Konzerte Saison 2019-2020

  • 26.11.2019
  • 19.30
  • 94.Saison
  • Abo 7
Oekolampad Basel

Jerusalem Quartet (Jerusalem)

Das Jerusalem Quartet, 1993 in Jerusalem gegründet, debütierte 1996. Es machte sich im internationalen Musikleben rasch einen Namen und gewann bedeutende Preise (1996 Jerusalem Academy, 1997 Internationaler Wettbewerb Graz). Es wurde zu einer festen Grösse weltweit, vor allem aber im europäischen und amerikanischen Musikleben, aber auch in Australien und Japan sowie natürlich in Israel. Es gastierte in den bedeutendsten Kammermusiksälen der Welt und bei wichtigen Festspielen (Salzburg, Verbier, Schleswig-Holstein, Schubertiade Schwarzenberg, Rheingau, St. Petersburg und viele andere). Von 2006 bis 2009 war es Quartet-in-Residence im Rahmen der australischen Organisation Musica Viva. Das Quartett arbeitet seit langem immer wieder mit anderen Musikerinnen und Musikern zusammen. Darunter waren und sind Mitsuko Uchida, Jessye Norman, Daniel Barenboim, Tabea Zimmermann, Natalia Gutman, Boris Pergamenschikow, Pinchas Zukerman. 2019/20 wird das Quartett mit der Sopranistin Hila Baggio wiederholt sein Yiddish Cabaret Project zur Aufführung bringen.

Die Aufnahmen des Jerusalem Quartet, exklusiv bei harmonia mundi, wurden mehrfach mit internationalen Preisen ausgezeichnet, so Quartette von Haydn, Schubert, Mozart und Schostakowitsch. 2018 hat es Dvořáks Streichquintett op. 97 und sein Sextett op. 48 sowie die Quartette von Debussy und Ravel aufgenommen. Es hat mehrfach sämtliche Quartette von Schostakowitsch zyklisch aufgeführt. Am 13. November 2012 gastierte es in unseren Konzerten und spielte damals Schostakowitschs Quartette Nr. 4, 5 und 6 aus den Jahren 1949 bis 1956. Heute ergänzt das Jerusalem Quartet seine damaligen Aufführungen in unserem Schostakowitsch-Schwerpunkt mit dem 2. Streichquartett.

Erwin (Ervín) Schulhoff wurde als Sohn eines jüdischen Wollwarenhändlers und der Tochter eines Konzertmeisters in Prag geboren. 1942 starb er im bayerischen Internierungslager Wülzburg an Tuberkulose. Ein befreundeter Journalist charakterisierte ihn 1928: «Schulhoff ist der Zeitgemässe. Vielleicht der Modemusiker von heute. Ein amüsanter, liebenswürdiger, spielerisch veranlagter, hochbegabter Künstler und ein wilder Temperamentmusikant, ein Draufgeher, kein Philosoph». Über den Expressionismus, die Neue Wiener Schule, den Dadaismus und nicht zuletzt über den Jazz fand er zu seinem Stil oder richtiger zu seinen Stilen. Dies erschwerte ihm aber auch die echte Anerkennung bei vielen Kritikern und Verlagen – gleichwohl hatte er Erfolg. Für die Wiener Schule setzte er sich als Pianist und Konzertveranstalter ein. 1921 hatte Schulhoff an Alban Berg geschrieben: «Ich habe eine ausserordentliche Leidenschaft für modische Tänze, und es gibt Zeiten, da gehe ich Nacht für Nacht tanzen […] allein aus Begeisterung für den Rhythmus und aus unterbewusster Sinnlichkeit.» Kein Wunder, dass das erste der 1923 bis 1925 entstandenen drei Streichquartettwerke, die «Fünf Stücke», aus Tänzen besteht. Sie sind Darius Milhaud gewidmet. Schulhoff hat darin seine damaligen Ideale erklärt: prägnante Kürze der Sätze, suitenhafte Reihung, aphoristische Behandlung des Materials, eine freche Musik am Puls der Zeit (Werkkommentar Villa Musica). Beim IGNM-Fest 1924 in Salzburg gelang ihm damit der Durchbruch. In einer Rezension wurden die Stücke typischerweise als «nette und schwungvolle Tanzstücke» und «niedliche Tanzbagatellen» bezeichnet. Doch darf man sich von der scheinbaren Oberflächlichkeit der Tanzformen nicht täuschen lassen. Schulhoff experimentiert in raffinierter Weise mit motivischen, metrischen und harmonischen Spielformen. Die beiden 1924 und 1925 folgenden Streichquartette zeigen, dass Schulhoff sein Handwerk sehr wohl beherrschte und seine Originalität bewusst einzusetzen vermochte. Wenn der Traditionalist Joseph Haas (1879-1960) nach der Zweitaufführung der Fünf Stücke bei den Donaueschinger Kammermusiktagen 1924 abwertend «O Heilige Kammermusik, wo bist du hingeraten?» ausrief, wird man sich fragen dürfen, ob denn Kammermusik «heilig» sein muss.

Als Mozart zwischen Ende 1782 und Anfang 1784 die sechs Joseph Haydn gewidmeten Streichquartette komponierte, fügte er, seinem Vorbild folgend, der Gruppe ein Quartett in Moll ein. Es weist in typisch mozartschem Mollcharakter voller Erregung in der dunklen Klangsprache Neuartiges auf. Im Kopfsatz mit seiner eigenartigen Motivik treten Intervallsprünge (gleich zu Beginn eine Oktave von d’’ zu d’) und herbe Dissonanzen auf; insbesondere die polyphon gestaltete Durchführung ist davon geprägt. Dazu kontrastiert das F-dur-Andante mit einer schlichten, elegisch gehaltenen Melodie. Ähnlich stehen sich im Menuett die dunkle Färbung des Hauptteils und der heitere, von der Primgeige über den Pizzicati der übrigen Instrumente angestimmte Serenadenton des Trios gegenüber. Das Variationen-Finale greift im Siciliano-Rhythmus und in der Melodik unüberhörbar auf Haydn zurück: auf die Finalvariationen in op. 33/5. Diese werden aber harmonisch und modulatorisch neu gedeutet. Am Schluss intoniert die Primgeige nochmals den Oktavsprung abwärts des Beginns, diesmal von d’’’ zu d’’ – quasi als Hinweis: «Jetzt ist Schluss.»

Schostakowitschs 2. Streichquartett, entstanden sechs Jahre nach dem kurzen divertimentohaften ersten, zeigt einen anderen, verdichteten Stil. Die Satzbezeichnungen Ouvertüre, Rezitativ und Romanze lassen an ein Opernvorbild denken. Das Werk beruht denn auch auf klassischen Formen, die zudem mit Affekten im barocken Sinn und mit Expressivität ausgefüllt werden. Der Kopfsatz ist ein Sonatensatz, dessen pausenlose Exposition Schostakowitsch kompromisslos von forte zum dreifachen forte steigert und dabei – damals eher ungewöhnlich – ausdrücklich deren Wiederholung verlangt. Das Hauptthema, später ständig verändert und erweitert, gehört der 1. Violine. Es bestimmt den ganzen, von energiegeladener Kompromisslosigkeit gekennzeichneten Satz. Einen Gegenpol bildet der 2. Satz in b-moll, in dem ein deklamatorisches Rezitativ den Rahmen für einen elegischen Arien-Mittelteil voller Trauer abgibt. Ein Walzer in es-moll eröffnet neuartige Seiten eines Scherzos. Er wirkt, zunächst vom Cello mit gedämpften Klängen umspielt, später statt heiter-belebend bald melancholisch, bald spukhaft, ja sogar drohend – ein Totentanz? Der vierte Satz in a-moll wird von 17 Takten eines Adagio, con sordino zu spielen, eingeleitet. Darauf stellt die Viola das Variationenthema vor; die übrigen Instrumente folgen. Bald werden Anklänge an russische Folklore immer deutlicher – man fühlt sich an Mussorgskys Boris Godunow erinnert. Die Verarbeitung der Variationen führt in jeweils rascherem Tempo vom figurativen Variieren immer mehr vom Thema weg zu einem grossen Höhepunkt hin; danach beruhigt sich der Satz. Vor dem Schluss kehren das Adagio und das Thema zurück.

Erwin Schulhoff 1894-1942

Fünf Stücke für Streichquartett (1923)
Alla Valse viennese: Allegro
Alla Serenata: Allegretto con moto
Alla Czeca: Molto allegro
Alla Tango milonga: Andante
Alla Tarantella: Prestissimo con fuoco

Wolfgang Amadeus Mozart 1756-1791

Streichquartett Nr. 15, d-moll, KV 421 (417b) (1783)
Allegro (moderato)
Andante
Menuetto: Allegretto – Trio
Allegretto, ma non troppo (con variazioni)

Dmitrij Schostakowitsch 1906-1975

Streichquartett Nr. 2, A-dur, op. 69 (1944)
Ouverture: Moderato con moto
Rezitativ und Romanze: Adagio
Walzer: Allegretto
Thema und Variationen: Adagio – Moderato con moto