Als “eine der grössten und kreativsten Bratschistinnen unserer Zeit“ hat die berühmte Bratscherin und zugleich ihre Lehrerin Nobuko Imai Tatjana Masurenko bezeichnet. Masurenko stammt aus einer russischen Jazz-Musikerfamilie und erhielt mit sechs Jahren ersten Violinunterricht. Mit elf Jahren begann sie Viola zu spielen; sie studierte in St. Petersburg. 1991 kam sie nach Deutschland, wo sie bei Kim Kashkashian und bei Imai studierte. Sie ist Preisträgerin mehrerer renommierter Wettbewerbe. Neben ihren Auftritten als Solistin und Kammermusikpartnerin zusammen mit Lars Vogt, Isabelle Faust, Christian Tetzlaff, Leif Ove Andsnes, Jörg Widmann, dem Vogler-Quartett etc., hat sie eine Professur für Viola an der Musikhochschule „Felix Mendelssohn Bartholdy“ in Leipzig und leitet Meisterkurse in Deutschland, Russland, den USA, der Türkei und England. Tatjana Masurenko spielt eine Bratsche von Paolo Antonio Testore (um 1700– 1767) von 1750.
„Segns, Herr Dokta, Knödel und Gselchts! Das ist der Punkt, wo wir zwei uns verstehen.“ Diese Aussage Bruckners war, so die Anekdote, die Quintessenz jenes Treffens zwischen Bruckner und Brahms im Jahre 1889 in Brahms’ Stammlokal „Zum Rothen Igel“. Besonnene Musikliebhaber hatten versucht, damit die Gegensätze zwischen den Vertretern der Neudeutschen Musik und denen der klassischen Richtung in der Nachfolge Mendelssohns oder Schumanns zu beseitigen. Dies scheint nicht gelungen zu sein – Brahms und Bruckner hatten sich nichts zu sagen. Es waren weniger sie, welche den Gegensatz vertraten als vielmehr ihre Anhänger. Dass Bruckner Wagner in seiner typischen Untertänigkeitshaltung zutiefst verehrte, dass er ihm seine 3. Sinfonie gewidmet und in der 7. seinen Tod einkomponiert hat, ist bekannt. Weniger klar ist die Haltung von Brahms. Dass er zum Protagonisten der Antiwagnerpartei avancierte, lag nur zum Teil an ihm. Ursache mochte gewesen sein, dass er 1860 ein Manifest gegen gewisse Richtungen der damals modernen Musik unterzeichnet hatte. Dazu bewog ihn vor allem seine Ablehnung des Gehabes und der Programmmusik Liszts. Wagner stand er weniger negativ gegenüber, ja bewunderte etwa die „Heiterkeit und Grösse der ‚Meistersinger’“. Dass er mit Bruckners „symphonischen Riesenschlangen“ Mühe hatte, ist verständlich, da war er nicht der einzige. Und dass die beiden kauzigen Herren – Bruckner war es immer gewesen, Brahms in den letzten Jahren geworden – füreinander nur wenig Interesse aufbrachten, verwundert nicht. Immerhin gab es als kleinsten gemeinsamen Nenner die Vorliebe für das gleiche (Leib-) Gericht. Ob im Bereich der Kammermusik, welche in der Regel der absoluten Musik zugehört, die Differenzen der beiden Richtungen und zwischen Brahms und Bruckner wirklich so gross sind, können wir anhand ihrer Streichquintette heute selber überprüfen.
Kammermusik spielt in Bruckners Schaffen keine grosse Rolle. Ein erst 1949 in einem Skizzenbuch entdecktes Streichquartett in c-moll, eine Studienarbeit von 1862, ist das einzige erwähnenswerte andere Werk der Gattung. Das zwischen der 5. und 6. Sinfonie von Dezember 1878 bis Juli 1879 entstandene Quintett dagegen ist nicht nur ein Werk der Reifezeit, sondern auch ein reifes Werk. Es entstand auf Anregung von Josef Hellmesberger (des Älteren), der Brahms und Bruckner förderte. Am 9. Dezember 1878 schrieb Bruckner: „Gegenwärtig schreibe ich ein Streichquintett in F-dur, da mich Hellmesberger wiederholt und eindringlichst ersucht hat, der bekanntlich für meine Sachen schwärmt.“ Die Uraufführung fand aber – ohne das Finale – durch das Winkler-Quartett (2. Bratsche: Franz Schalk) am 17. November 1881 statt. Sechs Tage später berichtete Bruckner Felix Mottl: „Mein Quintett im Wagner-Verein hatte kolossalen Erfolg.“ Das Hellmesberger-Quartett spielte das Werk erst am 8. Januar 1885. Da Hellmesberger das originale Scherzo zu gewagt erschien, hatte er Bruckner um Ersatz gebeten. Dieser schloss das Intermezzo am 21. Dezember 1879 ab (das Trio blieb dasselbe wie im Scherzo). 1885 spielte Hellmesberger dann doch das originale Scherzo. Eine weitere Änderung geht möglicherweise auf ihn zurück: Bruckner sah für das Adagio (im Manuskript mit Andante. Quasi allegretto. Ausdrucksvoll bezeichnet) zunächst die zweite Stelle vor, doch wurde es, wohl im Zusammenhang mit der ersten vollständigen Aufführung, an die dritte gesetzt. „Diese Reihenfolge gibt einen besseren Anschluss an das Finale“ (Leopold Nowak, Studienpartitur 1963). Bruckner, der bisher in Wien kaum Erfolge verbuchen konnte, schrieb am 9. Februar 1885: „Ich selbst wurde nach jedem Satze wiederholt gerufen, und zwar vom ganzen Publikum; am Schlusse wohl 10mal. Hofkapellm. Hellmesberger wills im November wieder aufführen. Er bat mich, ihm wieder eines zu schreiben, nannte das Werk «Offenbarung» und mich den «Componisten der Gegenwart». Wien könne stolz sein etc.“ Das Adagio an dritter Stelle macht insofern mehr Sinn, als der Kopfsatz fast selbst ein langsamer Satz ist. Erst das 3. Thema bringt mehr rhythmische Bewegung. Die ausgedehnte Coda endet mit einer geradezu orchestralen fff-Steigerung. Das rhythmisch und harmonisch spannende Scherzo in d-moll wird vom graziösen, mit pizzicato-Effekten angereicherten Es-dur-Trio unterbrochen. Das Ges-dur-Adagio bildet den Höhepunkt des Werkes, ein wunderbarer, echt brucknerscher langsamer Satz mit einem der schönsten Themen des Komponisten. Doch auch hier fehlen fff-Steigerungen nicht. Das Finale (f-moll – F-dur) in freier Sonatenform beginnt über einem Orgelpunkt auf Des und weist wiederum drei Themen auf. Eine grandiose Architektur mit Reminiszenzen an Gedanken früherer Sätze steuert auf einen fulminanten Schlusspunkt hin.
Mit dem G-dur-Quintett glaubte der 57-jährige Brahms sein kompositorisches Schaffen für abgeschlossen (an Verleger Simrock: „Mit diesem Brief können Sie sich von meiner Musik verabschieden, denn es ist sicherlich Zeit zu gehen.“), doch dann lernte er den Klarinettisten Richard Mühlfeld kennen, was einen neuen Schaffensschub auslöste. Ist das Quintett somit ein todesnaher Schlussgesang? Keineswegs! Das im Sommer 1890 in Bad Ischl entstandene Quintett ist, wie schon die Tonart G-dur vermuten lässt, neben zupackenden Passagen durchaus heiter, wenn auch meist nur in Gegenüberstellung zu Ernstem. Brahms arbeitet häufig mit dem gleichsam konstituierenden Element der Klanglichkeit. Schon der Beginn zeigt es: Die beiden Geigen und Bratschen legen mit ihren meist in Terzen abwechselnden Sechzehnteln – sie ergeben den G-dur-Akkord – einen Klangteppich, aus dem heraus das Cello das Thema hervortreten lässt. (Das erinnert entfernt an Bruckners „Vorhang“-Technik am Beginn seiner Sinfoniensätze.) Das zweite, von der Bratsche eingeführte Thema ist eine (dem Prater abgelauschte?) Art behaglichen Walzers. Mit den für Brahms so typischen entwickelnden Variationen, die Schönberg („Brahms der Fortschrittliche“) bewundert hat, wird die Exposition zu Ende geführt. Die Durchführung beruht zwar auf dem Hauptthema, wird aber von vielfältigen Motiven, z.B. den Sechzehntelterzen des Beginns, umspielt und raffiniert kontrapunktisch durchgestaltet. Auch das Adagio (d-moll) lebt von der Technik der entwickelnden Variation, die über übliches Variieren hinausgeht. Die 1. Bratsche führt das romanzenhafte, leicht traurige Thema ein, das selber verschiedene Varianten erfährt. Anstelle des Scherzos steht ein zurückhaltenderes, wiegendes Intermezzo in g-moll mit einem lieblichen Trio in G-dur. Die sanfte Stimmung dieses Satzes passt gut zum Adagio. Im Finale lässt Brahms einen ungarischen Tanz in der Art eines Csárdás los, zu dem es nichts zu sagen gibt, ausser dass auch er kunstvoll kontrapunktisch gearbeitet ist. Erstaunlich, dass dieses eigentlich dritte Streichquintett wie das verlorene „erste“ (mit 2 Celli), welches dann zum Klavierquintett umgearbeitet wurde, kritische Bemerkungen von Joseph Joachim hervorgerufen hat.
rs