Konzerte Saison 2007-2008

  • 23.10.2007
  • 20:15
  • 82.Saison
  • Zyklus A
Stadtcasino, Hans Huber-Saal

Kuss Quartett (Berlin)

Das Quartett wurde 1991 noch von Schülern gegründet und begann seine künstlerische Arbeit 2001 an der Hanns-Eisler-Musikhochschule Berlin in Zusammenarbeit mit Eberhard Feltz. Seither spielt es in der heutigen Besetzung. Seine weitere Ausbildung erhielt es u.a. vom Alban Berg Quartett und von Walter Levin. 2002 gewann es den 1. Preis des Deutschen Musikrats und im Borciani-Wettbewerb. Seither folgten Einladungen in ganz Europa, in den USA, Japan, Australien und Südafrika. Auch bei renommierten Festivals (2005 in Salzburg, Edinburgh, Schubertiade Schwarzenberg) wirkte das Kuss Quartett mit. Es konzertierte mit den Bratschern Kim Kashkashian und Yuri Bashmet, dem Pianisten Pierre-Laurent Aimard oder den Klarinettisten Sharon Kam und Jörg Widmann. Mit letztgenanntem hat es bei der Entstehung von dessen 1. Streichquartett zusammengearbeitet. Enge Zusammenarbeit pflegte es auch mit den Komponisten Helmut Lachenmann und György Kurtág beim Studium von deren Quartettwerken. Mit dem Schauspieler Udo Samel gestaltet das Quartett regelmässig Programme, die Musik und Literatur verbinden. Es sucht neben einem vielfältigen Repertoire auch neue Formen der Präsentation von Musik. So gestaltete es Abende unter dem Titel „Kuss plus“ mit Gästen anderer Kunstsparten in Berlin oder Themenkonzerte in Hamburg. Die erste CD aus dem Jahr 2003 verband Adornos Zwei Stücke mit Schönbergs 1. Quartett, die zweite frühe und späte Werke von Mozart und Mendelssohn. Die Salzburger Nachrichten priesen diese Aufnahmen so: „...souveräne Technik, formidable Transparenz der Stimmführungen, ein intelligent geschulter, im Kern fülliger, in den Details aber stets brillant präsenter Klang und Tonfall ... Klang wird Erlebnis.“
Haydns d-moll-Quartett trägt seinen Beinamen „Quinten-Quartett“ mit vollem Recht. Die beiden ersten Takte des Kopfsatzes lassen dieses Intervall nicht nur unüberhörbar aufscheinen, sondern der Grossteil der Figuren in diesem Satz können auf diese beiden Takte zurückgeführt werden. Auch im Rest des Werkes tritt das Intervall immer wieder bestimmend auf. Im Kopfsatz geht das so weit, dass das Seitenthema keine Eigenständigkeit hat, der Satz also letztlich monothematisch gestaltet ist. Einen grösseren Kontrast als zwei verschieden gehaltene Themen bewirken hier die häufigen Wechsel von Dur und Moll. Mit diesen Eigenheiten verbunden ist eine überraschend strenge kontrapunktische Arbeit. Die Strenge des ersten Satzes wird im Andante in dreiteiliger Liedform von freundlicherem Charakter abgelöst. Die fallenden Quinten erscheinen bereits im 1. und 2. Takt wieder. Der Mittelteil mit raschem Wechsel zwischen d-moll und B-dur ist thematisch aus dem Thema des Hauptteils abgeleitet, wird aber von der 1. Violine virtuos umspielt. Im zweistimmigen Kanon des Menuetts übernehmen jeweils oktaviert neben den Violinen die Bratsche und das Cello je eine Stimme. Das Kanonthema ist letztlich eine Variante des Andante-Themas in der Umkehrung. Das düstere f-moll hat den eigenartigen Übernamen „Hexenmenuett“ hervorgerufen. Damit kontrastiert das homophone Trio in D-dur. Das ungarisierende Finale entpuppt sich mit der Zeit, obwohl man ständig auf die Rückkehr des Hauptthemas wartet, als Sonatensatz. Er endet virtuos in einer Dur-Coda.

In letzter Zeit ist es beliebt geworden, Vokalwerke grosser spätmittelalterlicher und Renaissance-Komponisten auf das Streichquartett zu übertragen. Man kann davon halten, was man will, und dem Original den Vorzug geben. Schön ist, dass diese Werke aus der Blütezeit der polyphonen Chormusik einem breiteren Publikum zugänglich gemacht werden. Der im wallonischen Hennegau (Mons) geborene Orlando di Lasso, der zu seiner Zeit wohl berühmteste Komponist, erhielt seine musikalische Ausbildung in Italien (darum der bei uns gängige italianisierte Vorname). Nach längerer Reisezeit wurde er 1552/3 Kapellmeister von S. Giovanni in Laterano, der Bischofskirche Roms, und war dort direkter Vorgänger Palestrinas. Über Antwerpen, wo er seine ersten Werke veröffentlichte, gelangte er 1557 als Tenorist an den Hof nach München. Dort übernahm er 1563 die Leitung der herzoglichen Hofkapelle, ohne dass dadurch seine Reisen aufhörten. 1571–74 war er häufig in Paris, wo die Prophetiae Sibyllarum Eindruck machten. Schon seine Chansons hatten ihm den Ehrentitel „Le divin Orlande“ eingetragen. Die 12 vierstimmigen Motetten über die sibyllinischen Prophezeiungen in lateinischen Hexametern erschienen erst nach Lassos Tod 1600, weil Herzog Albrecht V. Lassos Werke als Eigentum des Hofes betrachtete und ein Druckverbot erlassen hatte. Sie überraschen mit kühnen Intervallen und chromatischen Tonfolgen. In Lassos Motetten bewunderte man schon immer den auffallenden Kontraststil und sein enges Wort-Tonverhältnis.

Thomas Adès, auch als Pianist und Dirigent tätig, ist einer der erfolgreichsten britischen Komponisten der Gegenwart. 1997 bekam er die Professur an der Royal Academy of Music, welche einst Britten innehatte. Seit 1999 ist er Musikchef des Britten-Pears-Festivals von Aldeburgh. Zwar finden seine Werke nicht immer die Zustimmung der Kritiker und Avantgardisten, sind sie doch in einer – für die englische Tradition typischen – gut anhörbaren modernen Tonsprache geschrieben. Dies erleichtert dem Zuhörer den Zugang, und der Erfolg gibt Adès Recht. Neben durchaus ernsthaften, ja tiefgründigen Kompositionen gibt Adès oft dem (britischen) Humor Ausdruck. Das frühe Streichquartettwerk (Dauer: 21 Minuten), als Auftrag des Endellion Quartet entstanden und von ihm 1994 in Cambridge uraufgeführt, evoziert die Ideallandschaft Arkadiens, wie sie Vergil in seinen Hirtenliedern geschildert hat. Adès schreibt dazu [teilweise leicht gekürzt, geändert und ergänzt]: „Jeder der sieben Titel beschwört ein Bild herauf, das mit der Vorstellung von Idylle, Entschwinden, Entschwundenem und Erfundenem verknüpft ist. Die Sätze mit ungerader Nummer handeln alle vom Wasser und ergeben eine zusammenhängende musikalische Einheit, wenn sie fortlaufend gespielt werden. Der dritte Satz bezieht sich auf das namengebende Schubert-Lied [D 774]. Die Überschrift des fünften Satzes wurde von Watteaus Gemälde L’Embarquement pour Cythère im Louvre abgeleitet. Der siebte Satz trägt den Namen des mythischen Flusses des Vergessens in der Unterwelt. Der zweite und der sechste Satz haben das pastorale Arkadien bzw. Mozarts ›Königreich der Nacht‹ [wobei anzumerken wäre, dass das Zitat eigentlich auf das Zauberflötenspiel im Reich Sarastros verweist] und andere Gefilde zum Thema. Im Mittelpunkt steht der vierte Satz; er trägt als Titel den Beginn der lateinischen Inschrift [Et in Arcadia ego], die auf Poussins Gemälde im Louvre von Hirten entdeckt wird [und an die Vergänglichkeit selbst in der Idealwelt Arkadiens erinnert].“ So verbindet Adès die Zeiten und Denkansätze und schafft eine auch klanglich überzeugende originelle neue Kombination von Ideallandschaft und Todesmotiv.

Schuberts Neubeginn im Quartettschaffen scheiterte zunächst – wie jener in der Sinfonie. Im Gegensatz zur Sinfonie, wo aus den Jahren 1818 bis 1824 vier Versuche, darunter die berühmte „Unvollendete“, vorliegen, gibt es im Quartettschaffen jener Zeit nur einen abgebrochenen Anlauf, den c-moll-Quartettsatz (zu dem noch 41 Takte eines langsamen Satzes kommen) von 1820 (D 703). Operierte dieser Sonatensatz mit extremen Gegensätzen, c-moll-Unruhe einerseits und der lyrisch weitgespannten Kontrastmelodie des Seitensatzes andererseits, so lebt das vier Jahre später vollendete a-moll-Quartett fast durchweg vom lyrisch Zurückgenommenen. Unruhe allerdings fehlt nicht. Das a-moll-Quartett sei, so schrieb Schuberts Freund, der Maler Moritz von Schwind, "im ganzen sehr weich, aber von der Art, dass einem Melodie bleibt wie von Liedern, ganz Empfindung". Tatsächlich klingen Lieder an: Im 1. Satz, der weich zwischen der Unruhe der Begleitfiguren und der Ruhe der Kantilene schwankt, ist es das zehn Jahre ältere Gretchen-Lied "Meine Ruh ist hin" (D 118). Eine ganz andere Unruhe als jene des c-moll-Satzes! Zu Beginn des wenig tanzhaften Menuetts erklingt im Cello ein Motiv, das an den Beginn des Schiller-Liedes "Die Götter Griechenlands" (D 677, 1819) erinnert, das A-dur-Trio zitiert daraus die Melodie zu "Kehre wieder, holdes Blütenalter der Natur". Anders als im zeitgleich geplanten d-moll-Schwesterwerk, welches die Unruhe und Unheimlichkeit des c-moll-Satzes wieder aufgreift, verwendet Schubert im 2. Satz 16 Takte lang nicht etwa ein Lied, sondern das 2. Entre-Act aus der Schauspielmusik zu "Rosamunde", schreibt aber keine Variationen dazu (was er im Impromptu D 935/3 nachholt). Das liedhafte Stück dient im Schauspiel dem nachdenklichen Zurückblicken – und so wirken auch die Anklänge im Quartett, sogar das alla zingarese im Finale. Darin zeigt sich nicht, wie man lange glaubte, Schuberts Unfähigkeit, unabhängig von Liedern zu komponieren, sondern ein gezieltes, in der entscheidenden Phase der Neuorientierung reflektierendes Zurückblicken, das in anderer Weise auch im d-moll-Quartett geschieht (Liedvariationen über „Der Tod und das Mädchen“, Anklänge an „Erlkönig“ etc.).

rs

Joseph Haydn 1732-1809

Streichquartett Nr. 76, d-moll, op. 76, Nr. 2, Hob. III:76 «Quintenquartett» (1797)
Allegro
Andante o più tosto allegretto
Menuetto: Allegro (ma non troppo) – Trio
Vivace assai

Orlando di Lasso 1532-1594

Aus den Prophetiae Sibyllarum (wohl 1556–59)
Prolog: Carmina chromatico quae audis
Sibylla Libyca: Ecce dies veniente
Sibylla Delphica: Non tarde venit

Thomas Adès 1971-

Arcadiana, op. 12 (1994)
Venezia notturna
Das klinget so herrlich, das klinget so schön. Nobilmente
Auf dem Wasser zu singen. Dolce muovendo
Et ... (tango mortale). Strasciato ma molto ritmico
L’Embarquement. Lontanissimo e leggiero, quasi tranquillo
O Albion. Devotissimo
Lethe. Calmissimo

Franz Schubert 1797-1828

Streichquartett Nr. 13, a-moll, op. 29, D 804 «Rosamunde» (1824)
Allegro ma non troppo
Andante
Menuetto: Allegretto – Trio
Allegro moderato