Nun gelangt in dieser Saison auch das dritte der grossen späten Quartette
Beethovens zur Aufführung. Die drei Opera 132, 130 (inkl. op. 133) und 131 – dies die Entstehungsreihenfolge – weisen einige Besonderheiten und Gemeinsamkeiten auf. Als einzige Beethovenquartette gehen sie mit fünf, sechs resp. sieben Sätzen über die Viersätzigkeit hinaus. Zudem sind sie durch Motivverwandtschaft, die von einer Keimzelle aus vier Tönen in zwei gegenläufigen Halbtonschritten (dis – e / c – h) ausgeht, verbunden. Das mag beim Hören unbemerkt bleiben, doch zeigt die Analyse die geheime Klammer auf. Im cis-moll-Quartett tritt das Motiv zu Beginn der Fuge in den Tönen zwei bis fünf (his – cis / a – gis) auf. Hatte die Originalfassung des op. 130 mit einer Fuge geendet (so am 19.10.1999 zu hören), so beginnt op. 131 ebenfalls mit einer solchen, wenn sie auch keine „Grosse“ und keine so schwierige ist. Einheitlich geschlossen wirkt das „wohl Schwermütigste, was je in Tönen ausgesagt worden ist“, wie sich Richard Wagner ausgedrückt hat. Der 2. Satz im 6/8-Takt übernimmt den Oktavsprung vom Ende der Fuge einen Halbton höher, der improvisationsartig wirkende 3. Satz reduziert ihn auf die Quinte. Mit nur elf Takten, von denen die letzten vier Adagio zu spielen sind, bildet er die Überleitung zum Werkzentrum, der umfangreichen tiefgründigen Variationenfolge. Der fünfteilige 5. Satz ist ein Scherzo mit Trio im Schema ABABA. Nach der teilweise sul ponticello zu spielenden Coda geht erattacca in ein 28-taktiges Adagio über. Es ist zwar selbständig gehalten, bildet aber eine Art langsame Einleitung zum Finale. Hier ist am Beginn mit den Tönen gis – a / cis – his wieder das Grundmotiv fassbar. Mit drei heftigen fortissimo-Akkorden endet das komplexeste der Beethoven-Quartette.
Daneben kann ausser Schostakowitsch, der Beethovens Quartettkomplexität im 20. Jahrhundert weitergeführt, ja neu geschaffen hat, nur ein Werk stehen, mag es auch bereits in dieser Saison erklungen sein: die „Grosse Fuge“. Wer hat die Grenzen seiner Zeit so ausgeschritten und die Form tantôt libre, tantôt recherchée ausgelotet wie Beethoven in diesem Stück? Es ist eines der erstaunlichsten Werke in jeder Zeit und darum immer modern – ein würdiger Abschluss einer Saison, die trotz angeblichem Jahrtausendwechsel mehr dem Barock und der Klassik gewidmet war als der Moderne.
Schostakowitschs zweitletztes Quartett entstand nach der 15., der letzten Sinfonie und ist dem Cellisten des Beethoven-Quartetts, Sergej Schirinskij gewidmet. (Das Quartett hatte mit Ausnahme des ersten alle bisherigen Quartette Schostakowitschs uraufgeführt.) Das Cello dominiert denn auch in allen drei Sätzen. So stellt es gleich ab dem zweiten Takt des Kopfsatzes (Sonatensatz) – nach drei Bratschentönen, die in einen Orgelpunkt münden – das thematische Material vor. Dieses erste Thema ist von einer etwas künstlichen Heiterkeit, wogegen die zweite Idee, wiederum vom Cello vorgetragen, leidenschaftlicher wirkt. Ihre Verarbeitung leitet über zum Adagio in d-moll. Attacca schliesst das Finale an, in dem das thematische Material in Fragmente aufgelöst wird. Langsam verebbend geht der Satz in ein Adagio über, in dem das Cello die Arie der Katerina Ismailova (aus Schostakowitschs Oper Lady Macbeth von Mzensk) „Serjozha [Verkleinerungsform von Sergej, des Vornamens des Widmungsträgers], mein lieber Freund...“ anklingen lässt. Kurz darauf starb Schirinskij – das 15. Quartett (1974) mit seinen sechs Adagios wird das Requiem für ihn werden.
rs