stücks aufmerksam machen. Die Mendelssohn oft vorgeworfene oberflächlich-klangschöne Unverbindlichkeit ist hier wie weggefegt. Schroffe Klänge gleich im ersten Satz lassen das Aufwühlende erfahren und schlagen um in Klage. Und wenn dann noch Fragmente eines Lieblingsmotivs Fannys aufscheinen, so wird erst recht klar, wem diese Klage gilt. Der Kritiker der letzten Aufführung in unseren Konzerten vor dreizehn Jahren zeigte sich (mit Recht) erstaunt, „dass dieses herrliche Spätwerk eines Frühvollendeten nicht häufiger auf den Programmen erscheint“.
rs