
Die 1532 geborene Maria Stuart war mit dem französischen König verheiratet, kehrte nach dessen Tod nach Schottland zurück und geriet in den Zwist mit dem Nachbarland England, wo ihre Cousine zweiten Grades Elisabeth I. regierte. In beiden Ländern gärte es, Komplotte und Intrigen gegen die Herrscherinnen schürten das Misstrauen. Als Maria Stuart gezwungen war, Schottland zu verlassen, machte sie den Fehler, am englischen Hof Zuflucht zu suchen. Elisabeth I. liess sie einsperren, wegen angeblicher Umsturzpläne zum Tode verurteilen und – nachdem Maria Stuart fast 20 Jahre in verschiedenen Gefängnissen verbracht hatte – köpfen.
Robert Schumann hatte eigentlich 1840, das Jahr seiner lange erkämpften Eheschliessung mit der jungen Pianistin Clara Wieck, zu seinem so genannten «Liederjahr» erklärt. 1852 kehrte er noch einmal zu der Gattung zurück – mit dem fünfteiligen Zyklus, der die Geschichte der unglücklichen Königin zusammenfasst: Der «Abschied von Frankreich» erscheint als Anstoss der dramatischen Handlung, das Lied zur Geburt ihres Sohnes gibt Hoffnung im adligen Sinne (das Geschlecht möge überleben). Leidenschaftlich und atemlos ist die Bitte an Elisabeth formuliert: Maria Stuart bezeichnet sich als «Schwester» und betont die Gemeinsamkeiten der fürstlichen Herkunft. Todesgedanken folgen im «Abschied von der Welt» und im «Gebet». Übrigens sind wahrscheinlich – was Schumann nicht wusste – nur die Vorlagen des dritten und vierten Liedes authentische Dokumente der Königin.
2021 vollendete der australische Komponist Brett Dean seine Vertonung von Maria-Stuart-Texten. Verdichtet vom Librettisten Matthew Jocelyn, vollzieht sich hier eine Spirale zunehmender Ausweglosigkeit, die Dean in einem Interview als «Psychodrama» bezeichnet hat. Grussworte an die englische Königin stehen am Beginn. In anderen Passagen geht es um Maria Stuarts Erlangung des schottischen Throns nach ihrer Rückkehr aus Frankreich und die Verleumdungen der schottischen Rebellen, die die englische Schwester bitte ignorieren möge. Es folgen Verzweiflungsschreie aus der englischen Gefangenschaft. Am Ende stehen Passagen ihres Testaments, das sie nur wenige Stunden vor ihrer Hinrichtung niederschrieb.
Die Briefe der Verzweiflung aus Schottland umrahmen einen musikalischen Liebesbrief aus Tschechien. Ähnlich wie sein ungarischer Kollege Béla Bartók unterzog Leoš Janáček die klassische Musik an der Schwelle zur Moderne einer Erneuerung durch die Volksmusik, in seinem Fall ausgehend von den mährisch-tschechischen Traditionen. Nur Monate vor seinem Tod gab der Komponist in seinem Streichquartett Nr. 2 den Gefühlen für die 38 Jahre jüngere Kamila Stösslová eine Stimme, die 1917 die Geliebte des (verheirateten) Komponisten geworden war. Was er zum Ausdruck bringen wollte, erläuterte er ihr gegenüber selbst: «Jetzt habe ich begonnen, etwas Schönes zu schreiben. Unser Leben wird darin enthalten sein. Es soll ‹Liebesbriefe› heissen. (...) Es ist meine erste Komposition, deren Töne von alle dem Liebenswürdigen durchglüht sind, was wir miteinander erlebt haben. Hinter jedem Ton stehst Du, lebhaft, nahe, strahlend vor Liebe.»
Auch abseits dieses programmatischen Hintergrunds, den Liebesschwärmereien eines 74-Jährigen, gilt das Werk als bedeutender Beitrag für die Quartettliteratur. Der Titel «Liebesbriefe» erschien Janáček nach dem nur dreiwöchigen Schaffensrausch, in dem das Stück entstand, zu persönlich. Doch er wollte auf den Untertitel nicht verzichten, den er in das aus seiner Sicht neutralere «Intime Briefe» änderte.
Oliver Buslau