Maria Riccarda Wesseling, Mezzosopran, ist in Chur aufgewachsen. Heute lebt sie mit ihrem Mann, dem Schriftsteller Onno Wesseling und Tochter Maura in den Niederlanden/Amsterdam, bleibt aber mit Graubünden eng verbunden, auch mit Auftritten. Ihren internationalen Durchbruch erlebte sie 2006 an der Opéra de Paris, wo sie die Titelpartie in Glucks «Iphigénie en Tauride» sang. 2008 folgte ebendort Glucks «Orpheus», den sie mehrfach auch an anderen grossen Opernhäusern gesungen hat. Eine ihrer Lieblingsrollen ist Carmen. Am Theater Basel war sie 2014 in Heinz Holligers Walser-Oper «Schneewittchen» die Königin. Auch im Konzertbereich (Oratorien, Lied) tritt sie gern und erfolgreich auf. Bereits während des Studiums hat sie sich intensiv mit dem Liedgesang auseinandergesetzt. Beim Schumann-Wettbewerb in Zwickau und bei der Wigmore Hall Competition in London hat Wesseling Preise gewonnen. Eine besondere Vorliebe hat sie für Lieder von Mahler.
Die beiden Streichquartette Mendelssohns im heutigen Programm scheinen das erste und das letzte seiner Quartette zu sein. Dies stimmt zumindest für das op. 12 nicht. Das 1829 entstandene Es-dur-Streichquartett ist sein drittes Quartett (nach dem Jugendwerk Es-dur 1823 und a-moll 1827, veröffentlicht nach op. 12 als op. 13). Mendelssohn orientiert sich im op. 12 melodisch und rhythmisch an Beethoven, ohne allerdings dessen Strukturen zu übernehmen. Am Beginn des Kopfsatzes fühlt man sich an den Beginn von Beethovens «Harfenquartett» erinnert. Mendelssohn findet eigene Lösungen, so etwa im lyrischen Kopfsatz mit einem dritten Thema in Durchführung und Coda. Anstelle des Tanzsatzes steht eine dreiteilige Canzonetta in g-moll mit einer charmanten Liedmelodie; der Mittelteil huscht elfenhaft vorüber. Mit 65 Takten ist das Andante in B-dur kurz. Es entwickelt sich kaum zum Gesang, wird es doch durch rezitativische Abschnitte gegliedert. Angesichts des attacca-Übergangs zum Schlusssatz in c-moll könnte man es geradezu als dessen Einleitung verstehen. Dieses virtuose Finale greift in Durchführung und Coda auf den Kopfsatz zurück und endet mit dessen lyrischem Abgesang, was dem Werk die Geschlossenheit verleiht.
18 Jahre nach dem op. 12, in Mendelssohns Todesjahr, entstand mit dem op. 80 ein Werk mit ganz persönlichem Hintergrund. Als er erschöpft von den Anstrengungen seiner letzten Englandreise zurückkehrte, erfuhr er, dass am 14. Mai seine geliebte Schwester Fanny überraschend an einem Schlaganfall verstorben war. Er glaubte «an Musik zunächst nicht denken [zu] können, ohne die grösste Leere und Wüste im Kopf und im Herzen zu fühlen». Auf einer Reise in die Schweiz im Sommer fand er wieder Kraft zum Komponieren. Seinem Bruder Paul schrieb er: «Seitdem habe ich angefangen, sehr fleissig Noten zu schreiben.» Diese gehörten zu seinem letzten, im September in Interlaken vollendeten Streichquartett. Das Werk ist, bei Mendelssohn eine Seltenheit, autobiografisch zu verstehen. Es darf als ein Requiem für Fanny gelten, eine Klage um die Schwester. Es ist aus einem Guss, und schon allein das sollte auf die enorme Qualität des Stücks aufmerksam machen. Die Mendelssohn oft vorgeworfene klangschöne Unverbindlichkeit ist hier wie weggefegt. Schroffe Klänge gleich im ersten Satz lassen das Aufwühlende erfahren und schlagen um in Klage. Und wenn zudem noch Fragmente eines Lieblingsmotivs Fannys aufscheinen, so wird erst recht klar, wem diese Klage gilt.
Der in St. Gallen geborene Schweizer Komponist David Philip Hefti studierte an den Musikhochschulen in Zürich und Karlsruhe Komposition, Dirigieren, Klarinette und Kammermusik. Seine Lehrer waren u. a. Cristóbal Halffter, Rudolf Kelterborn, Wolfgang Meyer, Wolfgang Rihm und Elmar Schmid. Er wirkt als Komponist und Dirigent und lebt mit seiner Familie in Therwil. Seine rund 70 Werke umfassen Orchester-, Vokal- und Kammermusik. Darunter finden sich gross besetzte Orchesterwerke, Solokonzerte, Werke für Kammerorchester, Streichquartette, Solostücke, Liederzyklen und eine Oper.
Das heute aufgeführte Werk auf ein für ihn geschriebenes Gedicht von Kurt Aebli (*1955 in Rüti/ZH) entstand zunächst 2013 für die Besetzung Mezzosopran und Cello. Später hat Hefti es für die heute dargebotene Besetzung und für die heutigen Interpreten/-innen neu bearbeitet. Die Uraufführung des halbstündigen Werks fand am 19. April 2018 in derselben Besetzung wie heute in Lübeck statt. In den Lübecker Nachrichten hiess es daraufhin:
Hefti schuf keine «Liedvertonung», sondern verdichtete die Zeilen in sechs Abschnitten zu einem Gesamtwerk. Um über Werden, Sein und Vergehen zu philosophieren, braucht der Komponist keine Klangfluten. Im Gegenteil. Er kommt mit sparsamen Mitteln aus, oft mit nur angedeuteter Geste. Dabei wechselt er immer wieder zwischen rauer Reibung und melodischer Linie, zwischen «Geräusch» und herkömmlicher Tonbildung, lässt Instrumente wispern und die Sängerin auch mal pfeifen.
Gustav Mahlers Werke umfassen vor allem zwei Gattungen, die Sinfonie und das Lied. Oft sind beide eng miteinander verbunden bzw. gehen ineinander über. Was die Textauswahl betrifft, fällt auf, dass Mahler – sieht man von der 8. Sinfonie ab – kaum Texte grosser Dichter gewählt hat. Sie stammen bei seinen Sololiedern etwa von Friedrich Rückert oder aus «Des Knaben Wunderhorn». Rückert hat er zu Beginn des 20. Jahrhunderts zweimal berücksichtigt, in den «Kindertotenliedern» und in den fünf Liedern, von denen heute drei erklingen. Diese haben keine direkten Beziehungen zueinander als Zyklus, wie dies bei den Kindertotenliedern der Fall ist. Sie wirken jedes für sich in ihrem «neuen Ton der Schlichtheit, der Reife und Beruhigung; das Melos wird immer mehr zu ausdrucksvoller Sprache» (Werner Oehlmann). Die beiden heute fehlenden Lieder werden im letzten Konzert der Saison (Liederabend Solenn’ Lavanant Lincke) nachgeholt.