Klanginsel 1
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Lukas Langlotz (*1971)
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Quattro Insegne – für Streichtrio (2009) Insegna Prima
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Robert Schumann (1810-1856)
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Streichquartett in A-Dur op. 41/3
1. Andante espressivo – Allegro molto moderato
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Rudolf Kelterborn (1931-2021)
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Streichquartett Nr. 6 in vier Sätzen (2001)
1. Satz
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Zwischenspiel 1
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David Philip Hefti (*1975)
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Mobile – Streichquartett Nr. 3 (2011)
4. Nachhall
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Klanginsel 2
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Lukas Langlotz
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Quattro Insegne – für Streichtrio Insegna Seconda
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Robert Schumann
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Streichquartett in A-Dur op. 41/3
2. Assai agitato
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Rudolf Kelterborn
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Streichquartett Nr. 6 in vier Sätzen
2. Satz
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Zwischenspiel 2
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Andrea Lorenzo Scartazzini (*1971)
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Streichquartett Nr. 1 (2017)
4. Satz
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Klanginsel 3
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Lukas Langlotz
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Quattro Insegne – für Streichtrio Insegna Terza
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Robert Schumann
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Streichquartett in A-Dur op. 41/3
3. Adagio molto
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Rudolf Kelterborn
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Streichquartett Nr. 6 in vier Sätzen
3. Satz
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Zwischenspiel 3
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David Philip Hefti
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Mobile – Streichquartett Nr. 3
1. Relief
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Klanginsel 4
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Lukas Langlotz
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Quattro Insegne – für Streichtrio Insegna Quarta
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Robert Schumann
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Streichquartett in A-Dur op. 41/3
4. Allegro molto vivace
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Rudolf Kelterborn
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Streichquartett Nr. 6 in vier Sätzen
4. Satz
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Coda
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Johann Sebastian Bach (1685-1750)
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Kunst der Fuge BWV 1080
Contrapunctus XIV (unvollendet)
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Am 24. März 2021 verstarb Rudolf Kelterborn im Alter von 89 Jahren. Als Komponist, Lehrer, Publizist und Organisator in vielfältigen Funktionen spielte er lange Jahre eine prägende Rolle im zeitgenössischen Musikleben. Zu Ehren seines Andenkens erklingen in diesem Programm zum einen Werke von Schülern Kelterborns; Andrea Lorenzo Scartazzinis Streichquartett Nr. 1, David Philip Heftis «Mobile» (Streichquartett Nr. 3) und Lukas Langlotz’ «Quattro Insegne». Für Vorbilder Kelterborns stehen andererseits Robert Schumann mit dem Streichquartett Nr. 3 in A-Dur und Johann Sebastian Bach (Contrapunctus IV aus der Kunst der Fuge). Von Kelterborn selbst ist das Streichquartett Nr. 6 zu hören.
Lukas Langlotz’ «Quattro Insegne» sind vier kurze Stücke, jedes konzentriert auf einen Gedanken. Insegna, italienisch, bedeutet Schild, auch Abzeichen. Mit Ausnahme des heftigen dritten Stückes sind die «Insegne» alle stillen, introvertierten Charakters. Das erste Stück, das mit dem Thema aus Bachs «Musikalischem Opfer» arbeitet, ist ein polyrhythmisches Gefüge mit einem Tonhöhenverlauf, der sich von den Rändern zur Mitte hin tastet. Das zweite ist in seiner Stimmung traumverloren, doch einer klaren symmetrischen Ordnung folgend, vielleicht ähnlich der Strenge, mit der Symbole im Bewusstsein des Schlafenden auftreten können. Im dritten wird eine einsame Violastimme von scharfen Attacken der Violine und des Cellos eingeschlossen. Das vierte schliesslich, ein Choral, verklingt ins Nichts hinein.
Robert Schumanns Schaffen verlief in der Frühzeit in Schüben: Auf die Klavierjahre folgten das Liederjahr 1840, das Sinfoniejahr 1841 und das Kammermusikjahr 1842. Doch hatte Schumann bereits 1838/39 an die Komposition von Streichquartetten gedacht, ja wohl auch mit der Komposition begonnen. An Clara schrieb er am 11. Februar 1838: «Auf die Quartette freue ich mich selbst, das Klavier wird mir zu enge, ich höre bei meinen jetzigen Kompositionen oft noch eine Menge Sachen, die ich kaum andeuten kann, namentlich ist es sonderbar, wie ich fast alles kanonisch erfinde.» Ehe er seine Idee 1842 mit gleich drei Quartetten in die Tat umsetzte, studierte er eingehend die Quartette Mozarts und Beethovens. Auch die Quartette Mendelssohns, dessen drei Quartette op. 44 1837/38 entstanden, fehlten nicht. Ihm widmete er seine neuen Werke – und hält sich auch formal mehr an diese Vorbilder als etwa an Beethoven. Noch 1847, als er sich mit der Komposition von Klaviertrios wieder der Kammermusik zuwandte, freute er sich an seinen einzigen Streichquartetten: «Ich betrachte sie noch immer als mein bestes Werk der früheren Zeit, und Mendelssohn sprach sich oft in demselben Sinne aus.» Das dritte Quartett darf wohl als Höhepunkt gelten (Mendelssohn gab allerdings bei der ersten privaten Aufführung der Nr. 1 den Vorzug.), ist es doch auch das schwungvollste der drei. Innerhalb dieses Werks dürfte der zweite Satz der ungewöhnlichste sein, ein Pseudo-Scherzo, das sich zu einer Variationenfolge in fis-moll entwickelt. Vor dem heiteren Finale, das von sanglichen Einschüben unterbrochen wird, erklingt ein ebenfalls rondoartig angelegtes Adagio in D-dur, das von ausdrucksvoller Lyrik geprägt ist.
Rudolf Kelterborns Streichquartett V war 1988/89 als Auftrag der Kammermusik Basel entstanden (Uraufführung 24. Oktober 1989). Zwölf Jahre danach folgte die Nummer sechs, diesmal als Auftragswerk des Musikkollegiums Winterthur. Die Uraufführung spielte am 16. November 2002 das Winterthurer Streichquartett mit Willi Zimmermann, der als 1. Geiger des Amati-Quartetts bereits an der Uraufführung des fünften Quartetts beteiligt war. In der NZZ vom 18.11. schrieb Kristina Ericson: «Obwohl sich Kelterborns Auseinandersetzung mit der Streichquartett-Besetzung auch in gattungstypischen Elementen wie der singenden Stimme der 1. Violine, der inhaltlichen Bündelung im letzten Satz und der Viersätzigkeit spiegelt, ist die Komposition eigenständig und von tiefgründiger Intensität. Zur solistisch exponierten, markanten Gestik der 1. Violine setzen im ersten Satz 2. Violine, Viola und Violoncello allmählich zarte, sich verselbständigende Gegenpole, wobei die 1. Violine im Mittelteil in einen selbstvergessenen, klagend-meditativen Gesang mündet. Der ruhigere zweite Satz ist von beklemmender Dichte. Die vier Instrumente ringen sich in abwechselnder Führungsrolle und im Sichfinden in verharrenden Akkorden ihre entsprechenden Klangfelder mühsam ab. Dagegen breitet sich im zarten, in höchsten Höhen schimmernden dritten Satz eine innere Ruhe aus. Die zu Beginn des vierten Satzes in den Raum gestellten aggressiven Akkorde, die höchste und tiefste Lagen vereinen oder gegenüberstellen, wirken danach fast wie ein Schock, bevor das Werk mitten im leisen Nachsinnen zum Stillstand kommt.» Die vier Sätze haben keine Haupt-Tempovorschriften in Worten, sondern Metronomangaben. In der handschriftlichen Partitur fallen die präzisen Tongruppen und häufig jeden Ton betreffenden differenzierten Spielanweisungen auf.
Andrea Lorenzo Scartazzinis Streichquartett Nr. 1 ist 2017 als Auftragswerk der Kammermusik Basel entstanden und wurde am 24.10. 2017 durch das Quatuor Diotima uraufgeführt. Der Komponist schreibt dazu: «Mein Streichquartett gliedert sich in sechs Sätze – drei kurze (I Vorspiel, III Intermezzo, V Melodie) und drei unbetitelte längere (II, IV, VI). Was im Vorspiel als Grundmaterial erklingt – ein lapidarer gezupfter Gestus, eine vierteltönige, traurige Kantilene und ‚geräuschhaft orchestrierte’ Stille – taucht in verwandelter Form in den Folgesätzen immer wieder auf und bildet somit eine Art Adagio interrotto innerhalb der ganzen Komposition: Inseln des Verweilens, Horchens und Innehaltens. Während die Miniaturen in reduzierter Besetzung erklingen (im Vorspiel Cello und Bratsche, im Intermezzo Cello, Bratsche, 2. Violine, in der Melodie ausschliesslich die beiden Violinen), spielt in den Hauptsätzen das Quartett in voller Formation. Nr. II thematisiert ein Accelerando von langsam schwingenden Akkorden hin zu einem Prestissimo von maximaler ‚Helle’ und Kraftentfaltung, wobei dem Weg über verschiedene Beschleunigungsstufen viel Raum gegeben wird. Zuletzt erlöschen diese klingenden Feuerräder überraschend und zurück bleibt eine nunmehr entkräftete, aschgraue Pendelbewegung, die schattenhaft an den Anfang des Satzes erinnert. In Nr. IV erwächst aus traumartigen Texturen ein zunächst hypnotisch melodischer Singsang, dessen Gesten sich mit der Zeit verselbständigen und zerlegen. Die Schönheit des Anfangs kippt in spröde Bedrohlichkeit. Der letzte Satz des Quartetts (Nr. VI) nimmt Bezug auf zwei musikalische Ideen aus der Oper «Edward II». Neben dramatischen Zuspitzungen stehen sowohl Passagen von resignativer Schwere als auch von lyrischer Zartheit. Den Schluss bildet eine kurze Coda mit Elementen des Vorspiels: zu dumpfen repetitiven Pizzicati verdampft – um ein Vielfaches beschleunigt – die melancholische Kantilene in höchster Höhe. Die Klangsprache des Quartetts umfasst eine grosse harmonische Bandbreite, von filigranen Dur-Klängen bis zu schärfster Dissonanz, ohne dass diese Mittel polystilistisch wirken. Die über weite Strecken eingesetzte Vierteltönigkeit dient der Erweiterung des chromatischen Spektrums zur Steigerung der Expressivität.»
David Philip Heftis Streichquartett Nr. 3 mit dem Titel «Mobile» entstand 2011 im Auftrag des Schweizer Kammerchores und der Ernst von Siemens Musikstiftung als Interludien zwischen den sieben Teilen des «Deutschen Requiems» von Johannes Brahms. Der Komponist hat es gleichzeitig als eigenständiges Streichquartett konzipiert, das losgelöst vom Brahms-Requiem aufgeführt werden kann: «Die formale Gliederung ist dann offen und beweglich wie bei einem Mobile von Alexander Calder, da die sechs Sätze nicht mehr ihren unverrückbaren Platz innerhalb des ‚Deutschen Requiems’ einnehmen. Es ist denkbar und erwünscht, die Reihenfolge der sechs Teile zu variieren, damit im jeweiligen Kontext eine intensive Wechselwirkung entsteht.» Der aleatorische Charakter eines Mobiles schlägt sich auch in den Spielanweisungen zum dritten und fünften Satz nieder, so dass diese von Aufführung zu Aufführung verschieden klingen können.
Wenige musikalische Werkgruppen sind so komplex und haben so viele Fragen aufgeworfen wie Bachs «Kunst der Fuge». Er nannte die 14 Stücke der Erstfassung nicht «Fuge», sondern Contrapunctus, da für ihn der Kontrapunkt als Hauptelement der Kompositionsweise wichtig war. Alle Fugen sind aus einem Thema (soggetto) entwickelt, indem es rein, in Umkehrung, Diminuierung oder Augmentation auftaucht oder mit neuen Themen verbunden wird. Bach hat weder die Instrumente noch die Reihenfolge der Fugen endgültig festgelegt. Die grosse Schlussfuge [Contrapunctus XIV], eine Quadrupelfuge mit drei neuen Themen, blieb unvollendet und hat dem Werk schon anlässlich des Erstdrucks (1751) eine mystifizierende Verklärung verliehen.