Konzerte Saison 2011-2012

  • 14.2.2012
  • 20.15
  • 86.Saison
  • Zyklus A
Stadtcasino Basel, Hans Huber-Saal

Quatuor Ébène (Paris)

Kaum fünf Jahre nach seiner Gründung gewann das Quatuor Ebène als erstes französisches Streichquartett 2004 den 1. Preis im Internationalen ARD Wettbewerb München, dazu den Publikumspreis, den Preis der Karl-Klingler-Stiftung und zweimal den Preis für die beste Interpretation. Im Jahr zuvor hatte es ex-aequo den 2. Preis (einen 1. gab es nicht) im Concours International de Bordeaux gewonnen, dazu den Preis für die beste Interpretation eines zeitgenössischen Werks: Es handelte sich um das Pflichtstück Alive von E. Canat de Chizy, welches es seither im Repertoire führt. Es hat es 2007 auch in unseren Konzerten aufgeführt. 1999 war das Quartett von vier Schülern des Conservatoire National de Région de Boulogne-Billancourt gegründet worden. Es folgten Studien beim Quatuor Ysaÿe am Conservatoire National Supérieur de Paris und bei Gábor Takács in Genf. 2004 nahm es an einer Meisterklasse von György Kurtág teil, 2006 wurde es in das «New Generation Artists»-Programm der BBC aufgenommen. Innert kürzester Zeit entwickelte sich das Ensemble vom hervorragenden Nachwuchsquartett zur international renommierten Spitzenformation. Seit 2007 tritt das Quatuor Ebène regelmässig bei wichtigen Festivals und in den bedeutendsten Sälen Europas, aber auch in Amerika auf, wo es zudem an der renommierten Colbum School in Los Angeles unterrichtet. Es pflegt ausserdem mit grossem Vergnügen und Können Grenzüberschreitungen zum Jazz und zur Rock- Pop- und Filmmusik. Seine Einspielungen (Jazz-Album «Eros et Thanatos» 2002, Haydn 2006, Bartóks Nr. 1 bis 3 2007, Debussy, Ravel und Fauré 2008, Brahms 2009, Mozart 2011) und seine Konzerte erhalten begeisterte Kritiken. Einen Riesenerfolg bildete 2010 die CD «Fiction» mit Jazz- und Popstücken. So verwundert es nicht, wenn ein Kritiker der New York Times 2009 titelte: «Ein Streichquartett, das sich mühelos in eine Jazzband verwandeln kann.» 2007 und 2008 begeisterte es mit Werken von Haydn, Schumann, Ravel, Bartók und Canat de Chizy auch unser Publikum, nicht zuletzt mit der Zugabe aus «Pulp Fiction».
Ein italienischer Käufer soll dem Verleger Artaria die Noten von Mozarts Haydn-Quartetten mit der Bemerkung zurückgeschickt haben, sie seien voller Fehler des Stechers. Und der Komponist Giuseppe Sarti kritisierte sie, weil Mozart wie ein Klavierspieler schreibe, der zwischen Dis und Es nicht unterscheiden könne. Die Kritik zielte gewiss auf die 22 Takte der Einleitung zum Kopfsatz des C-dur-Quartetts. Obwohl es lange vor Mozart kühnere harmonische Reibungen gegeben hatte, erregte ihr Auftauchen in einem Streichquartett und der Umstand, dass die Dissonanzen so gar nicht zur Klarheit der folgenden Sätze passen wollten, Unmut. Aber vielleicht war es gerade das, was Mozart suchte: So wird einem das C-dur, und zwar gleich am Beginn des Kopfsatz-Allegro, wo es mit Leuchtkraft erscheint, wirklich bewusst. Das lyrische Andante trägt etwas Melancholie in das Werk hinein. Das Menuett lebt vom Wechsel piano – forte, der sich im c-moll-Trio mit seinen Klagemotiven fortsetzt. Das Finale, ein Sonatenrondo mit drei Themen, lässt das C-dur wieder aufleuchten und bietet ein Musterbeispiel für Mozarts Fähigkeit, Leichtes und Kunstvolles zu kombinieren. Da wundert man sich, wenn ein Kritiker der sechs Quartette 1789 bemerkte, dass Mozart «einen entschiedenen Hang für das Schwere und Ungewöhnliche hat». Dabei hat sich Leopold Mozart gerade über die letzten drei der Haydn-Quartette, zu denen das C-dur-Quartett mit KV 458 und 464 gehört, so geäussert: «Sie sind zwar ein bischen leichter, aber vortrefflich componiert.» Mozart trug das C-dur-Quartett am 15. Januar 1785 in sein Werkverzeichnis ein. Bereits am nächsten Tag führte er es mit den fünf andern dem Widmungsträger Haydn und Freunden vor und wiederholte die letzten drei am 12. Februar – wieder im Beisein Haydns. Dieser hat bekanntlich danach zu Leopold, der wohl als Primgeiger an der Aufführung beteiligt war, von Mozart gesagt, er habe «Geschmack, und überdies die grösste Compositionswissenschaft». Dies hätte er kaum von einem Komponisten gesagt, der Dis und Es nicht unterscheiden kann.

Schuberts Neubeginn im Quartettschaffen scheiterte zunächst – wie jener in der Sinfonie. Im Gegensatz zur Sinfonie, wo aus den Jahren 1818 bis 1824 vier Versuche, darunter die berühmte «Unvollendete», vorliegen, gibt es im Quartettschaffen jener Zeit nur einen abgebrochenen Anlauf, den c-moll-Quartettsatz (zu dem noch 41 Takte eines langsamen Satzes kommen) von 1820 (D 703). Operierte dieser Sonatensatz mit extremen Gegensätzen, c-moll-Unruhe einerseits und lyrisch weitgespannter Kontrastmelodie im Seitensatz andererseits, so lebt das vier Jahre später vollendete a-moll-Quartett fast durchweg vom lyrisch Zurückgenommenen. Unruhe allerdings fehlt nicht. Das a-moll-Quartett sei, so schrieb Schuberts Freund, der Maler Moritz von Schwind, «im ganzen sehr weich, aber von der Art, dass einem Melodie bleibt wie von Liedern, ganz Empfindung». Tatsächlich klingen Lieder an: Im 1. Satz, der weich zwischen der Unruhe der Begleitfiguren und der Ruhe der Kantilene schwankt, ist es das zehn Jahre ältere Gretchen-Lied «Meine Ruh ist hin» (D 118). Eine ganz andere Unruhe als jene des c-moll-Satzes! Zu Beginn des wenig tanzhaften Menuetts erklingt im Cello ein Motiv, das an den Beginn des Schiller-Liedes «Die Götter Griechenlands» (D 677, 1819) erinnert, das A-dur-Trio zitiert daraus die Melodie zu «Kehre wieder, holdes Blütenalter der Natur». Anders als im zeitgleich geplanten d-moll-Schwesterwerk, welches die Unruhe und Unheimlichkeit des c-moll-Satzes wieder aufgreift, verwendet Schubert im 2. Satz 16 Takte lang nicht etwa ein Lied, sondern den 2. Entre-Act aus der Schauspielmusik zu «Rosamunde», schreibt aber keine Variationen dazu. (Das wird er 1827 im B-dur-Impromptu D 935/3 nachholen.) Das liedhafte Stück dient im Schauspiel dem nachdenklichen Zurückblicken – und so wirken auch die Anklänge im Quartett. Sogar das alla zingarese im Finale legt mehr Wert auf Besinnlichkeit als auf Kehraus. Darin zeigt sich nicht, wie man lange geglaubt hat, Schuberts Unfähigkeit, unabhängig von Liedern zu komponieren, sondern ein gezieltes, in der entscheidenden Phase der Neuorientierung reflektierendes Zurückblicken, das in anderer Weise auch im d-moll-Quartett geschieht (Liedvariationen über «Der Tod und das Mädchen», Anklänge an «Erlkönig» etc.). Das «Rosamunde»-Quartett scheint in letzter Zeit besonders beliebt zu sein. Auch in unseren Konzerten war es in den letzten Jahren dreimal zu hören: Ende 2005 mit dem Artemis, 2007 mit dem Kuss und 2009 mit dem Bennewitz Quartett.

Tschaikowskys erstes Streichquartett hat – für ein Kammermusikstück eher selten – einen ziemlich banalen äusseren Anlass. Nikolai Rubinstein, der Direktor des von ihm gegründeten Moskauer Konservatoriums, Freund und Förderer Tschaikowskys, der ebenda Harmonielehre unterrichtete, hatte ihm geraten, ein Konzert mit eigenen Werken durchzuführen, um sein eher bescheidenes Gehalt aufzubessern. Weil ihm dafür aber ein grösseres Stück fehlte, schrieb der Komponist im Februar 1871 in aller Eile dieses erste Quartett – und hatte damit sogleich Erfolg: Publikum und Kritik nahmen das Quartett begeistert auf. Es ist musikantisch-spielfreudig und weist einen unverkennbaren russischen Tonfall auf. Im Kopfsatz allerdings, dessen Thema mit seinem synkopierten 9/8-Takt so eigenartig wirkt, hat man auch schon Schubert-Anklänge festgestellt. Das Andante in B-dur, durchwegs con sordini zu spielen, hat 1876 Tolstoi Tränen entlockt. Es beruht auf einem ukrainischen Volkslied im Wechsel von 3/4- und 2/4-Takt und einem salonhaften Originalthema, wie es «ein Orchester in einem Salon de thé an den Ufern des Schwarzen Meeres» (J.-A. Ménétrier) spielen könnte; die schlichte Satztechnik bewahrt es vor Banalität. Zehn Jahre später begeisterte sich sogar Eduard Hanslick für das ganze Werk und insbesondere für diesen zweiten Satz: «Eine leichtfüssige, ganz eigentlich pikante Composition, die in dem Andante, einer serenadenhaften Melodie über pizzikirten Bässen, ihre glänzendste Seite aufweist.» Das Scherzo, ein robuster russischer Tanz, ist heiter und entwickelt durch die Verlagerung des schweren Taktteils eine starke rhythmische Energie. In frohem Schwung verläuft das Finale. Es beginnt mit einem für das ganze Sück bestimmenden Quartsprung abwärts und lässt gleichsam ein russisches Dorffest aufleben. Doch auch hier klingt im abrupten Wechsel von D-dur nach B-dur Schubert an. Nach dem pianissimo-Rückgriff auf das dritte Thema im Andante-Tempo klingt die Coda triumphierend fortissimo und Allegro vivace aus.

Wolfgang Amadeus Mozart 1756-1791

Streichquartett Nr. 19, C-dur, KV 465 «Dissonanzen-Quartett» (1785)
Adagio – Allegro
Andante cantabile
Menuetto: Allegro – Trio
(Molto) Allegro

Franz Schubert 1797-1828

Streichquartett Nr. 13, a-moll, op. 29, D 804 «Rosamunde» (1824)
Allegro ma non troppo
Andante
Menuetto: Allegretto – Trio
Allegro moderato

Pjotr Iljitsch Tschaikowsky 1840-1893

Streichquartett Nr. 1, D-dur, op. 11 (1871)
Moderato e semplice – Poco più mosso – Allegro non troppo, ma con fuoco
Andante cantabile
Scherzo: Allegro non tanto e con fuoco
Finale: Allegro giusto – Allegro vivace