Eine andere (Klang-)Welt zeigt das zwei Jahre später entstandene B-dur-Quartett – als Parallele könnte man den Unterschied zwischen der 1. und 2. Sinfonie heranziehen. Es darf geradezu als klassisch, ja klassizistisch gelten, ist schlichter und weniger von motivischer Arbeit geprägt als die beiden Vorgänger, wirkt heiter und freier. Brahms dürfte aufgrund der erfolgreichen Ausarbeitung der 1. Sinfonie richtig entspannt gewesen sein. Neben der Umarbeitung der 1. Sinfonie arbeitete er am Quartett im Frühlings- und Sommerurlaub 1875 im hübsch gelegenen Ziegelhausen am Neckar östlich von Heidelberg; er vollendete es im folgenden Winter in Wien. Im Mai 1876 spielte das Joachim-Quartett das Werk im privaten Rahmen bei Clara Schumann in Berlin, im Herbst öffentlich ebendort; kurz danach folgte das Hellmesberger-Quartett in Wien. Schon der Beginn mit einer (bewussten?) Anspielung auf die Hornrufe in Mozarts Jagdquartett KV 458 oder vielleicht auch als Selbstzitat aus dem Scherzo des Streichsextetts op. 18, beides Werke in B-dur, gibt den Grundton an. Rhythmisch wird das Spielerische durch die Gegenüberstellung und zeitweise Überlagerung von 6/8- und 2/4-Takt geleistet. Das romanzenhafte Andante in F-dur zeigt dreiteilige Liedform, wobei der Mittelteil, meist in d-moll, freier und dramatischer ist. Besonders angetan war Brahms vom dritten Satz, den er als zärtlich und leidenschaftlich zugleich auffasste. Es handelt sich erneut mehr um ein Intermezzo als um ein echtes Scherzo, das aber Elemente aus dem scherzohaften Hauptthema des Kopfsatzes übernimmt. Auffällig ist die führende Rolle der Bratsche, während Geigen und Cello mit Dämpfer zu spielen haben. Dafür hat sie am Beginn des a-moll-Trios zu schweigen, als ob Brahms auf die Bezeichnung dieses Teils anspielen wollte, doch bald darf sie auch hier ihre Führungsrolle übernehmen. Die Klanglichkeit der Instrumentation gibt dem Satz etwas Notturnohaftes. Das Finale mit Thema und acht Variationen, in denen Brahms seine Meisterschaft in dieser Form beweist, erhält auch umfangmässig das grösste Gewicht im Quartett. Anspielungen fehlen auch hier nicht: Taucht da nicht in der 7. Variation das Jagdthema aus dem Kopfsatz wieder auf? Dass es Brahms’ Lieblingsquartett war, überrascht nicht.
Der Komponist und Kompositionsprofessor Endre Szervánszky (1911-1977) hatte sich als einer der ersten in Ungarn in den fünfziger Jahren mit Webern auseinandergesetzt. 1959 schrieb er mit den «Sechs Orchesterstücken» das erste ungarische Werk in Zwölftontechnik nach dem 2. Weltkrieg. Seine Vorbilder waren früher natürlich auch Bartók und Kodály gewesen. Elf Jahre nach seinem Tod hat György Kurtág mit dem «Officium breve» seiner gedacht. Schon der Titel deutet auf eines der Hauptstilmittel Kurtágs hin, die Kürze – und die hat Kurtág natürlich von Webern, der auch sein Vorbild war, übernommen. Die fünfzehn Sätze dauern knapp 12 Minuten. Der Bezug zu Webern ist im op. 28 (was auch die Opuszahl von Weberns Streichquartett ist) noch viel konkreter als in der Kürze gegeben. Kurtág bezieht sich auf den Doppelkanon aus dem Schlusssatz der 2. Kantate op. 31, Weberns letztem Werk von 1941-1943, der seinerseits ohne die intensive Beschäftigung mit der Vokalpolyphonie des 15. und 16. Jahrhunderts nicht möglich gewesen wäre. Er verwendet ihn in mehreren Sätzen bzw. spielt mit seinen Elementen, so im 5. Satz als Fantasie über dessen Harmonien; im siebten nutzt er die Aussenstimmen, im zehnten transkribiert er ihn direkt einen Ton höher auf die Streicher. Der ganze fünf Takte lange 6. Satz ist seinerseits eine Hommage à Webern in Kanonform. Ein weiteres Zitat gilt dem Komponistenfreund Szervánsky: Nach Anspielungen in den Sätzen 3 und 12 eröffnen die zwölf Anfangstakte in C-dur des Larghetto seiner Streicherserenade von 1947/48 den Schlusssatz dieses – wie Kurtág es nannte – «Mini-Requiem».