Der Münchner Jörg Widmann ist als Klarinettist und als Komponist in letzter Zeit sehr bekannt geworden. Eine wichtige Prägung erhielten er und seine Schwester, die Geigerin Carolin Widmann, von ihren Eltern. Sie waren zwar keine Berufsmusiker, spielten aber Streichquartett. Es waren Haydns Streichquartette, welche die jungen Widmanns beeindruckten. Früh wurden sie auch zur modernen Musik, etwa Stockhausens oder Nonos, hingeführt. Sein Klarinettenstudium absolvierte Widmann in München und an der Juilliard School New York. Er tritt mit den berühmtesten Dirigenten und Kammermusikensembles auf und es wurden für ihn zahlreiche Werke geschrieben. Er hat in Freiburg i. Br., wo er lebt, eine Professur für Klarinette an der Musikhochschule inne (Nachfolge Dieter Klöcker). Seit seinem elften Lebensjahr betrieb er auch Kompositionsstudien, u. a. bei Henze und Wolfgang Rihm. Für seine Kompositionen erhielt er namhafte Preise. Sie werden häufig aufgeführt, so diese Saison auch in Basel. Er pflegt ein breites Spektrum an Gattungen, etwa für Kammerbesetzungen und für grosses Orchester. Zentral im kammermusikalischen Schaffen stehen die Streichquartette: 1. Streichquartett (1997), 2003 Choralquartett und Jagdquartett; 2005 ergänzten die Uraufführungen des IV. Streichquartetts und von Versuch über die Fuge (5. Streichquartett mit Sopran) die als ein großer Quartettzyklus gedachte Werkreihe. Über das Choralquartett sagt Widmann: Auf das sehr heterogene erste Streichquartett habe ich mit dem in sich kreisenden zweiten Quartett geantwortet – eine fast autistische, rätselhafte Musik, die nur Fragezeichen an die Wand malt. Es ist ein einziger langsamer Satz. Das Stück bezieht sich an keiner Stelle konkret auf Joseph Haydns «Sieben letzte Worte», wäre aber ohne das Wissen um dieses Werk undenkbar. Die Haydn’sche Satzfolge von ausschließlich (bis auf das abschließende Erdbeben) langsamen Sätzen ist nach wie vor von schockierender Eindringlichkeit. Noch verstörender ist für mich das gelassene zuversichtlich-heitere Annehmen des Todes bei Haydn (das «Lächeln» der A-Dur-Pizzicato-Terzen!). Bei der Beschäftigung mit der Kreuzigungsthematik waren für mich der «Weg», der «letzte Gang» die entscheidenden Begriffe. Mein Stück beginnt am Ende eines Weges. Es sind lauter letzte Klänge, die nirgendwoher kommen und nirgenwohin führen. Das entsetzliche Reiben und Schmirgeln von Haut auf Holz wird zum Thema gemacht und durch Stille verbunden mit tonal Choralhaftem. Mich interessiert daran, wie im Verlauf des Stückes Geräusch nicht mehr für Desolates, und Tonales nicht mehr für Zuversicht steht.
Heinrich Isaac (Henricus Ysaac/Ysac u.ä.), an unbekanntem Ort in Flandern kurz vor oder 1450 geboren, war einer der grossen Komponisten der Renaissance und Hauptmeister der niederländischen Schule. Lange hielt er sich in Oberitalien und in Florenz auf, wo er im Dienst der Medici stand. Vor November 1496 trat er mit seinem Lieblingsschüler und Assistenten Ludwig Senfl in den Dienst Maximilians I. am Innsbrucker Hof. Sein früh populäres Lied «Innsbruck, ich muss dich lassen» ist noch heute bekannt. Neben einer Vielzahl von Liedern, Motetten und Messen hat er eine umfangreiche Sammlung von Offizien (mehrstimmige Kompositionen der Hauptteile des Messepropriums) komponiert, die er, weil Teil II auf der Liturgie von Konstanz, wo er sich zwischen 1503 und 1514 öfters aufhielt, beruht, «Choralis Constantinus» nannte (gedruckt 1550 in Nürnberg). Möglicherweise hat Senfl Isaacs Sammlung nach dessen Tod 1517 in Florenz ergänzt bzw. abgeschlossen. Unter Sequenz versteht man unter anderem die melodiöse wiederholte Weiterführung einer Choralmelodie mit neuem Text. Die berühmteste Sequenz dürfte das Dies irae sein. Anton Webern hat 1906 sein Studium der Musikgeschichte an der Universität Wien mit einer Dissertation über Isaacs «Choralis Constantinus» abgeschlossen und den zweiten Teil für Streichquartett bearbeitet, doch wird heute eine Einrichtung von Siegfried Thiele gespielt.
Nach der Komposition der Streichquartette op. 13 im Jahre 1827 und op. 12 1829 vergingen fast zehn Jahre, bis sich Mendelssohn wieder der Gattung zuwandte bzw. Quartette veröffentlichte. 1837 hat er das e-moll-Quartett auf seiner Hochzeitsreise im Schwarzwald als erstes der Trias des op. 44 skizziert und am 18. Juni auch abgeschlossen. Die beiden andern wurden in der ersten Fassung nach der Rückkehr nach Leipzig 1838 in der Reihenfolge Nr. 3 (Februar) und Nr. 1 (Juli) vollendet. Das e-moll-Quartett ist die Initialzündung für den Typus des ganzen, ursprünglich nicht als Trias geplanten op. 44, welcher so charakteristisch für Mendelssohn ist. Zwei Jahre später hat er die spätere Nr. 2 – wie die beiden andern – für die Herausgabe der drei Quartette überarbeitet, vor allem im Schlusssatz. Immer aufgefallen ist der Beginn, der im 1. Thema wörtlich das Finale von Mozarts g-moll-Sinfonie KV 550 zitiert. Das 2. Thema ist davon kaum abgesetzt, was den ganzen Satz als einen einheitlichen, formal nicht leicht zu durchschauenden Komplex erscheinen lässt. Leicht qualifizierbar ist das Scherzo: Elfenmusik à la Mendelssohn eben, mit raschen Tonfolgen und einheitlicher Rhythmik! Und doch klingen – neben einer komplizierten Formstruktur (einer Mischung zwischen Sonatenrondo und Scherzo-Trio-Typ) – nachdenkliche, besonders von der Bratsche vorgetragene Töne hinein. Der 3. Satz soll «durchaus nicht schleppend» gespielt werden. Auch hier ist der Satzcharakter mit «Lied ohne Worte» rasch umschrieben. Das attacca anschliessende Finale folgt ebenfalls einem «Lied ohne Worte»-Typ: dem des schwungvoll dahinschiessenden, von melodiösen Phrasen des Seitenthemas durchbrochenen impulsiven Sonatenrondos, wie es Mendelssohn mit Erfolg auch in den beiden Klaviertrios angewendet hat.
rs