Konzerte Saison 2008-2009

  • 14.10.2008
  • 20:15
  • 83.Saison
  • Zyklus A
Stadtcasino, Hans Huber-Saal

Leipziger Streichquartett (Leipzig)

Als das Quartett 1988 gegründet wurde, waren drei seiner Mitglieder als Stimmführer im Gewandhausorchester tätig, bis sie 1993 auf eigenen Wunsch ausschieden, um sich ausschließlich dem Quartettspiel zu widmen. Studien beim Amadeus-Quartett, bei Hatto Beyerle und bei Walter Levin gingen dem voraus. Nachfolger des langjährigen Primarius Andreas Seidel ist seit 2008 der Leipziger Geiger und Konzertmeister des Gewandhausorchesters Stefan Arzberger. Seit 1991 gestaltet das Quartett seine eigene Konzertreihe «Pro Quatuor» in Leipzig. Eine rege Konzerttätigkeit führte es bisher in mehr als 40 Länder Europas, Nord- und Südamerikas, Afrikas, Asiens sowie nach Australien, Japan und Israel. Viele namhafte Festivals im In- und Ausland und eigene thematische Zyklen, etwa zu Schubert, Bach, zu Stationen der Moderne, zu Mozart und Mendelssohn, stehen regelmässig auf dem Konzertplan des Ensembles. 2002 waren die Leipziger Musiker «Quartet in residence» im Auditorio Nacional in Madrid. Die über 60 vorliegenden CD-Einspielungen bei Dabringhaus und Grimm – darunter Gesamteinspielungen der Streichquartette von Adorno, Beethoven, Berg, Brahms, Dessau, Mendelssohn, Mozart, Schönberg, Schubert, Webern – werden von der Fachkritik hoch geschätzt. Musikalische Partner des Ensembles waren Alfred Brendel und Christian Zacharias, der Klarinettist Karl Leister, der Cellist Michael Sanderling, die Sopranistin Christiane Oelze, der Bariton Olaf Bär oder der «King of Klezmer», Giora Feidman. Das Repertoire umfasst etwa 300 Werke von 100 Komponisten. Zahlreiche Streichquartette hat das Leipziger Streichquartett bis heute uraufgeführt, darunter Werke namhafter Komponisten wie Wolfgang Rihm, Cristóbal Halffter, Beat Furrer u. a. Das Quartett ist seit 1997 regelmässig bei uns zu Gast, heute zum 7. Mal, und hat zwei Zyklen bei uns bestritten (Beethoven op. 18, Mozarts Streichquintette mit Hartmut Rohde).
Am 12. Februar 1797, am Geburtstag des deutschen Kaisers Franz II. (ab 1806 als Franz I. noch Kaiser Österreichs), erklang im Wiener Nationaltheater erstmals jene Melodie Haydns, welche seine beliebteste werden sollte: das Kaiserlied (Text von Lorenz Leopold Haschka). Es wurde mit neuem Text von Johann Gabriel Seidl zur österreichischen Nationalhymne (bis 1918); seit 1922 ist es mit Hoffmann von Fallerslebens Text von 1841 die deutsche. Die Idee für eine derartige Hymne hatte Haydn in England erhalten. Er hat sie bis zu seinem Lebensende täglich auf dem Klavier gespielt. Das «Kaiserquartett» trägt seinen Beinamen aufgrund dieses Themas, das als Cantus firmus variiert, d.h. umspielt wird, darf aber auch in den übrigen Teilen als kaiserlich gelten. Es strahlt generell Glanz und Monumentalität aus und ist das sinfonischste der sechs Quartette op. 76. Die Themen der übrigen Sätze weisen eine gewisse Verwandtschaft mit der Kaiserhymne auf, die somit als Kern des ganzen Werkes gelten darf. Der Kopfsatz bereitet den Variationensatz vor, das robust-simple Menuett ist ein kräftiger Tanz, unterbrochen von einem Trio in sanftem a-moll; das Finale führt von unruhigem c-moll über verschiedene Zwischenstationen (u.a. G-dur) ad astra bzw. zum Licht, d.h. zum kaiserlichen C-dur.

Der Münchner Jörg Widmann ist als Klarinettist und als Komponist in letzter Zeit sehr bekannt geworden. Eine wichtige Prägung erhielten er und seine Schwester, die Geigerin Carolin Widmann, von ihren Eltern. Sie waren zwar keine Berufsmusiker, spielten aber Streichquartett. Es waren Haydns Streichquartette, welche die jungen Widmanns beeindruckten. Früh wurden sie auch zur modernen Musik, etwa Stockhausens oder Nonos, hingeführt. Sein Klarinettenstudium absolvierte Widmann in München und an der Juilliard School New York. Er tritt mit den berühmtesten Dirigenten und Kammermusikensembles auf und es wurden für ihn zahlreiche Werke geschrieben. Er hat in Freiburg i. Br., wo er lebt, eine Professur für Klarinette an der Musikhochschule inne (Nachfolge Dieter Klöcker). Seit seinem elften Lebensjahr betrieb er auch Kompositionsstudien, u. a. bei Henze und Wolfgang Rihm. Für seine Kompositionen erhielt er namhafte Preise. Sie werden häufig aufgeführt, so diese Saison auch in Basel. Er pflegt ein breites Spektrum an Gattungen, etwa für Kammerbesetzungen und für grosses Orchester. Zentral im kammermusikalischen Schaffen stehen die Streichquartette: 1. Streichquartett (1997), 2003 Choralquartett und Jagdquartett; 2005 ergänzten die Uraufführungen des IV. Streichquartetts und von Versuch über die Fuge (5. Streichquartett mit Sopran) die als ein großer Quartettzyklus gedachte Werkreihe. Über das Choralquartett sagt Widmann: Auf das sehr heterogene erste Streichquartett habe ich mit dem in sich kreisenden zweiten Quartett geantwortet – eine fast autistische, rätselhafte Musik, die nur Fragezeichen an die Wand malt. Es ist ein einziger langsamer Satz. Das Stück bezieht sich an keiner Stelle konkret auf Joseph Haydns «Sieben letzte Worte», wäre aber ohne das Wissen um dieses Werk undenkbar. Die Haydn’sche Satzfolge von ausschließlich (bis auf das abschließende Erdbeben) langsamen Sätzen ist nach wie vor von schockierender Eindringlichkeit. Noch verstörender ist für mich das gelassene zuversichtlich-heitere Annehmen des Todes bei Haydn (das «Lächeln» der A-Dur-Pizzicato-Terzen!). Bei der Beschäftigung mit der Kreuzigungsthematik waren für mich der «Weg», der «letzte Gang» die entscheidenden Begriffe. Mein Stück beginnt am Ende eines Weges. Es sind lauter letzte Klänge, die nirgendwoher kommen und nirgenwohin führen. Das entsetzliche Reiben und Schmirgeln von Haut auf Holz wird zum Thema gemacht und durch Stille verbunden mit tonal Choralhaftem. Mich interessiert daran, wie im Verlauf des Stückes Geräusch nicht mehr für Desolates, und Tonales nicht mehr für Zuversicht steht.

Heinrich Isaac (Henricus Ysaac/Ysac u.ä.), an unbekanntem Ort in Flandern kurz vor oder 1450 geboren, war einer der grossen Komponisten der Renaissance und Hauptmeister der niederländischen Schule. Lange hielt er sich in Oberitalien und in Florenz auf, wo er im Dienst der Medici stand. Vor November 1496 trat er mit seinem Lieblingsschüler und Assistenten Ludwig Senfl in den Dienst Maximilians I. am Innsbrucker Hof. Sein früh populäres Lied «Innsbruck, ich muss dich lassen» ist noch heute bekannt. Neben einer Vielzahl von Liedern, Motetten und Messen hat er eine umfangreiche Sammlung von Offizien (mehrstimmige Kompositionen der Hauptteile des Messepropriums) komponiert, die er, weil Teil II auf der Liturgie von Konstanz, wo er sich zwischen 1503 und 1514 öfters aufhielt, beruht, «Choralis Constantinus» nannte (gedruckt 1550 in Nürnberg). Möglicherweise hat Senfl Isaacs Sammlung nach dessen Tod 1517 in Florenz ergänzt bzw. abgeschlossen. Unter Sequenz versteht man unter anderem die melodiöse wiederholte Weiterführung einer Choralmelodie mit neuem Text. Die berühmteste Sequenz dürfte das Dies irae sein. Anton Webern hat 1906 sein Studium der Musikgeschichte an der Universität Wien mit einer Dissertation über Isaacs «Choralis Constantinus» abgeschlossen und den zweiten Teil für Streichquartett bearbeitet, doch wird heute eine Einrichtung von Siegfried Thiele gespielt.

Nach der Komposition der Streichquartette op. 13 im Jahre 1827 und op. 12 1829 vergingen fast zehn Jahre, bis sich Mendelssohn wieder der Gattung zuwandte bzw. Quartette veröffentlichte. 1837 hat er das e-moll-Quartett auf seiner Hochzeitsreise im Schwarzwald als erstes der Trias des op. 44 skizziert und am 18. Juni auch abgeschlossen. Die beiden andern wurden in der ersten Fassung nach der Rückkehr nach Leipzig 1838 in der Reihenfolge Nr. 3 (Februar) und Nr. 1 (Juli) vollendet. Das e-moll-Quartett ist die Initialzündung für den Typus des ganzen, ursprünglich nicht als Trias geplanten op. 44, welcher so charakteristisch für Mendelssohn ist. Zwei Jahre später hat er die spätere Nr. 2 – wie die beiden andern – für die Herausgabe der drei Quartette überarbeitet, vor allem im Schlusssatz. Immer aufgefallen ist der Beginn, der im 1. Thema wörtlich das Finale von Mozarts g-moll-Sinfonie KV 550 zitiert. Das 2. Thema ist davon kaum abgesetzt, was den ganzen Satz als einen einheitlichen, formal nicht leicht zu durchschauenden Komplex erscheinen lässt. Leicht qualifizierbar ist das Scherzo: Elfenmusik à la Mendelssohn eben, mit raschen Tonfolgen und einheitlicher Rhythmik! Und doch klingen – neben einer komplizierten Formstruktur (einer Mischung zwischen Sonatenrondo und Scherzo-Trio-Typ) – nachdenkliche, besonders von der Bratsche vorgetragene Töne hinein. Der 3. Satz soll «durchaus nicht schleppend» gespielt werden. Auch hier ist der Satzcharakter mit «Lied ohne Worte» rasch umschrieben. Das attacca anschliessende Finale folgt ebenfalls einem «Lied ohne Worte»-Typ: dem des schwungvoll dahinschiessenden, von melodiösen Phrasen des Seitenthemas durchbrochenen impulsiven Sonatenrondos, wie es Mendelssohn mit Erfolg auch in den beiden Klaviertrios angewendet hat.

rs