Konzerte Saison 2005-2006

  • 4.5.2006
  • 20.15
  • 80.Saison
  • Zyklus B
Stadtcasino, Hans Huber-Saal

Sophie Marin-Degor, Sopran | Claire Brua, Mezzosopran Serge Cyferstein, Klavier

Als ehemalige Schülerin und als Mitglied der Maîtrise de Radio-France widmete sich Sophie Marin-Degor schon früh der Musik; dazu kamen Schauspielkunst und Tanz. Schon in jungen Jahren trat sie in zeitgenössischen Opern auf, für die sie sich besonders interessiert. Weitere Betätigungsfelder sind das barocke Repertoire, Mozart und das Lied. Als Mozartinterpretin (Zerlina, Despina, Susanna, Pamina, Gräfin, Donna Anna) ist sie unter so bekannten Dirigenten wie John E. Gardiner, René Jacobs, Marc Minkowski oder William Christie in ganz Frankreich und in umliegenden Ländern (u.a. in der Oper Lausanne) aufgetreten. Weitere ihrer Projekte standen unter der Leitung von N. Harnoncourt, B. Haitink oder Michel Plasson. Natürlich tritt sie wie auch Claire Brua weiterhin auch in romantischen und modernen Werken auf.

Claire Brua studierte zunächst in Nizza Musik und Literatur, später bei Rachel Yakar und Gundula Janowitz. Ein 1. Preis am Conservatoire national supérieur de musique de Paris in der Klasse von William Christie im Jahr 1989 ermöglichte häufige Auftritte mit dessen Arts Florissants in der ganzen Welt. Daneben studierte sie an der Ecole d’art lyrique de l’Opéra Bastille und kam in Paris verschiedentlich zu Auftritten. Weiterhin pflegte sie die Barockmusik. Dabei arbeitete sie mit Jean-Claude Malgoire, Jordi Savall und René Jacobs zusammen. Unter der Leitung des letztgenannten ist sie in der grandiosen Tanztheaterproduktion „La guerra d’Amore“ mit Monteverdi-Madrigalen von Joachim Schlömer in der Spielzeit 1999/2000 am Theater Basel aufgetreten. Ihre weiteren Lieblinge sind Mozart (Cherubino, Dorabella, Zerlina) und Rossini; eine weitere Lieblingsrolle ist Orphée von Gluck.

Um sich einer weiteren Leidenschaft, der mélodie française, insbesondere dem Repertoire für zwei Stimmen, widmen zu können, hat sie sich mit Sophie Marin-Degor zusammen getan. Mit ihr zusammen hat sie Lieder von Gounod, Saint-Saëns und Lalo, zusammen mit dem Bariton Laurent Naouri (in dieser Saison der Don Giovanni am Opéra du Rhin) von Fauré und Ravel aufgenommen.

Neben Mathematik studierte Serge Cyferstein bei Dominique Merlet am Conservatoire de Strasbourg, später in Wien (Liedbegleitung). Seither tritt er in Frankreich und im Ausland sowohl solistisch als auch als Begleiter auf, insbesondere mit französischen Sängerinnen und Sängern (neben Claire Brua und Sophie Marin-Degor etwa mit Nathalie Dessay). Er hat 1994 Lieder von Milhaud auf CD eingespielt, dazu 2002 die erwähnten Lieder und 2005 die CD mit Gesängen von Donizetti mit den beiden Sängerinnen unseres heutigen Programms. Er war und ist Leiter verschiedener französischer Musikhochschulen und unterrichtet am Conservatoire National supérieur de musique de Paris.

«Nuits d´été» - Lieder und Duette von Fauré, Gounod, Saint-Saëns, Rossini, Bellini, Donizetti

Dans les salons de Paris

Der Begriff Salon und erst recht Salonmusik haben in unseren Breitengraden keinen guten Klang. Und doch darf man nicht vergessen, dass die Salons, speziell diejenigen in Paris, eine kulturelle Erscheinung von höchster Bedeutung gewesen sind. Wo wenn nicht hier wären künstlerische und politische Aspekte damals so intensiv zur Sprache gekommen. Natürlich darf man nicht übersehen, dass die Salons des späten 18. und des 19. Jahrhunderts eine Möglichkeit der vorrevolutionären Kulturbetätigung weiterführten, die wegen des Monopols des Königs in der Öffentlichkeit keinen Platz gehabt hatte. Inzwischen war jedoch die führende Rolle von den Aristokraten auf die Bürger und teilweise sogar auf die Künstler übergegangen. In dieser Privatheit waren Dinge möglich, welche öffentlich undenkbar waren – das gilt für die Politik genauso wie für die Kunst. Es ist immer wieder mit Erstaunen festgestellt worden, einen wie geringen Stellenwert etwa die Kammermusik in Frankreich hatte. Sie war eben keine Musik für die Öffentlichkeit wie die Oper, die Sinfonie oder die grosse Kantate. Ihr Platz war im Ancien Régime die „Kammer“ gewesen, im 19. Jahrhundert war es der Salon. Ähnliches gilt für das Lied und Gesänge in kleineren Besetzungen wie Gesangsduos. Die Salons galten als wahre Schulen (vraies écoles) des Geschmacks und in der Bildung der öffentlichen Meinung. Welche Künstler traten nicht in den Salons auf? Man riss sich förmlich um sie, wenn man etwa an Chopin oder Liszt denkt. Ausserdem gilt es zu beachten, dass unser heutiger Begriff Salonmusik viel eher von den Unterhaltungskapellen in den späteren Teesalons oder à la Titanic geprägt ist als von den echten französischen Salons des 19. Jahrhunderts.

Der heimliche Komponistenfürst von Paris, der sich allerdings 1829 von seinem eigentlichen Schlachtfeld, der Oper, zurückgezogen hatte und nur noch meist kleinere Werke komponierte, gab damals dabei den Ton an: Rossini. Er war es, der 1835 eine Sammlung mit dem Titel „Les soirées musicales“ veröffentlichte. Sie enthielt Werke, die für den eigenen Salon, in dem er jeden Samstag diese Soirées musicales durchführte, entstanden waren. (In den Jahren 1857–68 sollten dann die bekannten Kompositionen der Péchés de ma vieillesse folgen.). Franz Liszt bearbeitete umgehend eine Reihe von Stücken aus dieser und den Nachfolgesammlungen für sein virtuoses Klavierspiel. Und diese Nachfolger waren zahlreich: Les Soirées italiennes (Saverio Mercadante 1836), Nuits d’été à Pausilippe (1836), Rêveries napolitaines (1839), Matinées musicales (1841) und Inspirations viennoises (1842) von Donizetti (der auch in dieser Gattung seinem Spottnamen als Opernkomponist alle Ehre machte: «Dozzinetti»). Und wenn dann noch die Stars des Théâtre-Italien wie die Malibran oder die Grisi die Gesänge solo oder im Duett vortrugen, ist vorstellbar, wie hoch die Begeisterungsstürme beim handverlesenen Publikum der Salons gingen.

Natürlich kann man nun einwenden, dass diese Gesänge in ihrer Mischung von Italienischem und Französischem, Folkloristischem und virtuos Künstlichem, Naivem und Heiterem nicht unbedingt dem Niveau entsprechen, das wir heute bei uns, ausgehend etwa vom Liedbegriff Schuberts oder Schumanns, erwarten. Aber dieser auf hohem Niveau elegante, virtuos gemachte Stil wollte zunächst in gutem Sinne unterhalten (man vergleiche etwa manche von Schuberts mehrstimmigen Gesängen, wo dies in einem etwas anderen Umfeld auch der Fall ist). Gerade der Titel Nuits d’été à Pausilippe weist auf die Ansprüche hin, welche an diese Musik gestellt wurden: Es sind laue Sommernächte im Süden, welche heraufbeschworen werden, und zwar am Pausilypon (Posilippo am Stadtrand von Neapel, wo auch der Dichter Vergil begraben sein wollte), dessen griechischer Name ja „Traurigkeitslösend“ bedeutet. An diesem geschichts- und stimmungsträchtigen Ort hatte Donizetti einen Teil dieser Gesänge erstmals aufgeführt. Man sucht also das Südländisch-Heitere – und die italienischen Meisterkomponisten (die von Rossini über Bellini und Donizetti bis hin zu Verdi allesamt ihrer Opern wegen und zur Krönung ihrer Karriere nach Paris gezogen waren) vermochten solche Ansprüche besonders gut zu erfüllen. Entsprechend der Begeisterung der Pariser für das Théâtre italien herrschen darum auch in diesen Gesängen italienische Texte und Stilelemente vor.

Diese virtuosen Kleinformen förderten aber auch die Entwicklung des Kunstlieds in Frankreich, von dem wir im ersten Teil des heutigen Abends Proben erhalten. Auch hier ist auffällig, wie folkloristische und fremdländische Elemente (Tarentelle / El desdichado im Boléro-Rhythmus) auftauchen. Und doch haben die gleichen Komponisten daneben sehr wohl „ernsthafte“ Liedkompositionen verfasst und sie in eben diesen Salons zur Aufführung gebracht. Nicht alle hielten es in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts mit dem Orchesterlied wie Berlioz – was u.a. auch den Grund darin hatte, dass er das Klavier, das er selber nie gelernt hatte, nicht besonders schätzte und immer auf neue Klangfarben aus war.

Das französische Lied (chanson, mélodie) war vielen Einflüssen unterworfen; einige haben wir bereits erwähnt: Folkloristisches, Opernhaftes, Südländisch-Exotisches. Daneben wurde eine etwas andere Art des französischen Liedes – „le Lied“, wie die Franzosen in diesem Fall sagen – von der bedeutenden französischen lyrischen Dichtung und nicht zuletzt von deutschen Einflüssen, etwa Schumanns, bestimmt, erst recht in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Als Hauptmeister darf dabei – vor Debussy – Fauré gelten. Er entwickelt während seines Liedschaffens seine Kunst vom Einfachen und Naiven zum Komplexen und zum poetischen Gedanken. So überwindet er die Romantik, ohne einem reinen Klassizismus zu verfallen. Die Eleganz seiner Gesangslinien, die Sublimität seines Klavierstils zeugen vom tiefen Verständnis französischer Lyrik.

Faurés Lehrer Saint-Saëns, von dem Berlioz sagte, er sei la plus surprenante des organisations musicales de ce temps, vermochte dank seiner Vielfältigkeit Klassizimus und Originalität, Witz und Ernsthaftigkeit, Eleganz und Pathos zu verbinden. Das gilt auch für seine Vokalkompositionen, in denen wie in anderen Gattungen – und welche hätte er nicht gepflegt! – sein immer originelles perfektes Formverständnis zum Vorschein kommt.

Gounod, der älteste der drei und echter Romantiker (wenn auch in einer andern Weise als Berlioz), bleibt in seinen Liedkompositionen konventioneller, auch wenn es ihm – nicht zuletzt unter italienischem Einfluss – gelungen ist, die französische Romanze zu erneuern. Das Gefühlhafte, manchmal harmlos Anmutige steht im Vordergrund. Seine Hauptleistung dürfte darin bestehen, dass er seine Musik vollkommen mit der Prosodie und Deklamation der französischen Sprache zu verschmelzen verstand, und dies wirkte weiter bis hin zu Debussy. Fauré und Saint-Saëns führten übrigens 1895, zwei Jahre nach Gounods Tod, zu dessen Ehren sein kurz vor seinem Tod vollendetes Requiem in der Madeleine in Paris auf.   rs