Eine alte Regel der Programmgestaltung besagt, man solle keine reinen Mozartprogramme, erst recht nicht mit Quartetten, bilden. Man kann sich fragen, wer solche Regeln aufgestellt hat und warum. An der Qualität der Werke kann es nicht liegen. Es muss sich um ein Musikverständnis handeln - wohl um ein spätromantisches -, nach dem reine Klassik zu viel des Guten (Wahren, Schönen?) ist, und wohl um die Vorstellung, dass - bei aller Bewunderung für Mozart - die Errungenschaften der jeweiligen Moderne (der romantischen genauso gut wie der dodekaphonen) zu kurz kämen. Die neuere Musik sei über die Reinheit und Ebenmässigkeit Mozarts hinausgelangt, und diese klassische Schönheit könne auf Dauer Langeweile auslösen. Hörten wir uns regelmässig nur Mozart an, so ergäbe dies in der Tat ein falsches Bild, sowohl von uns selbst wie von Mozart. Aber an einem Abend sich auf drei seiner Meisterwerke zu konzentrieren, sie nicht an Werken anderer Epochen, sondern an ihnen selbst und an unserem Verständnis dieser Musik zu messen, das kann nur Gewinn bringen.
Natürlich ist es unmöglich, uns in die Situation jener Privataufführung im Frühjahr 1785 zurückzuversetzen, in der Mozart die sechs Quartette Haydn zur Ehre zur Aufführung brachte und nach der Haydn Leopold Mozart gegenüber die berühmten Worte sprach: «Ich sage Ihnen vor Gott, als ein ehrlicher Mann, Ihr Sohn ist der grösste Componist, den ich von Person und dem Namen nach kenne; er hat Geschmack, und überdies die grösste Compositionswissenschaft.» Versuchen wir gleichwohl, der damaligen Modernität Mozarts etwas näherzukommen. Mozart hatte ja Haydns op. 33, das Epochenwerk der Streichquartettentwicklung wenn nicht zum Vorbild, so doch als Massstab genommen - und an ihnen gelernt. Worin liegen nun Mozarts Neuerungen gegenüber Haydn?
Im oft als «Frühlingsquartett» bezeichneten G-dur-Werk sind es konstruktive Elemente, so die konsequente Anwendung des Sonatensatzes in allen vier Sätzen - ja, auch im Menuett. Gerade dieser Satz wird, äusserlich an der Dauer erkennbar, aufgewertet, hier etwa durch zwei Themen mit melodischer Umkehrung in der Durchführung. Der langsame Satz in C-dur weist zwar keine Durchführung, wohl aber Durchführungselemente auf. Im Finale verbindet Mozart Fuge und Sonatensatz, also kontrapunktische und homophone Elemente. Auffällig für Mozarts neuartige Verarbeitungstechnik ist der Kopfsatz: Statt wie Haydn die Themen in kleinste Motive aufzulösen, setzt er auf die Auflösung vertikal geprägter Harmonik und Akkordspannungen in die melodische Horizontale.
Das d-moll-Quartett weist im typisch mozartschem Mollcharakter voller Erregung und in dunkler Klangsprache - wozu im Kopfsatz Intervallsprünge und herbe Dissonanzen treten - Neuartiges auf. Im Menuett kontrastiert die dunkle Färbung mit dem heiteren Serenadenton des Trios. Das Variationen-Finale greift sowohl im Siciliano-Rhythmus wie in der Melodik unüberhörbar auf Haydn selbst zurück: auf seine Finalvariationen in op. 33/5, werden aber harmonisch und modulatorisch neu gedeutet.
Am ehesten auf Haydns Spuren bewegt sich trotz einer fast spröden Wendung nach innen das Quartett in Es-dur, doch auch hier geht die Harmonik eigene Wege, insbesondere im Andante - bis hin zu einer Vorwegnahme des Tristanakkords. Am nächsten ist Haydn im Finale mit dem den Hörer immer wieder überraschenden geringen Abweichen vom Erwarteten und einer gehörigen Portion Virtuosität.
rs