Jos van Immerseel stammt aus Antwerpen, wo er Klavier, Orgel, Gesang und Orchesterleitung studiert hat; später studierte er auch Cembalo. Er ist sowohl als Hammerklavierspezialist wie auch als Leiter der Anima Eterna, die er nach sich selbst latinisiert benannt hat, weltweit bekannt. Mit diesem klein besetzten Orchester beschränkt er sich nicht auf Barock und Klassik, sondern interpretiert inzwischen – jeweils mit Instrumenten der entsprechenden Epoche – auch Musik des späteren 19. und frühen 20. Jahrhunderts (Debussy, Ravel). Wichtig ist ihm, immer zu den Ursprüngen und Quellen der Musik zu gehen, ob das nun Kompositionen oder Instrumente betrifft. Mit grosser Leidenschaft befasst er sich natürlich mit der Klavierfamilie und besitzt eine grosse Zahl von Originalen und Nachbauten – vom Klavichord bis zur Hammondorgel. Immerseel unterrichtet weltweit an bedeutenden Musikinstituten und leitete einige Jahre das Sweelinck Conservatorium in Amsterdam; er war auch Gastdozent an der Schola Cantorum Basiliensis. Heute liegt der Schwerpunkt seiner Tätigkeit in Brügge. Jos van Immerseel spielt einen Hammerflügel aus eigenem Besitz.
Wer war sie, Beethovens «unsterbliche Geliebte» des nie abgeschickten Briefs von Anfang Juli 1812, die später zur «entfernten» und zuletzt – das im April 1816 komponierte op. 98 zielt gewiss auch auf sie – zur «fernen Geliebten» wurde? Forschungen haben es – wenn auch nur mit Indizien – wahrscheinlich gemacht, dass es sich um Josephine Brunsvik (1779-1821, verheiratete Deym bzw. später Stackelberg) handelt. Beethoven kannte sie seit 1799 und hatte mit ihr 1804-07 eine intensive Liebesbeziehung. Vermutlich ist er ihr, wie der Brief nahelegt, Anfang Juli 1812 in Prag wieder begegnet. Vielleicht war Josephines am 8. April 1813 geborene Tochter Minona (gest. 1897) ein Kind Beethovens, was aber nicht bewiesen ist. Am 10. Februar 1816 trafen sie sich in Wien in Josephines Haus bei Schuppanzighs Abschiedskonzert wieder und darauf vermutlich noch mehrmals. Irgendwann im ersten Halbjahr 1816 hat sich Beethoven zum Verzicht durchgerungen – aus welchen Gründen auch immer. So ist es denkbar, dass das op. 98 ein ernst zu nehmendes Zeugnis dafür ist. Die Gedichte dieses ersten inhaltlich fest verbundenen Liederkreises der Musikgeschichte hat der auch sonst literarisch tätige Alois Isidor Jeitteles (1794-1858), der bis 1819 in Wien studierte und später in Brünn als Arzt tätig war, 1816 vielleicht in Beethovens Auftrag verfasst. Dass die Gedichte nie separat veröffentlicht wurden, spricht dafür. Im ersten Gedicht hat Beethoven sogar eine eigene Strophe eingefügt. Es geht um die Liebe zu einer jetzt unerreichbaren Frau – «Ich fand nur eine, die ich wohl nie besitzen werde», schrieb Beethoven im Mai 1816 an Ferdinand Ries. Die Natur soll die Verbindung zwischen den Liebenden herstellen, doch das ist Illusion. So bleibt die Musik, die Lieder Beethovens (wohl konkret der Zyklus), um diese Beziehung aufrecht zu erhalten («und du singst, was ich gesungen»). Kurz vor der Schlussstretta nimmt Beethoven die Anfangsmelodie des ersten Liedes wieder auf: «Dann vor diesen Liedern weichet, was geschieden uns so weit.» Mit «ein liebend Herz erreichet, was ein liebend Herz geweiht» setzt das rasche Tempo ein und führt den Zyklus schwungvoll (und zuversichtlich?) zum Ende. Ist es Zufall, dass dazu ein mehrfach wiederholtes Motiv erklingt, das im Andante favori (WoO 57, 1803/04), dem ursprünglichen Mittelsatz der «Waldstein-Sonate», vorgebildet ist und das auch als Josephine-Thema bezeichnet wird? Beethoven hatte das Stück Josephine mit den Worten «Hier – ihr – ihr – Andante» zukommen lassen. Der ganze Zyklus ist komplex strukturiert und die Lieder sind durch Klavier-Überleitungen in eine ganzheitliche Folge, vergleichbar einer Instrumentalfantasie, gebracht. Die präzis angegebenen Tempi – sie sind darum im Programm angegeben – und ihre Relationen verstärken diese Struktur. Im Gegensatz zur einmalig durchkomponierten Grossform sind die einzelnen Lieder selbst einfach gehalten. Die Verbindung dieser Eigenheiten macht die Ausdrucksstärke des Werks aus. Vor allem das letzte Lied des Zyklus («Nimm sie hin denn, diese Lieder...») war bei verliebten Komponisten der Romantik, insbesondere im Umfeld Clara Schumanns, eine beliebte Zitatenquelle und gibt dem Original einen weiteren Reiz. Robert Schumann zitiert die Passage mehrfach, am schönsten in der C-dur-Fantasie op. 17, und Brahms bringt sie im Klaviertrio op. 8, das er 1854, in Clara verliebt, komponiert hatte; in der 2. Fassung von 1891 strich er sie – längst waren diese Gefühle vorbei.
Bei einem Aufenthalt in Wien 1825 hatte Ludwig Rellstab Beethoven seine Gedichte zukommen lassen mit der Bitte, er möge sich «zur Composition entschliessen». Der aber wollte nicht – und Rellstab erhielt sie nach dessen Tod zurück. In seinen Memoiren berichtet er, einige der Gedichte seien «mit Bleistiftkreuzchen von Beethovens eigener Hand versehen» gewesen. Und siehe, es waren genau die, welche Schubert 1828 vertont hat (Se non è vero...). Nun ist dieser sogenannte «Schwanengesang» kein eigentlicher Zyklus wie der Beethovens oder wie «Die schöne Müllerin» und «Die Winterreise» nach den Gedichtzyklen von Wilhelm Müller. Zwar hat Schubert die sieben Gedichte Rellstabs sowie sechs aus dem Gedichtband Heimkehr von Heine (wie Schubert Jahrgang 1797), zwei unabhängige Gedichtgruppen, in einem Manuskriptkonvolut vertont. Ob er sie als zusammengehörig ansah, ist unklar, hat er doch die Heine-Lieder im Oktober dem Verleger Probst in Leipzig separat angeboten. Den dichterischen Vorlagen entsprechend sind die Rellstab-Vertonungen konventioneller. Sie behandeln nach Martina Gredler in loser Reihung ein Thema: «Entfernung – von der Geliebten, von Freunden oder der Hei-
mat –, Sehnsucht und Einsamkeit». Es stehen sich hellere Lieder in der Art der Müllerin (Nr. 1, 3, 4) und die dramatisch-emotionale Nr. 5, düstere (Nr. 2 und 6, dieses in der penetranten Betonung der Gleichförmigkeit der Endreime erschütternd hoffnungslos) und die wehmütige Heiterkeit von Nr. 7 gegenüber. Die Heine-Lieder dagegen gehören zum modernsten und eindringlichsten, was Schubert geschrieben hat. Gewaltig die Stimmungen und die Brüche in diesen Liedern! Nur Das Fischermädchen in einer scheinbar heiteren Barcarole lässt einen anderen Ton anklingen, schliesst aber die Gefahr des wilden Meers und der ebenso wilden Gefühle mit ein – und steht als positiveres Gegenstück gleich hinter «Ihr Bild». Romantische Bilder stellt uns Schubert in Die Stadt, das an zeitgleiche Bilder Caspar David Friedrichs erinnert (Brahms hat die unheimliche arpeggierende Klavierfigur im Adagio seines 2. Klavierquartetts op. 26 aufgenommen), und in Am Meer musikalisch vor Augen. Mit einfachsten Mitteln evoziert er, der das Meer nie gesehen hat, sowohl die stille Weite wie auch das halb Wunderbare, halb Unheimliche von Brandung und aufsteigendem Nebel, alles in Verbindung mit einer wunderbar lyrischen Melodie. Erst die Schlussstrophe lässt die Gefährlichkeit und die Gefährdung des literarischen Ich auf- und ausbrechen. Der Atlas und noch mehr Der Doppelgänger erschüttern mit ihrem Ausdruck und ihren dynamischen Extremen; nicht zufällig bilden sie Beginn und Abschluss dieser gewaltigen Liedgruppe.
Einen Monat nach Schuberts Tod am 19. November 1828 liess sein Bruder Ferdinand die Lieder dem Wiener Verleger Tobias Haslinger zukommen. Im Januar 1829 kündigte dieser in der Wiener Presse vierzehn Lieder von Franz Schubert’s Schwanengesang, «die letzten Blüthen seiner edlen Kraft, die er im August 1828, kurz vor seinem Dahinscheiden, geschrieben», an. Erst hier tritt der Titel «Schwanengesang» auf; er stammt von Haslinger. Er war es wohl auch, der als 14. Lied die so ganz anders geartete, idyllische Taubenpost auf den Text des Schubertfreundes Seidl beigefügt hat, da er davon ausging, dass es sich um die letzte Liedkomposition Schuberts handelt. Inhaltlich schlägt das Lied geradezu einen Bogen zurück zum Beethoven-Zyklus.