Die Komponisten der heute vom Arditti Quartet vorgestellten Streichquartette wurden zwischen 1950 und 1957 geboren, die Werke sind zwischen 2011 und 2015 entstanden. Sie sind alle dem Arditti Quartet gewidmet, das sie zwischen 2012 und 2016 auch uraufgeführt hat.
Der 1952 im zentralfranzösischen Tulle geborene Manoury zählt zu den wichtigsten Komponisten der Gegenwart in Frankreich. Er hat sich intensiv mit mathematischen Modellen am Pariser IRCAM beschäftigt und arbeitet häufig mit Live Elektronik. Daneben nutzt er die konventionellen Instrumente, wie die Streichquartett-Werke zeigen. Ein erstes Streichquartett hat er 1978 geschrieben, es aber nicht gelten lassen. Erst 2010 wandte er sich dieser Besetzung definitiv zu und ist inzwischen bei Nr. 4 angelangt. Sie tragen alle italienische Titel. Wichtig sind Manoury die Veränderungen des Klanges, und er findet: «Dafür ist ein Quartett das ideale Instrument, denn die Homogenität dieses Ensembles lädt dazu ein, hin- und herzuwechseln zwischen einem grossen 16-saitigen Metainstrument und der klaren Unterscheidung der Stimmen durch die Aufteilung in unterschiedliche, kontrastierende Linien.» In «Fragmenti» fasst er den Begriff wörtlich auf. Jeder der kurzen Teile – Nr. 4, der kürzeste, umfasst nur drei Takte und sechs Akkorde – zeigt eine eigene musikalische Geste, die nicht weiter verarbeitet wird. Die Teile führen eine gleiche Struktur über ihre ganze Länge durch, doch insofern variiert, als Lautstärke und Tonfolgen verändert werden können. Während in den andern Sätzen das gemeinsame Spiel genau vorgeschrieben ist, weist Nr. 8 «Episodio» eine freiere individuelle Form auf. Dieses Fragment ist in zwei Teile geteilt, A und B. Die neun Sequenzen (je ein Takt) von Teil A können von jedem Spieler in der Reihenfolge frei gewählt und so lange gespielt werden, wie es beliebt, doch insgesamt nicht länger als drei Minuten. In Teil B ist die Reihenfolge vorgeschrieben, aber die Noten müssen ausser in den Schlusstakten von Viola und Cello nicht synchronisiert werden.
James Dillon wurde in Glasgow geboren. Als Komponist ist er Autodidakt. Er hat Kunst und Design, Linguistik, Akustik, Mathematik und indische Rhythmik studiert, nahm Klavierunterricht und besuchte Kurse für Computermusik am IRCAM in Paris. Sein 1. Streichquartett wurde 1983 vom Arditti Quartett beim Huddersfield Festival uraufgeführt. Seither ist das Quartett dem Komponisten eng verbunden: Alle folgenden Quartette Dillons wurden von ihm uraufgeführt und ins Repertoire aufgenommen. Das 7. Quartett hat Dillon zwischen März und Juli 2013 komponiert; es ist das kürzeste. Irvine Arditti zum 60. Geburtstag gewidmet, wurde es 2013 in Strassburg uraufgeführt. Dillon beschrieb das Stück so: «Es besteht aus 34 zusammenhängenden knappen Abschnitten, die zwischen 3 und 17 Takten lang sind. Einzig die Teile 9 und 34 sind mit 25 bzw. 58 Takten länger. Das Werk umfasst zudem zwei Hauptteile, die aus den Nummern 1 bis 17 und 18 bis 34 bestehen. Die beiden längsten Teile beruhen auf dem Ton C der leeren Seiten in Bratsche bzw. Cello. Der Bau dieser Teile hat die Form eines symmetrischen Satzes um die regelmässigen Wiederholungen des Grundtons C. Die Abschnitte 1 und 34 sind um einen einzigen Akkord gefügt und zudem durch eine harmonische und zeitliche Stauung verbunden. Die übrigen, kürzeren Abschnitte verteilen sich auf Tonleitermotive und gestische Muster sowie auf Solo- und Tuttistrukturen.»
Hilda Paredes stammt aus Mexiko und ist eine der führenden Komponistinnen ihrer Generation. Seit 1979 lebt sie in London. Sie hat eine grosse Zahl von Werken in verschiedensten Besetzungen geschrieben, die weltweit gespielt werden. Drei Quartette hat sie für das Arditti Quartet komponiert (1998, 2007/08 sowie Bitácora capilar zum 40jährigen Bestehen des Quartetts), zudem eine Reihe weiterer Stücke für Irvine solo und dessen Sohn, den Countertenor Jake Arditti. Von den früheren Quartetten unterscheidet sich Bitácora capilar durch seine Intimität. Als Frau von Irvine Arditti ist Paredes über zwei Jahrzehnte Zeugin der Aktivitäten des Arditti Quartet, und so ist das Werk teilweise die Erinnerung daran, ein «haarfeines Logbuch (Schiffsjournal)», was der Titel bedeutet. Der Beginn besteht, sul ponticello gespielt, aus einem luftigen hohen Gewebe von raschem Flimmern, das sich in harmonische Triller auflöst. Wichtig, hier und im ganzen Werk, ist eine Zelle aus sieben Noten, H–A–D–A–D–B–E. Bald wird das Flimmern länger; die Harmonien werden in ein Gewirr von metrisch unabhängigen Linien umgesetzt, bis diese in eine neue Textur übergehen: in schroffe Klänge und Crescendo-Triller in weitgehend tieferer Lage. Später führt die Bratsche in eine Welle von Tonleiterläufen auf- und abwärts, die in pizzicati umbricht. Sie bringt die Musik in eine neue Sphäre von glissandi (pizzicato und mit dem Holz der Bögen hinuntergezogen) und nervösem Schwanken in Vierteltonintervallen. (nach Paul Griffiths, gekürzt)
Von einer zwölftaktigen Adagio-Passage (T. 549-560) und einigen rallentandi abgesehen trägt das 13. Quartett Rihms durchwegs die Tempovorschrift presto possibile. Der motivische Kern, aus welchem das ganze Stück entwickelt wird, findet sich gleich im 1. Takt. Er besteht aus auf- und später absteigenden Viertonmotiven (z. B. as–b–des–es oder a–h–d–e) und wird dauernd variiert, manchmal sogar in einer lyrischen Melodie, zu der die übrigen Instrumente rasche Akzente setzen. Die Musik wirkt mit ihrer motorischen Kraft geradezu gehetzt. Nicht umsonst hat Rihm einst geschrieben: «Mit Streichquartett muss gekämpft werden, bissig und liebevoll.»
Irvine Arditti sagte zu Rihms Quartett (gekürzt): «Wie manche andere Quartette besteht es aus einem einzigen umfangreichen Satz. Im Gegensatz zu anderen neueren Werken umfasst es nur neues Material aus sich selbst. Manche Abschnitte werden wiederholt, manchmal unter Beifügung einer neuen Schicht. Dabei ändert sich das Material der 1. Violine. Gleich vom Beginn des Werks an erscheinen die raschen bewegten Figuren hart, und der reine rhythmische Schwung lässt sich mit einer Passage im 5. Quartett vergleichen, doch zeigt die Schreibweise hier kontrolliertere technische Schwierigkeiten. Auch wirkt das Gefühl für die Sololinien und die Begleitstimmen stärker als in dem fast dreissig Jahre zuvor geschriebenen Werk. Gegen Ende des Quartetts scheinen Momente der Ruhe und Gelassenheit dem Werk vermehrt eine neue Farbe zu geben, doch fehlt die Energie nicht. Das Stück schliesst mit Doppelgriff-Attacken, welche die Stille rundum unterbrechen. Oft kann ein einziges Wort eines Komponisten zu verstehen helfen, wohin man mit einer Interpretation gehen soll. Als ich den Komponisten fragte, was er über dieses Quartett sagen könne, war er bereits mit der Komposition eines neuen Werkes beschäftigt. Er fand nur ein Wort: manisch.»