Hartmut Rohde, 1966 in Hildesheim geboren, studierte 1985-1993 bei Hatto Beyerle zunächst in Wien, dann in Hannover. In Kursen erhielt er reiche Impulse von Walter Levin, Kim Kashkashian, Gérard Caussé und Pinkas Zukerman. 1990 gründete er das Kandinsky Streichtrio und wurde 1999 Mitglied des Mozart Piano Quartet. Als international gefragter Solist und Kammermusiker unternimmt er seit 1990 regelmässig Tourneen in alle Welt. Zahlreich sind seine Verbindungen mit Kammermusikern und Kammermusikensembles (neben dem Leipziger seien hier nur das Vogler-, Vermeer- und das Petersen-Quartett sowie das Trio Fontenay genannt). Seit 1993 unterrichtet Rohde an der Universität der Künste in Berlin und gibt daneben weltweit Meisterkurse.
Das Streichquintett - Steigerung des Streichquartetts?
Wie sich das Streichquintett (mit zwei Bratschen) entwickelt hat, ist trotz vielen Untersuchungen bis heute nicht recht klar. Die ersten wirklichen Meisterwerke in dieser Gattung, Mozarts Quintette (5 Originalwerke, 1 Bearbeitung), erscheinen zwar nicht ganz aus dem musikalischen Nichts, sind aber bei Mozart selbst nicht aus einem bestimmten Anlass heraus eindeutig erklärbar. Im österreichischen Raum scheinen Quin-tettdivertimenti der Jahre 1760 bis 1780 einen Ausgangspunkt zu bilden; diese ihrerseits dürften ihre Wurzeln in der italienischen Unterhaltungsmusik haben. J. Haydns C-dur-Kassation von 1753 dürfte eines der frühesten dieser Werke sein. Dass es nicht Boccherinis Quintette mit zwei Bratschen waren, auf die Mozart zurückgegriffen hat, zeigt schon die Chronologie: Diese Werke sind erst 1797 und 1799 als Bearbeitungen von Klavierquintetten entstanden, weitere gar erst 1801/02. Inwieweit allerdings Boccherinis Quintette mit zwei Celli hineinspielen, deren früheste ab 1771 und 1774 in Paris erschienen, ist unklar, doch scheint ein Einfluss eher unwahrscheinlich. Mozart hat sein erstes Streichquintett (KV 174) 1773 nach seiner Rückkehr (13. März) von der 3. Italienreise in Salzburg geschrieben. In Italien hatte er möglicherweise Sammartinis Werke für diese Besetzung kennen gelernt. Ein eindeutiger äusserer Anlass scheint für KV 174 – wie für die späten Quintette – nicht vorzuliegen. 1773 hat allerdings auch Michael Haydn in Salzburg zwei Streichquintette („Notturni“) komponiert. Vielleicht war es einfach Mozarts Vorliebe für die Bratsche, die ihm im Früh- wie im Spätwerk die Idee für Quintette geliefert hat. Oder ging es ihm doch vor allem darum, die Klangwelt des Streichquartetts bewusst um die gewichtige Mittelstimme zu erweitern und so eine nicht nur im Klanglichen intensivere und auch tiefer schürfende Wirkung zu erzielen? Die vier späten Meisterwerke legen es nahe.
Das frühe B-dur-Werk KV 174 hat zwei Fassungen: Die erste wird im Frühjahr 1773 entstanden sein, die zweite ist eindeutig auf Dezember desselben Jahres datiert. Es übertrifft äusserlich und qualitativ die zuvor entstandenen Streichquartette KV 168-173. Charles Rosen jedenfalls lobt das Werk: „Das Erstaunlichste an diesem Frühwerk ist, wie gross es angelegt ist; es geht darin weit über Mozarts soeben geschriebene Streichquartette hinaus. Das klassische Gefühl für Ausgewogenheit verlangte angesichts der volleren, reicheren Klangfarbe des Quintetts einen grösseren Rahmen [...] – alles natürlich auf Mozarts damaligem stilistischem Stand. Das konzertante Element mag diese breitere Anlage mit ausgelöst haben, aber die neuartige Erhabenheit der Dimension ist gerade dort am auffälligsten, wo der konzertante Stil fehlt.“
14 Jahre vergingen, bis Mozart sich wieder dem Streichquintett zuwandte. Und was schon Rosen über das Verhältnis der frühen Quartette zum 1. Quintett beschrieben hat, wiederholt sich nun: Die Quintette, insbesondere das komplementäre Paar KV 515 und 516, vergleichbar dem g-moll und C-dur der Sinfonien KV 550 und 551, vermochten die Qualität der nun wirklich grossartigen Quartette noch um eine Dimension zu steigern. Im April/Mai, zur Zeit des Todes von Mozarts Vater, entstanden, bieten sie ein künstlerisches und geistiges Niveau, wie es Mozart in diesen Jahren mit seiner Trias der Da Ponte-Opern (1786–90) oder den späten Sinfonien (1788), diese ihrerseits aus keinem Anlass heraus verständlich, in einmaliger Vollkommenheit und – bei aller Verschiedenheit – Einheitlichkeit gelungen ist. Das majestätische C-dur-Quintett verbindet Helligkeit, Stolz und Pracht. Die Dichte, aber auch die Eleganz und die wie immer bei Mozart zweckgebundene Virtuosität, etwa im Finale, verbunden mit Grazie und Gelehrsamkeit, machen dieses Werk zu einem der ganz grossen in Mozarts Schaffen. Ob der Misserfolg der Subskription dieser Werke mit dem Einsatz einer 2. Bratsche, mit dem Anspruch der Werke oder mit anderen Gründen zusammenhängt, ist bis heute ungeklärt. Im Autograph steht das Menuett (wie bei KV 516) an zweiter Stelle, im Erstdruck an dritter.
KV 593 mag wie KV 614 punkto Bekanntheitsgrad hinter KV 515 und 516 zurückstehen, nicht aber in der Kunst. Schon Haydn zeigte sich anlässlich des gemeinsamen Musizierens dieses im Dezember 1790 entstandenen Quintetts mit Mozart stark beeindruckt; er hat sogar die Wiederaufnahme der langsamen Einleitung nach der Reprise in seine kurz danach in London komponierte Sinfonie Nr. 103 übernommen. Die kontrapunktische Arbeit, selbst im Menuett und im Finale, macht neben der klanglichen Schönheit und der Themenerfindung den Rang dieses Werkes aus, das man nicht selten mit der Jupiter-Sinfonie verglichen hat. Artaria gibt in der Erstausgabe vom Mai 1793, bestätigt durch eine gleichzeitige Zeitungsannonce, an, das Werk sei (wie KV 614) „komponiert für einen ungarischen Liebhaber“. Man glaubt, ihn im reichen Tuchhändler und virtuosen Geiger Johann Tost, dem Haydn zwölf seiner Quartette gewidmet hat, gefunden zu haben. Tost war ein Logenbruder Mozarts.
rs