Concerts Season 2011-2012

  • 24.1.2012
  • 20.15
  • 86.Season
  • Zyklus A
Stadtcasino Basel, Hans Huber-Saal

Kuss Quartett (Berlin)

The Kuss Quartet has been setting new standards for many years with its ambitious concept-based programming. Its mission is to offer unique experiences to traditional audiences and new listeners alike.

Leader Jana Kuss and second violinist Oliver Wille have been playing side by side for over 30 years. With curiosity, they and their long-standing colleagues, William Coleman and Mikayel Hakhnazaryan, seek confirmation of the eternal “muss es sein” of string quartet playing.

Thanks to a grant from the state of Lower Saxony and Musik 21, the quartet has been able to commission several new works for string quartet over the past years by Enno Poppe, Aribert Reimann, Manfred Trojahn, Bruno Mantovani, Iris ter Schiphorst Johannes Fischer and Mark Andre. This has attracted cooperations with the Concertgebouw and Muziekgebouw Amsterdam, Paris Biennale, Wigmore Hall London and Suntory Hall Tokyo. In the coming years, Sara Glojnarić and Francisco Coll will compose new works for the Kuss Quartet.

The CD “FREIzeit”, released in November 2021, is dedicated to the works of Poppe, Reimann, Trojahn. It is a creative collaboration with percussionist and composer Johannes Fischer, whose work “Duft” also appears on the album, together with soprano Sarah Maria Sun and slam poet Bas Böttcher. “The result is an upbeat and humorous CD (…) The whole thing sounds fresh and quirky.” (SZ)

These musical partners join the long list of artists with whom the Kuss Quartett enjoys regular collaboration, including Miklós Perényi, Dénes Várjon, Pierre-Laurent Aimard, and Maurice Steger.

The next album, entitled “KRISE” (Crisis), will be released in November 2022 and explores this subject from different perspectives through both well-known quartet repertoire and specially commissioned works.

In the coming season, the ensemble will present a programme of Carter and Mozart with Pierre-Laurent Aimard and will also perform with pianist Alexander Lonquich.

They are already experimenting with a project planned for 2024 called “LISTENING SESSIONS”. In collaboration with Sara Glojnarić and Sarah Maria Sun, this high-tech exploration of sound exists somewhere between Lieder recital, pop culture and string quartet, freed from its historical context.

A further highly innovative project was “KUSS@KOKON”. During the Corona pandemic, an artist collective consisting of dancers Yui Kawaguchi and Ruben Reniers, percussionist Johannes Fischer and slam poet Bas Böttcher developed new modular concerts with the Kuss Quartet, assisted by a “Reload” grant from the German Federal Cultural Foundation. Free from inhibitions, these modules break the boundaries of their respective fields and expand them into new forms.

In 2019, the Kuss Quartet was the first German string quartet to be lent the legendary Stradivari “Paganini Quartet” by the Nippon Music Foundation. On these instruments, the quartet played the complete string quartets of Beethoven in June 2019 at the invitation of Suntory Hall Tokyo. The resulting live recording was released in spring 2020 on the British label Rubicon Classics with the support of G. Henle Verlag.

The cross-genre Beethoven programme “Force and Freedom” was developed together with director Nicola Hümpel and her music and dance theatre “Nico and The Navigators”. Delayed by the pandemic, the world premiere took place in November 2021 at the Konzerthaus Dortmund and was subsequently performed at the Schwetzinger Festspiele and Radialsystem Berlin in 2022. The production was filmed by ARTE TV.

At the beginning of its career, the quartet was awarded first prizes by the German Music Council and at the Borciani Competition. It also received a Borletti-Buitoni Award and was a “Rising Star” of the European Concert Hall Organisation.

Today, the Kuss Quartet inspires the next generation in frequent master classes. William Coleman (Salzburg) and Oliver Wille (Hanover, Birmingham, Biella) are professors at European universities, while Mikayel Hakhnazaryan teaches chamber music at the Hochschule in Karlsruhe and Jana Kuss at the Accademia Perosi in Biella (Italy).

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Haydns C-dur-Quartett ist eines seiner eigenwilligsten Quartette. Der Kopfsatz ist relativ ruhig gehalten. Überraschend stellt das Cello das Thema dolce vor. Erst ab Takt 7 wird es von der 1. Geige auf der Dominant-Stufe wiederholt. Dazu spielt jeweils die 2. Geige eine Gegenmelodie, deren Töne sich teilweise mit denen des Themas verbinden. Nach einer kurzen Generalpause geht das Kopfmotiv des Themas auf Tonika-Stufe zur 2. Geige über. Schon dieser Einstieg zeigt, dass es sich um einen kontrapunktisch dichten Satz handelt, man könnte beinahe an eine Fuge denken – doch die spart sich Haydn für das Finale auf. Das Adagio, eher ungewohnt als Capriccio bezeichnet, hat zweiteilige Form, die man auch schon als Rezitativ (Adagio) und (instrumentale) Arie (Cantabile) beschrieben hat. Die Bezeichnung Capriccio, die wir in der Regel mit einem unbeschwerten Musikstück mit allerhand Anspielungen verbinden, meint hier die freie Form und damit die Anspielung auf das Rezitativ-Arie-Schema. Im Forte-Beginn spielen alle Instrumente unisono eine pathetische Introduktion in c-moll, deren Thema das Cello aufnimmt, während die übrigen Stimmen sich in Sechzehntelbewegungen bewegen. Dieser Charakter wird fortgeführt, bis die 1. Violine mit der «Arie» in Es-dur einsetzt. Eine weitere Überraschung bildet der Satzschluss, geht er doch nach einer G-dur-Kadenz attacca ins Menuetto über – auch das eher ungewohnt. Dieses Menuett, nun wieder in C-dur, erinnert mit liegenden Musette-Tönen in beiden Geigen entfernt an Hirtenmusik, das Trio in c-moll mit dem Cellosolo an das Capriccio. Noch mehr überrascht der Schlusssatz: keine pathetische Doppelfuge wie in op. 20/5, sondern ein rasches, die vier Themen dauernd gegeneinander ausspielendes Gebilde, am ehesten als Doppelfuge mit zwei Themen und zwei Gegenthemen zu bezeichnen, sempre sotto voce zu spielen... ja, bis in Takt 129 das Forte der Coda mit rascherer Sechzehntelbewegung einsetzt. Sie mündet in den letzten sieben Takten in ein kräftiges Unisono, das zum C-dur-Schlussakkord führt.
Sechs Jahre waren vergangen, seitdem Haydn das Epochenwerk der Streichquartette, das op. 33, geschrieben und anfang 1782 bei Artaria veröffentlicht hatte. Inzwischen hatte Mozart 1782 bis 1785 seine sechs Haydn gewidmeten Quartette komponiert und sie im Frühjahr Haydn in einer Privataufführung vorspielen lassen. Haydn selbst hatte in dieser Zeit ein einziges Quartett geschrieben (d-moll op. 42). Jetzt scheint für ihn die Zeit reif geworden zu sein, auf Mozart zu reagieren. Bereits 1784 scheint er die neue Serie geplant zu haben, wie ein Brief an Artaria vom 5. April belegt, doch dann ruhte die Sache. Erst am 11. Februar 1787 versprach er dem Verleger die Übersendung eines Quartetts; am 16. September folgte die Sendung des letzten, des fünften. Im Dezember erschienen die Werke mit der von Artaria zugeteilten Opuszahl 50 im Druck. Nur vier Tage nach dem Absenden des letzten Quartetts hatte Haydn, geschäftstüchtig wie er war, die Serie auch einem Londoner Verleger verkauft - was zu einigen Differenzen mit Artaria und mit dem diesem eng verbundenen Londoner Verlag Longman & Borderip führte. Bereits im Mai hatte Haydn den Plan erwogen, die sechs Quartette Friedrich Wilhelm II., seit 1786 König von Preussen zu widmen. Der cellospielende König hatte sich zuvor über die Zusendung von sechs Sinfonien (wohl die Pariser, Nr. 82-87) gefreut und Haydn seine Vorliebe für seine Musik bestätigt. So gibt es auch von Haydn «Preussische Quartette», ohne dass aber darin wie bei Mozart in der Bedeutung des Celloparts auf den Widmungsträger Rücksicht genommen wurde.

Worin liegt nun Haydns Reaktion auf die ihm gewidmeten Quartette Mozarts? Zunächst ist es vor allem die Harmonik, die reicher und kühner wird. Gewisse Modulationen lassen bereits Schubert vorausahnen. Im Melodischen fällt die verstärkte Chromatik auf. Dazu kommen die Intensivierung des Ausdrucks und eine neue Klanglichkeit, die Ausgewogenheit der vier Stimmen und eine Aufwertung der Finali. Aber ebensowenig wie Mozart Haydns op. 33 imitiert hatte, ahmt nun Haydn Mozart nach. Das op. 50 bleibt Haydn durch und durch. Gerade in der relativ konsequenten Monothematik, gut erkennbar im Kopfsatz des 1. Quartetts, geht Haydn eigene Wege. Wohl selten in der Musikgeschichte ist auf so hohem Niveau ein gegenseitiges Geben und Nehmen bei so viel Eigenständigkeit zu beobachten wie bei diesen Quartetten.

Nicht lange nach den sechs Quartetten op. 50 von 1787 liess Haydn diesen eine neue Sechsergruppe folgen; sie wurde allerdings auf zwei Opusnummern aufgeteilt (opp. 54 und 55). Das C-dur Quartett op. 54/2 fällt durch mehrere Eigenheiten und besondere Qualitäten, insbesondere durch den originellen Schlusssatz auf. Welcher Komponist ausser Haydn hätte es damals gewagt, ein Quartett mit einem Adagio zu beenden? Nicht nur dies verleiht dem Werk besondere Bedeutung. Die mit der Bestimmung für den Geiger Johann Tost erklärbare Virtuosität der ersten Violine verbindet sich mit Beschwingtheit, Melodienreichtum, erlesener Feinheit der satztechnischen Arbeit und mit formaler Originalität. Kühne Akzente bestimmen den ersten Satz, der zudem durch neuartige harmonische Gestaltung überrascht. Schon das Hauptthema, welches in der Regel sein C-dur bekräftigen sollte, wechselt gleich nach G-dur, As-dur und a-moll. Das c-moll-Adagio in seiner improvisatorischen Form wird von geradezu meditativem Fortspinnen des musikalischen Gedankens in der ersten Violine bestimmt. Wie in op. 20/2 schliesst das Menuett eher ungewohnt attacca an. Das Trio, wiederum in c-moll, überrascht: Nicht pastorale Heiterkeit oder ein ländlicher Tanz, sondern beklemmende, geradezu schmerzerfüllte Klagen werden laut. Und dann folgt das einmalige Finale. Wer es nicht kennt, glaubt zunächst, eine langsame Einleitung zu hören. Doch dann beginnt die erste Violine ausgiebig eines der schönsten langsamen Themen Haydns zu singen und zu umspielen. Ist das nun der Hauptteil des Satzes? Doch Haydn wäre nicht Haydn, würde er uns nicht weiterhin überraschen. So folgt dann doch noch mit einem federnd leichten Presto der erwartete Finalkehraus – aber auch da täuscht man sich: Der Spass dauert keine Minute, dann kehrt der Gesang des Adagio zurück und lässt das originelle Werk leise ausklingen.