Der Leitspruch Prima la musica gilt für George Enescu in erweitertem Sinn, gehörte er doch ab seiner Kindheit zu den musikalischen Ausnahmetalenten. Geboren wurde er in einem Dorf im moldawischen Nordost-Rumänien, das heute seinen Namen trägt. Seine Eltern musizierten zwar, doch war Musik nicht ihr Beruf. Dem Vierjährigen brachte ein Zigeunergeiger das Violinspiel bei. Und bereits mit gut sieben Jahren kam er nach Wien, wo er von Joseph Hellmesberger d. J., der ihn auch im Violinspiel unterrichtete, gefördert wurde. Kompositions- und Kontrapunktunterricht erhielt er bei den Brüdern Robert und Johann Nepomuk Fuchs. 1894 schloss er seine Studien mit dem Prädikat „Ausgezeichnet“ ab und lernte im gleichen Jahr Brahms kennen, der für ihn zum Vorbild wurde, obwohl er sich auch für Wagner begeisterte. 1895 setzte er seine Studien in Paris bei André Gédalge (Fuge), Massenet und Fauré fort. Mitschüler waren Ravel und Charles Koechlin. Als grandioser Geiger (1er Prix am Conservatoire 1899), später auch im Klaviertrio mit Cortot und Casals und im eigenen Streichquartett, machte er rasch Karriere und wurde ein bedeutender Lehrer. Yehudi Menuhin, Arthur Grumiaux, Christian Ferras und Ida Haendel gehörten zu seinen Schülern, Menuhin wurde ihm auch zum Freund. Er war auch ein hervorragender Pianist; zudem hatte er ein phänomenales Gedächtnis, so dass er imstande war, auf dem Klavier Wagners Gesamtwerk oder als Geiger Ravels neue Violinsonate nach einmaligem Durchspiel auswendig zu spielen. Doch Enescu, der in Frankreich Georges Enesco hiess, wollte seit seiner Kindheit vor allem Komponist sein. Den Durchbruch schaffte er 1897 mit seinem Opus 1, dem „Poème roumain“ (mit Männerchor). Drei Jahre später entstand das rund 40 Minuten dauernde Streichoktett op. 7; ihm waren im Bereich Kammermusik ein Klavierquintett, ein Klaviertrio, 2 Violinsonaten, eine Cellosonate und ein Streichtrio vorangegangen. Das viersätzige Oktett ist – darin dem wenig später entstandenen 1. Streichquartett Schönbergs vergleichbar – als Grossform angelegt und bildet als Ganzes einen übergreifenden Sonatensatz mit neun Themen. Das Hauptmaterial mit sechs Themen wird im Kopfsatz eingeführt; er bildet die Exposition des ganzen Werkes. Der zweite Satz, zugleich das Scherzo, basiert auf dem ersten, dynamischen Thema, während der dritte, der in seiner Ruhe als langsamer Satz fungiert, das lyrische Seitenthema vertritt. Er leitet direkt ins Finale über, welches mit seiner freien Wiederaufnahme des Materials die Reprise bildet. Nicht verwunderlich, dass das Hauptthema nochmals dominierend in Erscheinung tritt.
Prima la musica, dopo le parole – oder vielleicht doch umgekehrt? Die alte artifizielle Streitfrage des 18. Jahrhunderts bildet die um viel Menschliches (es geht auch um die Entscheidung in einer Liebessache) erweiterte Grundlage der letzten eigentlichen Oper von Richard Strauss, dem Konversationsstück „Capriccio“ (uraufgeführt am 28. Oktober 1942 in München, Text Clemens Krauss). Ein Dichter und ein Komponist werben um die Liebe der verwitweten jungen Gräfin Madeleine. Die Geburtstagsgabe für sie soll die Entscheidung bringen. Wer wird siegen: „Wort oder Ton? – Sie wird es entscheiden!“ Der Dichter hat ein Sonett geschrieben (im Stück ein Originaltext von Pierre de Ronsard), der Komponist ein Streichsextett. In raffinierter Weise bildet dieses Kammermusikstück, das zu Beginn der Oper gespielt wird, sowohl eine Art Ouvertüre als auch den Einstieg in die Handlung und somit einen Bestandteil der Oper. Es stellt zugleich das wichtigste musikalische Material der Oper vor. Selten führt ein Vorspiel so organisch in die Handlung ein. Sie spielt in einem Rokokoschloss des Ancien Régime in der Nähe von Paris. Die vielädrige Polyphonie und der berückende Klangreiz dieses Spätlings, der auf die „Metamorphosen für 23 Solostreicher“ (1944/45 für Paul Sacher, ursprünglich ein Streichseptett) vorausweist, können auch heute bezaubern – es sei denn, es gehe Ihnen, verehrtes Publikum, wie dem Theaterdirektor La Roche, der nach der Aufführung zum Komponisten sagt: „Die Gräfin erhebt sich, noch sichtlich bewegt von deiner Musik. War sie wirklich so schön? Schade, schade, ich habe sie verschlafen.“ Denn „bei sanfter Musik schläft sich’s am besten.“ Wird die Musik bzw. der Komponist gewinnen oder das Sonett des Dichters – oder womöglich das vertonte Gedicht? Oder gar eine Oper, wie La Roche vorschlägt? In ihrer Schlussszene lässt die Gräfin die Frage offen, kann sich nicht entscheiden: „Wählst du den einen – verlierst du den andern! Verliert man nicht immer, wenn man gewinnt?“ In diesem Gefühl soll sie den Schluss der Oper finden und fragt sich: „Gibt es einen, der nicht trivial ist?“
Ein weiterer Komponist, für den der Vorrang der Musik in ganz jungen Jahren klar war, war Mendelssohn – und der war doch in vielen Bereichen hochbegabt. Seine Jugendkompositionen sind vielleicht nicht alle von höchster Bedeutung, aber meist gut gemacht und anspruchsvoll, technisch wie künstlerisch. Viel Kammermusik ist darunter: ein Klaviertrio (1820), ein Streichquartett, 4 Klavierquartette, 3 Violinsonaten etc. 1825 dann das erste Meisterwerk, dem auch sein Lehrer, der Traditionalist Zelter, seinem Freund Goethe gegenüber attestierte, es sei vollendet und habe "Hand und Fuss". Kaum je war Mendelssohn so originell, und zugleich so jugendlich frisch, übermütig und kompositorisch perfekt, ja sogar "gelehrt". Im Gegensatz zu den Doppelquartetten von Louis Spohr, in denen beinahe blockhaft die beiden Quartette gegenüberstehen, legt Mendelssohn grösseren Wert auf eigentliche Achtstimmigkeit. Besonders deutlich wird dies im kontrapunktisch gehaltenen Finale, einer Verbindung von Rondo und Sonatensatz mit fugierten Teilen. Hier dürfte der Einfluss Zelters, dem Mendelssohn eine intensive kontrapunktische Ausbildung verdankte, besonders spürbar sein – aber ohne dass die Musizierfreude unter gelehrtem Ballast verloren ginge. Im Scherzo finden wir erstmals so deutlich den später, insbesondere in der Sommernachtstraummusik, aber auch in den Quartetten, typischen Elfenstil. Luftig huscht es vorüber, als ob eine Schar von Kobolden sich der Instrumente bemächtigt hätte. Mendelssohn berief sich laut seiner Schwester Fanny auf den Schluss der „Walpurgisnacht“ in Goethes Faust I (mit Vortragsbezeichnung pianissimo!): „Wolkenzug und Nebelflor / Erhellen sich von oben. / Luft im Laub und Wind im Rohr, / Und alles ist zerstoben.“ Gleich zu Beginn des Kopfsatzes fällt die geradezu solistische Behandlung der 1. Violine auf. Das verwundert nicht, widmete doch Mendelssohn das Oktett seinem Geigenlehrer Eduard Rietz und schenkte ihm dabei quasi ein kleines Violinkonzert. Im folgenden Jahr schrieb der Siebzehnjährige sein zweites frühes Meisterwerk, die Ouvertüre zum "Sommernachtstraum". Max Bruch hielt das Oktett für das "grössere Wunder".