Drei spätromantische Klavierquartette – und darunter keines von Brahms! Und doch steht Brahms im Hintergrund, hat er doch mit seinen drei Werken das romantische Klavierquartett als musikalische Gattung so richtig etabliert. Die drei heute gespielten Quartette sind innerhalb von weniger als fünfzehn Jahren entstanden; alle sind sie nicht allzu gut bekannt. Am ehesten kennt man wohl das späteste, das zweite von Dvořák. Aber auch bei ihm denkt man eher an Klaviertrios, Streichquartette oder an das 2. Klavierquintett. Dass Mahler Kammermusik komponiert hat, erwartet man am wenigsten, und auch Strauss ist nicht gerade seiner Kammermusik wegen berühmt. So dürfte ein Abend mit Werken eines Sinfonikers und Liedkomponisten, eines Meisters der Oper und sinfonischen Dichtung und eines Allrounders Interessantes und Neues bieten.
Die Entstehung von Mahlers Klavierquartett ist alles andere als klar. Mahler selbst hat mit seinen Informationen zur Unsicherheit beigetragen. Zudem hat er einige seiner frühen Werke vernichtet. Das Klavierquartett ist nur teilweise und nicht in Reinschrift (Vortragsbezeichnungen etwa sind nur rudimentär vorhanden) erhalten: Es handelt sich um einen Kopfsatz sowie um das Skizzenfragment eines Scherzos (Alfred Schnittke hat dieses Stück ergänzend bearbeitet). Natalie Bauer-Lecher, Mahlers Vertraute jener Jahre, berichtet in ihren Erinnerungen von einem Gespräch im Jahre 1893, in dem Mahler ihr gegenüber unter seinen Jugendwerken ein Klavierquartett als „das Beste davon“ erwähnte: Es sei „am Schluss der vierjährigen Konservatoriumszeit“ entstanden, aber später verloren gegangen. Mahlers Ausbildung am Wiener Konservatorium dauerte von 1876 bis 1878. Wenn nun auf dem Manuskript die Jahreszahl 1876 steht, will das nicht zusammen passen. Vielleicht ist die Jahreszahl nicht autograph oder Mahler oder Bauer-Lechner haben sich später getäuscht. 1876 und 1878 erhielt Mahler 1. Preise des Konservatoriums, allerdings für Quintette. Ein 1876 von Mahler in Jilahva aufgeführtes Klavierquartett kommt wegen der Besetzung (2 Violinen und Viola) nicht in Frage. Was sicher ist: Der Quartettsatz zeigt Mahler als jungen Komponisten mit Eigenwilligkeiten, die zwar den grossen Sinfoniker noch nicht ahnen, aber Originalität erkennen lassen, mag auch da Einfluss von Brahms spürbar sein. Auffällig an dem aus dem Piano erwachsenden Sonatensatz sind die über weite Strecken ostinaten Triolenakkorde im Klavier. Das melodiöse Element mit einem süffigen 2. Thema ist vorwiegend der Violine anvertraut, die gegen Schluss sogar eine pathetische Solokadenz („ungemein rubato und leidenschaftlich“) zugewiesen erhält. Die düstere Tonart a-moll weist auf tragische Leidenschaft hin. Besonders bemerkenswert ist der im Nichts versinkende Schluss.
Auch Richard Strauss schrieb sein Klavierquartett als junger Mann: Mit 20½ Jahren schloss er es am Neujahrstag 1885 ab. Er gewann damit unter 23 Mitbewerbern den Wettbewerb des Tonkünstler-Vereins Berlin, nicht zuletzt, weil ein Brahmsjünger den Stichentscheid gab. Die Uraufführung mit ihm am Klavier erfolgte im Dezember 1885 in Weimar; im Monat darauf wurde es in Meiningen gespielt, wo Strauss unterdessen Kapellmeister und bald auch als Nachfolger Hans von Bülows (dieser hatte 1884 die Bläserserenade op. 7 mit den Meiningern aufgeführt) Hofkapellmeister war. Dies erklärt auch die Widmung des Quartetts „in Dankbarkeit“ an Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen. Kein Strauss-Werk ist so stark von Brahms beeinflusst wie dieses, insbesondere im Kopfsatz. Es nimmt auch in der Spieldauer von etwa vierzig Minuten brahmsische Dimensionen an. Und doch lässt sich bereits der spätere Strauss mit typischen Stilelementen heraushören, etwa im Seitensatz des Kopfsatzes. Wie Mahler in Takt 9 die Vorschrift „Mit Leidenschaft“, so setzt Strauss – nach fünf Takten im legato piano – in Takt 6 ein „appassionato“ hin, und so geht der Satz auch weiter. Die lange Coda führt bereits im 1. Satz von c-moll nach C-dur. Erstaunlicherweise ist auch der spritzige Scherzo-Teil (Es-dur) des folgenden Satzes wieder ein Sonatensatz; seine Coda führt ins H-dur-Trio hinüber. Hier dominieren die Streicher die begleitenden Klavierfiguren. Die Wiederholung des Scherzos mündet wiederum in eine ausführliche Coda, in der Motive des Trios und des Scherzos kombiniert werden. Das folgende Andante in f-moll kostet seine Melodienseligkeit fast zu sehr aus, auch wenn das erste Thema originell und intensiv verarbeitet wird. Beim Finale handelt es sich um eine Art Sonatenrondo, das mehr auf Schwung als auf klar durchgestalteter Thematik beruht. Hier hört man ehesten Strauss selbst.
Seit 1885 und dann wieder 1887 hatte der Berliner Verleger Fritz Simrock Dvořák in den Ohren gelegen: „Wenn Sie sich doch endlich an ein Klavierquartett machten! Wie lange versprechen Sie das!“ Und 1888: „Ein Klavierquartett von Ihnen hätte ich immer gerne – und Sie haben mir’s lange versprochen! Wie ist es damit??“ Doch Dvořák reagierte nicht, notierte sich aber eine Idee. Ende 1888 liess er verlauten: „Ein Klavierquartett oder sonst was Ähnliches will ich bald anfangen.“ Im Sommer 1889 war es dann so weit: Am 10. Juli begann er mit den Skizzen, zu denen er parallel die Ausarbeitung vornahm – und am 19. August war das Werk fertig. Und es wurde eines seiner bedeutenden Kammermusikwerke. Vielleicht war das 1875 entstandene dreisätzige 1. Klavierquartett in D-dur op. 23 für Simrock der Anlass gewesen, auf ein neues zu drängen, denn auch jenes war ein qualitativ wichtiges Werk und stand zudem Brahms recht nahe. Das neue Quartett dagegen trägt den sehr persönlichen Stil des Komponisten in jener Zeit zwischen dem Klavierquintett op. 81 und der 8. Sinfonie op. 88. Dvořák fährt – im Gegensatz zu Mahler und Strauss – vehement los: Unisono stellen die Streicher ein markantes Motiv vor; das Klavier, blockartig dagegen gesetzt, reagiert mit einem rhythmisch pointierten Gegenmotiv, das nach einer Triolenpassage in das nun gezähmte Kopfmotiv mündet. Damit ist das Hauptmaterial exponiert. Diesen con fuoco-Elementen tritt ein sangliches, von der Bratsche eingeführtes Seitenthema in G-dur gegenüber, das allerdings in der Durchführung nicht verwendet wird. Ein wunderbar lyrischer Satz in freier Form ist das Ges-dur-Lento, das mit einer Cellokantile beginnt. Zweimal unterbricht eine ff-Passage in Moll die Idylle. Im Scherzo kehrt Dvořák die Charaktere um: Der Hauptteil wirkt mit seinem Grazioso intermezzohaft (böse Mäuler nennen es kitschig oder Salonmusik), während das Trio in H-dur mit seinem punktierten Rhythmus eher wie ein Scherzo klingt. Das Finale beginnt wie der Kopfsatz im kräftigen Unisono in es-moll, doch sind jetzt Streicher und Klavier zusammen geführt. Trotz der Dominanz dieses Themas bietet der stark in verschiedene Klangabschnitte gegliederte schwungvolle Satz eine Vielfalt von Ideen und Melodien. Er schliesst mit einer brillanten Coda, die das bisher raffiniert verheimlichte Es-dur zu guter Letzt nach aussen kehrt.
rs