Das Arditti Quartet geniesst weltweit einen herausragenden Ruf für seine lebendige und differenzierte Interpretation von Kompositionen der Gegenwart und des 20. Jahrhunderts. Seit seiner Gründung 1974 durch den Geiger Irvine Arditti sind mehrere hundert Streichquartette für das Ensemble komponiert worden. Viele dieser Werke sind aus dem Repertoire der zeitgenössischen Musik nicht mehr wegzudenken und geben dem Quartett einen festen Platz in der Musikgeschichte. Die Bandbreite seines Repertoires beweisen Uraufführungen von Komponisten wie Thomas Adès, Georges Aperghis, Harrison Birtwistle, John Cage, Elliott Carter, Hugues Dufourt, Pascal Dusapin, Brian Ferneyhough, Luca Francesconi, Ashley Fure, Sofia Gubaidulina, Jonathan Harvey, Toshio Hosokawa, Mauricio Kagel, György Kurtág, Helmut Lachenmann, György Ligeti, Conlon Nancarrow, Younghi Pagh-Paan, Wolfgang Rihm, Giacinto Scelsi, Salvatore Sciarrino, Karlheinz Stockhausen, Jennifer Walshe oder Iannis Xenakis. Das Ensemble sucht bei der Erarbeitung von Werken einen engen Austausch mit den Komponisten, da dies seiner Überzeugung nach wesentlich für die Interpretation moderner Musik ist. In Meisterkursen für junge Interpreten und Komponisten engagieren sich die vier Spieler weltweit als Pädagogen. Die Diskografie des Arditti Quartets umfasst über 200 CDs. Allein bei Montaigne Naïve sind mehr als 40 Aufnahmen erschienen, die zahlreiche zeitgenössische Komponisten porträtieren und erstmals die Streichquartette der Zweiten Wiener Schule in Gesamtheit präsentieren. Viele Werke wurden in Anwesenheit der Komponisten eingespielt, wie zum Beispiel die Quartette Luciano Berios. Auch legendäre Ereignisse der jüngsten Musikgeschichte wie Stockhausens spektakuläres Helikopter-Quartett wurden vom Ensemble auf CD festgehalten. Im Laufe der letzten 40 Jahre erhielt das Arditti Quartet zahlreiche Preise, darunter mehrfach den Deutschen Schallplattenpreis. 1999 wurde ihm der Ernst-von-Siemens-Musikpreis für sein musikalisches Lebenswerk verliehen. 2004 verlieh ihm die Académie Charles Cros den «Coup de Cœur» für seinen «Beitrag zur Verbreitung der Musik unserer Zeit». Für die Einspielung von Werken Elliot Carters (1999), Harrison Birtwistles (2002) und Pascal Dusapins (2018) gewann es dreimal den Gramophone Award für die «beste Aufnahme zeitgenössischer Musik». Das Archiv des Arditti Quartets befindet sich in der Paul-Sacher-Stiftung in Basel.
Das Streichquartett op. 3 ist das letzte Werk, das Alban Berg während seines 1910 beendeten Studiums bei Schönberg und unter dessen Aufsicht – „direkt von Schönberg empfangen“ nannte es Berg – komponiert hat. Er widmete es Helene Nahowski, die gegen den Willen ihrer Familie bald darauf seine Frau werden sollte. Die Uraufführung fand am 24. April 1911 in Wien durch ein ad hoc-Quartett statt. Den Durchbruch sollte das Werk aber erst nach der Aufführung vom 2. August 1923 durch das Havemann-Quartett vor versammelter Kritik beim Salzburger Kammermusikfest erlangen. Weitere offenbar sehr erfolgreiche Aufführungen folgten. Dies veranlasste Berg 1924 wohl auch zur Revision des Werks für die Universal Edition. Die beiden Sätze sind im Tempo angeglichen, etwa gleich lang und im Material eng verwandt. Noch 1935 hat Berg daran gedacht, einen kurzen Mittelsatz einzuschieben, um die beiden (zu) ähnlichen Sätze zu trennen. Sie beginnen beide mit einer heftigen Geste der 2. bzw. der 1. Violine. Die Themen, welche zudem alle untereinander motivisch verbunden und verwandt sind, machen es einem nicht leicht, beim Hören der Satzform zu folgen, obwohl es sich um einen Sonatensatz und um ein Sonatenrondo handelt. (Wie wichtig strenge Formen für Berg waren, zeigen seine anderen Werke, etwa Wozzeck.) Die Themen selber verschleifen diese Formen für das Ohr geradezu, zumal sie intensiv verarbeitet werden. So ist für den Hörer ohne Partitur ein vor allem rhythmisch auffälliges Motiv viel leichter verfolgbar, das gleich am Beginn pianissimo in Bratsche und Cello auftaucht. Eindrücklich sind Klanglichkeit und Farbigkeit des Stücks; Berg fordert mit genauen Vortragsvorschriften dafür mannigfache Spieltechniken. Dass ihm neben den expressiven Ausbrüchen durchaus auch der Wohlklang wichtig war, zeigt er im Brief an seine Frau nach der erwähnten Salzburger Aufführung: „Es war künstlerisch der schönste Abend meines Lebens. (...) Trotz meiner grossen Aufregung (...) schwelgte ich in dem Wohlklang und der feierlichen Süsse und Schwärmerei dieser Musik. Du kannst Dir’s nach dem, was Du bisher gehört hast, nicht vorstellen. Die sogenannt wildesten und gewagtesten Stellen waren eitel Wohlklang im klassischen Sinn.“
Auftragswerk der Gesellschaft für Kammermusik mit Unterstützung des Lotteriefonds Basel-Stadt
Mit freundlicher Genehmigung der Paul Sacher-Stiftung
Der die «Luft von anderem Planeten» als erster gespürt, sie seinen Schülern vermittelt und zudem den George-Text an entscheidender Stelle vertont hat, war Schönberg. Das 2. Streichquartett ist das Werk dieses Übergangs, bei dem sich einerseits Tonartenbindung (fis-moll im Kopfsatz) und andererseits der Verzicht auf die feste Einbindung ins Tonartensystem (im 2. Satz mit dem Volksliedzitat) finden. Merkwürdigerweise ist dieses Quartett wie dasjenige Bergs, wenn auch mit vertauschten Rollen, eng mit der Beziehung zu einer Frau verbunden. Auch Schönberg bedient sich eines unüberhörbaren Zitats, und auch Zemlinsky ist beteiligt, dazu am Rande Webern. Schönberg war nicht nur Schüler Zemlinskys, der sein einziger Lehrer war, er hatte 1901 auch dessen Schwester Mathilde geheiratet. Diese hat ihn 1907 mit dem Maler Richard Gerstl betrogen und verlassen, was Schönberg in eine tiefe Krise stürzte. Es gelang zwar Webern, Mathilde und Schönberg wieder zusammenzubringen – doch da war nichts mehr wie früher. Das Zitat «O du lieber Augustin, alles ist hin...» im 2. Satz gibt dieser Stimmung Ausdruck. Neu an diesem Quartett ist der Einbezug der Singstimme. Was in der Sinfonie seit Beethoven nicht häufig, doch möglich und seit Mahler gängig geworden war, bedeutete in einem Streichquartett beinahe einen Tabubruch. Auch in den beiden «Vokalsätzen», in denen die Singstimme in den Streichersatz eingebaut ist, wird die feste Grundierung auf einer Tonart aufgehoben. Dazu kommt die in Georges Texten ausgedrückte Lösung vom Irdischen ins geradezu Mystische. Die neue Musik Schönbergs, welche damals Skandale auslöste, und die seiner Schüler musste wie «Luft von anderem Planeten» wirken: Neue Welten öffnen sich. Und so ist Schönbergs Wahl gerade dieser Texte und speziell des Gedichts «Entrückung» mehr als nur die Klage über den Verlust, wie es «Litanei» zunächst nahe legen könnte, sondern bedeutet das bewusste Verlassen gewohnter Wege und Suche nach Neuem. 1923 wird sich dies definitiv in der Kompositionstechnik «mit zwölf nur aufeinanderbezogenen Tönen» erfüllen.