Bartók schrieb für die Studienpartitur eine Analyse und sagte zur Form seines 4. Quartetts: „Der langsame Satz bildet den Kern des Werkes, die übrigen schichten sich um diesen, und zwar ist der vierte Satz eine freie Variation des zweiten Satzes. Die Sätze eins und fünf wiederum haben gleiches thematisches Material, das heisst: um den Kern (Satz drei) bilden die Sätze eins und fünf die äussere, die Sätze zwei und vier die innere Schicht.“ Dies geschieht nicht nur im Satzcharakter, z.B. der beiden Scherzi, sondern – wie Bartók andeutet – auch in der Verwendung des Materials. Das Hauptthema des 5. Satzes und das Seitenthema des 1. Satzes gehören zusammen. „Das Thema des vierten Satzes ist mit dem Hauptthema des zweiten Satzes identisch: dort bewegt es sich innerhalb enger Intervalle der chromatischen Tonleiter, hier erweitert es sich in der diatonischen Tonreihe.“ Erstaunlicherweise unterstreicht auch die Dauer der Sätze diesen Bau: Sätze 1, 3 und 5 bzw. 2 und 4 sind ungefähr gleich lang, wobei die längeren Sätze etwas mehr als doppelt so lang dauern wie die beiden kürzeren Scherzi. Das Werk wird von einer konstruktiven Zelle, bestehend aus auf- und absteigenden Halbtonschritten, zu Beginn des Kopfsatzes im Cello h – c – des – c – h – b, bestimmt. Diese Keimzelle wird mehrfach variiert. Der 3. Satz, der Kern des Quartetts, beruht auf einem Variationsprinzip, dessen Mitteilteil durch die Vielfalt der Spieltechniken auffällt.
Als meist aufgeführtes Quartett Schostakowitschs auch in unseren Konzerten (sechste Aufführung) gehört das dritte zu den bekanntesten. Die Themen wirken eingänglich und man erkennt sie sofort als Schostakowitsch. Dass das Quartett aber dem Komponisten durchaus nicht leicht in den Schoss gefallen ist, merkt man an mehreren Tatsachen. Er schrieb es als einzig vollendetes Werk des Jahres 1946 in einer wenig ergiebigen Phase seines Schaffens. Nach den dramatischen und unruhigen Kriegsjahren, die der Komponist so heroisch wie eindrücklich in der 7. und 8. Sinfonie dargestellt hat, kam es zur so ganz unheroischen 9. Sinfonie. Dies verwundert uns heute weniger als die Zeitgenossen, die 1945 eine Siegessinfonie erwartet hatten. Genauso wenig sah Schostakowitsch einen Anlass für ein heroisches Quartett. Er musste sich aus verschiedenen Gründen musikalisch neu orientieren. Darum ist das 3. Quartett kein leichtgewichtiges Werk. Zwar weist es scheinbar einfache Melodien auf, aber der Schein trügt: Sie durchlaufen alle zwölf Töne, und chromatische Themen stehen neben schreiender Bitonalität. Das Adagio in Passacaglia-Form, welches ins Finale überleitet, ist als Threnodie (Trauergesang) bezeichnet. Und Heiterkeit, wie sie der Kopfsatz und das scherzohafte Rondino auszustrahlen scheinen, schlägt plötzlich – echte Kriegsreminiszenz oder „nur“ Parodie? – um in das Pseudozitat eines preussischen Militärmarsches (das eigentliche Scherzo). Die Groteske, ein Lieblingsstilmittel Schostakowitschs, zeigt die Doppelbödigkeit an. Von Haydns Heiterkeit ist dies weit entfernt.
rs