Konzerte Saison 2018-2019

  • 29.1.2019
  • 19:30
  • 93.Saison
  • Abo 7
Oekolampad Basel

Borromeo String Quartet (Boston)

Das Borromeo String Quartet wurde 1989 von Nicholas Kitchen und Mitstudenten vom Curtis Institute of Music Philadelphia gegründet. Von damals sind der 1. Geiger und die Cellistin bis heute dabei. Das Quartett gewann mehrere bedeutende Preise, so 1990 den 1. Preis beim Wettbewerb von Evian, 1998 den Cleveland Quartet Award, 2001 den Lincoln Center’s Martin E. Segal Award und 2007 den Avery Fisher Career Grant. Es ist Ensemble-in-residence bei verschiedenen Institutionen und Konzertorganisationen in den USA. Als erstes Quartett verwendete es auf der Konzertbühne Laptop-Computer als Notenträger, nicht zuletzt, weil es jeweils Partituren mit allen Stimmen benutzt. Seit 2003 machte es eigene Aufnahmen und Videos von seinen Konzerten, die es über mehrere Jahre durch sein «Living Archive» verbreitete. Die Borromeos sind auch begeisterte Erzieher, welche für jegliches Alter Aufführungen im klassischen wie im zeitgenössischen Repertoire auf neuen Wegen fördern und dazu Multi-Media-Techniken nutzen, um den oft überraschenden schöpferischen Prozess, der hinter einzelnen Werken steckt, oder bei andern den Aufbau graphisch aufzuzeigen. Häufig spielt es Werke zyklisch. Gerühmt wurde es für seinen Bartók-Zyklus ebenso wie für das Projekt «Bartók: Paths not taken», bei dem es eine Reihe von wiederentdeckten alternativen Sätzen, die Bartók für seine sechs Quartette entworfen hatte, darbot. Auch die Beethoven-Quartette spielt es gerne in grösserem Zusammenhang. Dabei hat es seine überraschenden Entdeckungen in den Manuskripten in Vorkonzerten vorgestellt. In seinem Repertoire finden sich ein Schostakowitsch-Zyklus genauso wie Zyklen von Mendelssohn, Dvořák, Brahms, Schumann, Schönberg, Janáček, Lera Auerbach, Tschaikowsky und Gunther Schuller. Das Quartett hat mit einigen ihm wichtigen zeitgenössischen Komponisten zusammengearbeitet, so mit Gunther Schuller, John Cage, György Ligeti, Steve Reich, Osvaldo Golijov, Jennifer Higdon, Steve Mackey, John Harbison, Leon Kirchner und andern.
Nach zwölf Jahren Unterbruch hatte Beethoven 1822 wieder damit begonnen, sich mit einer Streichquartettkomposition zu befassen. Als Fürst Nikolaus Galitzin ihn am 9. November um «un, deux ou trois nouveaux Quatuors» bat, schien die Kompositionsbereitschaft Beethovens gross. So konzipierte er ein Quartett in Es-dur, das später das op. 127 werden sollte. Doch das Quartett blieb liegen, weil ihm «etwas anderes dazwischen gekommen». In der folgenden Zeit entstanden nämlich die Missa solemnis und die 9. Sinfonie, die beide im Frühjahr 1824 uraufgeführt wurden. Im Februar 1824 kehrte er zum begonnenen Quartett zurück und entwarf später, dem Wunsch Galitzins entsprechend, zwei weitere Quartette (op. 132 und 130). Alle drei wurden dem Fürsten gewidmet. Die Uraufführung von op. 127 erfolgte am 6. März 1825 durch das Schuppanzigh-Quartett in Wien; sie war ein Misserfolg, weil das Ensemble das Stück unterschätzt hatte und zu wenig vorbereitet war. Die Wiederholung am 23. März, jetzt mit Joseph Böhm als Primgeiger, war hingegen erfolgreich. Das viersätzige Opus 127 ist leichter fasslich als die drei folgenden grossen Quartette (opp. 130, 131 und 132). Mit seinen lyrischen Teilen ist es mehr mit dem späteren op. 135 verbunden. Der erste Satz beginnt nach sechs Maestoso-Takten in einem lang ausgesponnenen, klar gegliederten Thema teneramente mit einer lyrischen Melodie. Trotz einem Seitensatz in g-moll und mehrfacher Wiederaufnahme des Maestoso-Teils wirkt der Satz wie eine Idylle. Den langsamen Satz bildet eine Variationenreihe über ein weitgespanntes, rhythmisch einheitliches und kanonartig einsetzendes Thema in As-dur. In recht freiem Umgang mit dem Thema verändert sich der Charakter der fünf Variationen ständig. Das ausgedehnte Scherzando bringt nach vier Pizzicato-Akkorden zeitweise eine unruhige Note ins Spiel. Die kontrapunktische Arbeit in geflüstertem Piano trägt gespenstische Züge. Das Trio ist von fahrigen Violinpassagen über den Vierteln der grundierenden unteren Stimmen gekennzeichnet. Das Finale alla breve ohne eigentliche Tempobezeichnung wirkt volkstümlich, manchmal fast derb, bevor es die ausgedehnte Coda mit einem nur kurz von ff-Passagen unterbrochenen pianissimo in lyrischer Expressivität beschliesst.

Ligeti, Sohn ungarisch-jüdischer Eltern, war nach Studien in Cluj und Budapest, u. a. bei Sándor Veress und Ferenc Farkas, 1956 nach Wien emigriert und wirkte später in Köln, Darmstadt und Hamburg. Noch vor seiner Emigration war das erste Streichquartett «Métamorphoses nocturnes» entstanden (1953/54). Das am 14. Dezember 1969 in Baden-Baden vom LaSalle Quartet, dem das Werk gewidmet ist, uraufgeführte 2. Streichquartett entstand zwischen März und Juli 1968 und ist eine Auseinandersetzung mit grossen Vorbildern. Ligeti nennt Beethoven (op. 130/132), Mozart (KV 465), Bartók (Nr. 4 und 5), Bergs Lyrische Suite (in der Tat erinnern die fünf Sätze an Bartók, die Satzbezeichnungen an Berg) und Weberns Bagatellen op. 9, ohne dass man Zitate oder gar Kopien erwarten dürfte. Frühere Werke werden gemäss Ligeti als ‚Habitus’ oder als ‚Aura’ einbezogen. Das Werk gilt als eines der Hauptwerke der neueren Quartettliteratur. Gemäss Ligetis Aussage sind die Sätze «unterirdisch miteinander verbunden, es gibt geheime Korrespondenzen, fast Reime, ... alle fünf Sätze sind sozusagen gleichzeitig anwesend». Sie «enthalten dieselben musikalischen und formalen Gedanken, doch Blickwinkel und Färbung sind in jedem Satz anders, so dass die übergreifende musikalische Form sich erst ergibt, wenn alle Sätze als Zusammenhang gehört und gedacht werden». So kommt auch in diesem so sehr auf Variation der Klangfarben und Bewegungsmuster ausgerichteten Stück das Prinzip der Metamorphose zum Zuge. Metamorphosen sind auch die Umformungen, wie sie der Scherzotypus in Form eines maschinellen Pizzicato-Stücks mit präzis-mechanischer Polyrhythmik als «eine Art Hommage an Bartók» im 3. Satz erfährt. Und auch der 4. Satz, der «in übertriebener Hast, wie verrückt» und mehrfach bis zum fünffachen Forte gesteigert zu spielen ist, variiert mit seinen unheimlichen Gegensätzen diesen Typus. «Der 5. Satz ist wie eine Erinnerung, durch Nebel betrachtet: der gesamte bisherige Verlauf des Stückes wird rekapituliert, doch abgemildert – die Musik erklingt wie aus weiter Ferne.» Ligeti lässt nach raschen chromatischen Läufen aufwärts und abwärts den Klang in allen vier Instrumenten in drei- bis fünffachem Piano «molto morendo – al niente» verschwinden. So endet das Quartett, das mit einer Generalpause («silenzio assoluto») von 8 bis 10 Sekunden aus der Stille heraus begonnen hatte (sie steht zudem am Ende aller Sätze), am Schluss des 5. Satzes ebenfalls in der Stille von 10 Sekunden Dauer.

Haydns B-dur-Quartett op. 71/1 ist nach der ersten Englandreise entstanden und gehört zu den sechs dem Grafen Anton Georg Appónyi gewidmeten Quartetten op. 71 und 74. Sie wurden aber wohl vor allem im Hinblick auf den Geiger Johann Peter Salomon geschrieben, der Haydn 1791 nach dem Tod von Nikolaus Eszterházy nach London geholt hatte. Haydn hat in London ein Konzertleben mit grossbürgerlichem Publikum kennengelernt und überträgt die Erfahrungen, etwa durch Hereinnahme sinfonischer Elemente, auf die Kammermusik. «Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Quartette ‚äusserlich’ geworden wären; sie haben sozusagen zwei Ebenen: eine grossdimensionierte, glänzend virtuose, und eine strukturell-anspruchsvolle, die sich ergänzen» (Wulf Konold). Wie bei vier weiteren dieser Quartette setzt Haydn im B-dur-Quartett an den Anfang eine Art «Vorhang-Auf»-Passage. Sie ist diesmal – im Gegensatz zum op. 71/2, das am 13. November 2018 mit dem Ariel Quartet zu hören war – keine langsame Einleitung, sondern führt im Tempo des Kopfsatzes kadenzmässig in fünf Fortissimo-Akkorden kraftvoll zum Pianoeinsatz des Hauptthemas hin. Seine schöne Melodie vergisst man nicht so schnell, und dadurch fällt einem auch auf, dass das zweite Thema aus ihr abgeleitet ist. Auch das aus Achteln und Achtelpausen gebildete rhythmische Motiv der Einleitung erscheint mehrfach wieder. Das ernste Adagio (F-dur, 6/8-Takt) ist in dreiteiliger Liedform gestaltet, wobei der Mittelteil mit seinem Wechsel von Dur und Moll an die Durchführung eines Sonatensatzes erinnert. Dem ebenfalls einem Sonatensatz angeglichenen Menuett steht ein in kurzen Noten gespieltes Trio in der gleichen Tonart gegenüber. Ein virtuoses, doch nicht allzu übermütiges Vivace-Finale, wiederum – mag die Durchführung auch kurz sein – in Sonatensatz-Form, rundet das Werk ab.

Ludwig van Beethoven 1770-1827

Streichquartett Nr. 12, Es-dur, op. 127 (1822–25)
Maestoso – Allegro
Adagio, ma non troppo e molto cantabile – Adagio molto espressivo
Scherzando vivace – Allegro – Tempo I – Presto
Finale: (ohne Tempobezeichnung) – Allegro comodo

György Ligeti 1923-2006

Streichquartett Nr. 2 (1967/68)
Allegro nervoso
Sostenuto, molto calmo
Come un meccanismo di precisione
Presto furioso, brutale, tumultoso
Allegro con delicatezza, stets sehr mild

Joseph Haydn 1732-1809

Streichquartett Nr. 69, B-dur, op. 71, Nr. 1, Hob. III:69 (1793)
Allegro
Adagio
Menuetto: Allegretto – Trio
Finale: Vivace