Haydns Quartette op. 76 und 77, 1797 bzw. 1799, sieben und neun Jahre nach Mozarts letzten Beiträgen zur Gattung entstanden, bilden den End- und Höhepunkt der Streichquartettkomposition des 18. Jahrhunderts. Das Opus 76, die letzte Sechserserie Haydns, enthält bedeutende Stücke, ob sie nun einen Namen tragen wie das Quinten-, Kaiser- oder Sonnenaufgang-Quartett oder nicht. Die Nr. 1 ist eines der schönsten und beliebtesten, obwohl es (sieht man von der Bezeichnung Erdödy-Quartette nach dem Widmungsträger Graf Joseph Erdödy für das ganze Opus ab) beinamenlos ist. Es ist dicht und konsequent gearbeitet, und doch lockern kantable und heitere Momente die ernsthaften Partien auf. Als einziges dieser Spätwerke weist es eine – wenn auch knappe – Einleitung auf: drei Forteakkorde. Nach diesem zweitaktigen «Vorhang auf-Motiv» setzt das Thema ein, doch nicht in der ersten Violine, sondern es wird, in g-moll mit dem Cello beginnend, fugenartig auf alle Instrumente verteilt. Die Fugenform wird nicht weitergeführt; eine volkstümliche Melodie bringt ein Seitensatzthema ins Spiel, so dass doch noch ein Sonatensatz zustande kommt. Das mozartnahe Adagio in C-dur, wohl einer der schönsten langsamen Sätze Haydns, verbindet Kantabilität und konzertantes Prinzip. Das Presto-Menuett kann man als Haydns erstes Scherzo im beethovenschen Sinne bezeichnen; das Trio setzt als Kontrast auf ländlerartige, oberstimmenbetonte Volkstümlichkeit. Das Finale, ein Sonatensatz, ist das längste Finale in diesem Opus und wohl auch in Haydns ganzem Quartettschaffen. Es beginnt fortissimo und unisono düster in g-moll, nimmt dann lieblichere Formen an und endet in geradezu gassenhauerhafter Heiterkeit.
Die beiden Quartette op. 51 von Brahms sind nicht aus dem Nichts entstanden, habe er doch zuvor, so die Äusserung einem Freund gegenüber, «bereits über 20 Quartette komponiert». 1853, also mit zwanzig Jahren, hatte er geplant, sein Opus 1 – wie es sich lange Zeit gehört hatte – für ein Quartett in h-moll vorzusehen, wies die Opuszahl dann aber einem Werk für sein eigenes Instrument zu, der 1. Klaviersonate. 20 Jahre später, inzwischen doppelt so alt, scheint er sein 2. Quartett dem Geiger und Freund Joseph Joachim zugedacht zu haben. Zuletzt ging aber die Widmung beider Quartette op. 51, nicht zuletzt wegen einer schweren Verstimmung mit Joachim, an den Chirurgen Theodor Billroth, was – wie Brahms sich ausdrückt – angesichts der «Zangengeburt» sinnvoll scheint. Skizzen zum op. 51 gehen bis in die 1860er Jahre zurück. Schwankte das c-moll-Quartett zwischen Dramatik (1. und 4. Satz) und Melancholie und Nachdenklichkeit (2. und 3. Satz), so gibt sich das a-moll-Werk dazu beinahe komplementär – und doch sind beide in der Konzeption eng verwandt. Es wirkt gelöster, heller, im Gesamten lyrischer, aber all das bei höchster Polyphonie und intensiver motivischer Arbeit. Sie beginnt nicht erst in der Durchführung, sondern bereits in der Exposition. Diese Ableitungs- und Variationstechnik bei Brahms, der bei den Neudeutschen und Modernen als reaktionär galt, hat später Schönberg veranlasst, gerade die beiden Quartette op. 51 zum Ausgangspunkt seiner Theorie über die «entwickelnde Variation» und Brahms zu einem Modernen («Brahms the Progressive») zu machen. Der Kopfsatz des a-moll-Quartetts beginnt mit einem Motiv (a-f-a-e), dessen Noten 2 bis 4 wörtlich das berühmte Motto Joachims F – A – E («Frei, aber einsam») zitieren – wohl ein Hinweis auf die ursprünglich geplante Widmung. (Brahms war 1853 an der Komposition der F-A-E-Sonate zu Ehren Joachims mit dem Scherzo beteiligt gewesen.) Das Andante in A-dur, im bewegteren Mittelteil mit scharfen Akzenten in fis-moll, erscheint äusserlich als dreiteilige Liedform, ist aber im Detail viel komplizierter gestaltet. In den Rahmenteilen dominiert das Lyrisch-Liedhafte. Obwohl Brahms in seiner Jugend ein Meister der Scherzo-Komposition war, verzichtet er je länger je mehr auf diesen Typus. Das Minuetto – schon die altmodische Bezeichnung überrascht – soll piano, mezza voce gespielt werden. Es wird von einem lebhafteren Intermezzo (Allegretto vivace in A-dur) abgelöst, das seinerseits durch einen sechstaktigen Doppelkanon über einem vom Cello gespielten Orgelpunkt auf E unterbrochen wird. Das Finale im Dreivierteltakt, ein Sonatensatz mit zwei gegensätzlichen Themen, die man als ungarisch bzw. ländlerhaft-wienerisch charakterisiert hat, wirkt tänzerisch, insbesondere in der umfangreichen Coda. Sie lässt das Werk, nachdem sich zunächst alles in Dur aufzulösen schien, wieder in die Haupttonart a-moll zurückfinden (più vivace). Ein ruhiges Innehalten davor lässt noch einmal das F-A-E-Motiv, jetzt im Akkord, aufklingen.
Formal ist das erste der Rasumowski-Quartette eine Art „Variationenfolge“ über die Sonatensatzform. Der erste Satz (ursprünglich war eine Wiederholung von Durchführung und Reprise, nicht aber der Exposition geplant) verzichtet auf Wiederholungen und breitet stattdessen neben vielen thematischen Einfällen grosse, ungewohnte Steigerungen aus. Das fünfteilige scherzohafte Allegretto verbindet das Scherzoschema mit dem Sonatensatz. Als wollte Beethoven die Ungewöhnlichkeit auch dieses Satzes demonstrieren, gab er ihm nicht die Tonart F-dur, sondern B-dur, die eigentlich einem langsamen Satz zukäme. Dieser wiederum steht in f-moll und bildet erneut einen Sonatensatz. Er steht als Adagio molto e mesto in grösstem Gegensatz zum vorangehenden Scherzo und kommt mit geradezu barocken Trauerfloskeln daher. Die Tiefe dieses Satzes kann mit dem Trauermarsch der Eroica verglichen werden. Beethoven hat in die beiden ersten Quartette bekanntlich russische Melodien eingebaut, wohl zu Ehren des Auftraggebers. Was er aber daraus macht, ist erstaunlich. Aus einem volksliedhaften Klagelied der russischen Sammlung von Iwan Pratsch (1790 erstmals in St. Petersburg erschienen – Beethoven besass eine Ausgabe) wird ein Rondothema mit geradezu tänzerischer Energie – doch handelt es sich gar nicht um ein echtes Rondo, sondern wieder um einen Sonatensatz. Beethoven arbeitet mit Überraschungseffekten, indem er mit Konventionen bricht, daraus aber eine vollkommen überzeugende Neugestaltung bildet. Ein Höhepunkt des Quartetts ist sicher der Übergang vom langsamen zum Schluss-Satz: Aus einem beinahe banalen Überleitungstriller der Violinkadenz wächst das Finalthema heraus.