Concerts Season 2017-2018

  • 17.10.2017
  • 19:30
  • 92.Season
  • Zyklus B
Oekolampad Basel

Agneta Eichenholz, soprano Jan Schultsz, piano

Biography available in German ▼
Agneta Eichenholz kommt aus Malmö und studierte an der Opernhochschule in Stockholm. Der Durchbruch gelang ihr beim Verbier Festival 2007. Mit ihrem vielfältigen Repertoire ist sie seither an zahlreichen namhaften Opernhäusern Europas unter renommierten Dirigenten mit grossem Erfolg aufgetreten. Schon 2009 hatte sie ein sensationelles Debüt als Lulu am Covent Garden London; später verkörperte sie diese Rolle in Madrid und Rom (Mai 2017) und wird sie im Dezember an der Wiener Staatoper singen. Am Theater Basel war sie 2011 in Glucks «Telemaco» zu erleben. 2012 wirkte sie bei der Uraufführung von Andrea Lorenzo Scartazzinis zweiter Oper «Der Sandmann» (Regie Christof Loy) in Basel mit (ebenso 2016 bei deren Übernahme in Frankfurt). 2016 sang sie phänomenal in Basel die schwierige Titelpartie der Strauss-Oper «Daphne» (später auch in Hamburg). In diesen Basler Aufführungen wurde sie für ihre beeindruckenden Leistungen gefeiert. Im Februar 2017 war Eichenholz auch an der Uraufführung von Scartazzinis neuster Oper «Edward II» in Berlin beteiligt. 2015 hat sie im Theater an der Wien Ellen Orford in Brittens «Peter Grimes» verkörpert. Daneben tritt sie als Liedsängerin auf, so in Sinfoniekonzerten mit den «Vier letzten Liedern» von Strauss oder bei Soloabenden.

Jan Schultsz ist international als Dirigent, Liedbegleiter und Kammermusiker tätig. Als Gastdirigent leitet er vor allem Orchester in der Schweiz, in Holland, Österreich, Tschechien, Ungarn sowie in China und Südamerika. Als Operndirigent war er in Oslo, Budapest und Lüttich verpflichtet. Im Jahr 2000 gründete er die Opera St. Moritz und war bis 2012 deren Künstlerischer Leiter. Er ist Mitbegründer der Samedan Brassweek, und seit 2008 ist er Intendant des Engadin Festivals. Zu seinen musikalischen Partnern zählen Cecilia Bartoli, Vesselina Kasarova, Ian Bostridge, Werner Güra und die Brüder Capuçon. Sein breites Repertoire enthält unbekannte Opern von Rossini, Bellini und Verdi sowie die komplette Klavierkammermusik der Schweizer Komponisten J. J. Raff und Hans Huber, die er auf CD eingespielt hat. Seine Aufnahme von Schuberts «Die schöne Müllerin» mit Werner Güra (2000) wurde mit dem Diapason d’or ausgezeichnet, und die von ihm geleitete Produktion von Rossinis «L’equivoco stravagante» an der Opéra Royal in Lüttich mit dem Prix de l’Europe francophone 2012. Schultsz, der zunächst in seiner Heimatstadt Amsterdam sowie in Basel und Lausanne Horn und Klavier studierte, hat eine Professur an der Hochschule für Musik in Basel inne. 2010 und 2016 hat er in unseren Konzerten mit Werner Güra bzw. mit Thomas Oliemans Schuberts «Winterreise» aufgeführt.

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Richard Strauss und nordische Zeitgenossen

Soll man Strauss als (Spät-)Romantiker oder als Modern(ist)en bezeichnen? Die Einordnung ist – gerade in der neueren Literatur – umstritten. Er war beides, ein Spätromantiker der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, nicht frei vom Einfluss Wagners und mit Zügen der Romantik, die sich im Orchesterklang und in der Form Tondichtung widerspiegeln. Daneben war er ein Fortschrittler, was in gewagten Harmonien und modernen Klängen zum Ausdruck kommt. In der zweiten Lebenshälfte, den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, war er in einigen seiner Opern sehr wohl modern. Er war aber kein Komponist, der eine eigene Kompositionstheorie, wie etwa der zehn Jahre jüngere Schönberg, begründete. Immer wieder – im «Rosenkavalier», im Schlussmonolog (mit Mondscheinmusik) der Gräfin in der letzten Oper «Capriccio» oder in den letzten (Orchester-)Liedern – scheinen romantische Klänge auf, die einen wesentlichen Teil seines Stils ausmachen. Es ist darum nicht falsch, Strauss in einem Zyklus «Lieder der Romantik» zu berücksichtigen und gerade den letzten Liedern aus dem Jahr 1948 einen auserwählten Platz zuzugestehen.

Strauss hat in beinahe achtzig Jahren über 200 Lieder komponiert: das erste, «Weihnachtslied», als Sechsjähriger 1870, das letzte am 23. November 1948, neun Monate vor seinem Tod. Vielleicht bilden die Lieder – die «letzten» ausgenommen – keine zentralen Werke, haben aber gleichwohl ihre Bedeutung. Man denkt bei Strauss vor allem an die sinfonischen Dichtungen und Opern. Beide Gattungen gehören zwei weitgehend getrennten Schaffensperioden an: Die Tondichtungen von «Aus Italien» bis «Sinfonia domestica» entstanden von 1886 bis 1903; nur die gewichtige, über eineinhalb Jahrzehnte geplante «Alpensinfonie» (1915) ist ein Nachzügler. Während die ersten Opern «Guntram» (1893) und «Feuersnot» (1901) in Konkurrenz und Ablösung als Auseinandersetzung mit Wagner zu werten sind, entstanden die vollgültigen Opern zwischen 1905/1908 («Salome» und «Elektra») und 1941 («Capriccio»).

In der Zeit, als sich Strauss mit modernen Ausdrucksmitteln erfolgreich der Oper zuwendet, trat von 1906 bis 1918/19 ein Unterbruch in der Liedkomposition ein. Den grösseren Teil der Lieder hat Strauss vor 1906 komponiert, 65 weitere ab 1918. Jene der ersten Phase lassen sich weitgehend der Spätromantik zuordnen. Aus ihr stammen im ersten Programmteil vier Lieder, darunter einige der bekanntesten und schönsten wie «Die Nacht», «Morgen» und «Allerseelen».

Die Pause in der Liedkomposition legt die Vermutung nahe, Strauss habe sich mit seinen modernsten und kühnsten Opern «Salome» und «Elektra» von der Liedlyrik distanziert und sowohl für die Stimme als auch im Orchester neue Wege gesucht. 1918, nach «Rosenkavalier» und «Ariadne», die vermehrt lyrische Passagen aufweisen, setzt die Liedproduktion wieder ein. Noch immer entstehen idyllisch klangvolle Lieder, wie im heutigen Programm die Brentano-Vertonung «Ich wollt ein Sträusslein binden». Daneben gehören einige Lieder nach der Pause einem neuen Liedstil an, der teilweise auf einen äusseren biographischen Anlass zurückzuführen ist. Strauss komponierte sie für den Verlag Bote & Bock, nachdem er ein versprochenes Liedheft wegen Meinungsverschiedenheiten vernachlässigt hatte und nun, zur Erfüllung des Versprechens gezwungen, glaubte, dies mit dem skurril-boshaften «Krämerspiegel» (Texte Alfred Kerr) abgelten zu können. Das wurde natürlich nicht akzeptiert. Als Schadenersatz schrieb er die drei knappen, eher einfachen Ophelia-Lieder und fügte dem Opus 67 wenig später drei Lieder aus Goethes «West-östlichem Divan» (Rendsch Nameh, Buch des Unmuts) hinzu – erneut eine boshafte Wahl, nannte sie doch Strauss «Lieder des Unmuts». In der zweiten Liedphase kam es immer wieder zu Pausen, und mehrfach stellte der Komponist länger auseinander liegende Lieder zu einem Opus zusammen.

Es fällt auf, dass Strauss, obwohl es bei ihm mehrere Opera mit Texten eines einzigen Dichters gibt, kaum eine echte zyklische Gestaltung oder engere Bezüge der Gedichte bzw. der Dichter zueinander gesucht hat, wie man es von den Liedzyklen der Romantik kennt. Schon gar nicht hat er an «Liedsinfonien» wie Mahlers «Lied von der Erde» oder Zemlinskys «Lyrische Sinfonie» gedacht. Wie er selbst festgehalten hat, war seine Gedichtwahl eher zufällig-spontan und auf Einzelgedichte, nicht auf Zyklen ausgerichtet: «Ich nehme ein Gedichtbuch zur Hand, blättere es oberflächlich durch, es stösst mir ein Gedicht auf, zu dem sich, oft bevor ich es nur ordentlich durchgelesen habe, ein musikalischer Gedanke findet. (...) Offenbar hatte sich da innerlich Musik angesammelt u. zwar Musik ganz bestimmten Inhaltes – treffe ich nun da, wenn sozusagen das Gefäss bis oben voll ist, auf ein auch nur ungefähr dem Inhalt correspondierendes Gedicht, so ist das opus im Handumdrehen da.»

Die «Vier letzten Lieder» – der Titel ist apokryph (wohl vom Verleger Ernst Roth) – bilden für uns eine Art Zyklus, einen vom Ende des Komponierens und vom Abschied von dieser Welt, auch wenn sie ursprünglich nicht als solcher gedacht waren. Sie sind (von einer kleinen Ausnahme und vom Fragment eines Chorlieds von 1949 abgesehen) Strauss’ letzte Kompositionen. Er ging vom Eichendorff-Gedicht aus (komponiert am 6. Mai 1948 in Montreux), dem einzigen, das er von diesem Dichter als Sololied vertont hat. Die drei Hesse-Vertonungen folgten in der Reihenfolge «Frühling» (18. Juli), «Beim Schlafengehen» (4. August, beide in Pontresina) und «September" (20. September, wieder in Montreux). Die Textwahl geschah wohl erneut wie oben beschrieben. Die vom mit Strauss befreundeten Verleger veranlasste Neuanordnung zeigt eine andere, zum Zyklus geschlossene Reihenfolge. Er findet nun im Eichendorff-Lied mit den Worten «Wie sind wir wandermüde – Ist dies etwa der Tod?» seinen Abschluss, was im Nachspiel mit dem instrumentalen Selbstzitat aus der Tondichtung «Tod und Verklärung» op. 24 von 1889 bestätigt wird. Strauss starb am 8. September 1949 in Garmisch. Die Uraufführung der «Vier letzten Lieder» sang Kirsten Flagstad 1950 am 22. Mai – ist es Zufall, dass dies Wagners Geburtstag ist? – in London unter dem Dirigat von Wilhelm Furtwängler.

Nordischer Exkurs

In einem Einschub nach der Pause stellt die Sängerin Strauss vier Lieder von nordischen Komponisten gegenüber, die teilweise seine Zeitgenossen waren. Ihre Lieder sind hierzulande wenig bekannt. Grieg war durch sein Studium in Leipzig (1858-1862) mit der deutschen Literatur vertraut, fand aber durch Ibsen, Björnson und andere Zugang zu norwegischen Originaltexten. Die stärkste Verbindung zum Lied bot ihm seine Frau Nina Hagerup, die zugleich seine Cousine und eine hervorragende Sängerin war. Er hat für sie mehrere Liedopera komponiert. Aus einem, dem postum erschienenen op. 48, stammt die an Brahms anklingende Goethe-Vertonung von 1889 – was zeitlich der oben erwähnten Tondichtung «Tod und Verklärung» von Strauss entspricht.

Sibelius, ein genauer Zeitgenosse von Strauss, den er um acht Jahre überlebte, gehörte der schwedischsprachigen Minderheit in Finnland an. So sind denn auch die Lieder aus dem op. 37 auf schwedische Texte komponiert. Insgesamt hat er rund 90 Klavierlieder komponiert. Der romantische Höhepunkt findet sich im op. 37. Die Runeberg-Vertonung ist eine dreistrophige tragische Ballade im Volksliedton, dessen Traurigkeit im einfachen Akkordsatz des Klaviers zum Ausdruck kommt. Als «Perle seiner lyrischen Produktion» hat man die Vertonung des Gedichts von Wecksell bezeichnet. Er widmete es seinem Lieblingssopran Ida Ekman und übergab ihr das Manuskript mit den Worten: «Bitte schön, hier mein schönstes Lied!»

Am wenigsten kennt man bei uns Anders Johan Ture Rangström. Er studierte in Stockholm und in Berlin bei Hans Pfitzner, blieb aber weitgehend Autodidakt. Zudem war er ausgebildeter Sänger, was wohl der Anlass für die Komposition von über 300 Liedern (einige auch auf eigene Texte) war, und wirkte als Gesangslehrer in Stockholm. Er gilt als einer bedeutendsten schwedischen Liedkomponisten. Zudem hat er vier Sinfonien, ein Streichquartett und Opern komponiert. 1922-1925 war er Dirigent der Göteborger Sinfoniker, wenn auch ohne Glück. Ausgehend von einer romantischen Tonsprache fand er mit der Zeit zu einer modernen Kompositionsweise. Aus den Jahren der erwähnten Dirigententätigkeit stammt das heute aufgeführte Lied.

«Kalkulierte Zugabe»: das allerletzte Lied von Strauss

Es fehlt noch die Geschichte der erwähnten kleinen Ausnahme. Sie sei hier erzählt, denn nach den «Vier letzten Liedern» darf dieses «allerletzte Lied» von Strauss nicht fehlen. Dass es als Zugabe erklingt, hat zwei Gründe: Kann man nach den «Vier letzten Liedern» noch ein Einzellied aufs Programm setzen? Die Antwort müsste «nein» lauten, doch gibt es einen Grund für ein «Ja» – wie die Uraufführung zeigt. Es wurde erstmals am 10. Januar 1985 in New York von Kiri Te Kanawa zur grossen Überraschung des Publikums nach den «Vier letzten Liedern» als «kalkulierte Zugabe» gesungen. Diesem Vorgehen schliessen wir uns an.

Doch wie kam es zur Komposition des Liedes «Malven», von dem bis 1984/85 kaum jemand wusste? Und warum erfolgte die erste Aufführung erst gut 36 Jahre nach der Entstehung?

Nach Abschluss der «Vier letzten Lieder» blieb Strauss in der Schweiz und hielt sich wieder im Hotel Palace in Montreux auf. Hier fiel ihm zufällig ein Gedicht der kaum bekannten Glarner Schriftstellerin, Betty (Wehrli-)Knobel (1904-1998), in die Hände. Sie hatte soeben ein Bändchen mit Gedichten veröffentlicht, auf welches in der «Weltwoche» vom 29. Oktober 1948 unter Abdruck von «Malven» verwiesen wurde – ein schöner Beleg für den oben geschilderten spontanen Zugang von Strauss zu Liedtexten. Er vertonte es am 23. November. Im März 1949 schickte er das Originalmanuskript nach New York als Dankeszeichen für Maria Jeritza (1888-1983), welche für ihn die wohl bedeutendste Sängerin seiner grossen Sopranrollen gewesen war (u. a. UA «Ariadne» und «Frau ohne Schatten») mit der Widmung «Der geliebten Maria – diese letzte Rose». (Auch «September» aus «Vier letzte Lieder» ist ihr und zudem ihrem Mann gewidmet.) Er bat die Jeritza, die ihm bei Problemen mit der Freigabe seiner Kompositionen in den USA behilflich war, um Rücksendung einer Kopie, erhielt diese aber nie. Erst im Nachlass der Sängerin fand man das Manuskript. Es wurde am 12.12.1984 bei Sotheby’s versteigert – und so erklang das Lied erstmals Anfang 1985.