Konzerte Saison 2004-2005

  • 16.11.2004
  • 20.15
  • 79.Saison
  • Zyklus A+B
Stadtcasino, Grosser Musiksaal

Emerson String Quartet (New York)

Das Emerson Quartett ist heute nicht mehr das einzige Quartett, bei dem regelmässig der erste und zweite Geiger ihre Positionen tauschen - aber es ist sicher das grossartigste und bedeutendste, das diese Eigenschaft konsequent pflegt. Mitte der siebziger Jahre von Musikern der Generation der ersten Hälfte der fünfziger Jahre unter dem Patronat von Robert Mann (Juilliard String Quartet) gegründet und nach dem amerikanischen Philosophen Ralph Waldo Emerson (1803-1882), dem Begründer des amerikanischen Transzendentalismus, benannt, hat es inzwischen die höchsten Stufen der Quartettkunst erklommen. Sein Ruf und seine Interpretationen bilden heute Referenzstandard. Es gilt nicht nur unter den amerikanischen Quartetten als das Ausnahme-Ensemble, sondern gehört weltweit zu der ganz schmalen Spitzengruppe der bedeutendsten Quartette. Es gastiert heute zum achten Mal bei uns. Zuletzt hat es vor vier Jahren Schostakowitsch Nr. 14 und Beethoven op. 131 und 133, 2002 Bártok Nr. 3, Schostakowitsch Nr. 15 und Beethoven op. 59/3 und vorletzte Saison Schostakowitschs Nr. 8 (neben Haydn und Schubert) gespielt - Beethoven und Schostakowitsch gehören also zur Emerson-Tradition in unseren Konzerten.
Mendelssohns op. 12 müsste eigentlich die Nummer 2, wenn nicht gar 3 (zählt man das Jugendquartett von 1823 dazu) tragen. Es bildet als drittes Werk im 3. Konzert den Abschluss des kleinen Schwerpunkts mit frühen Kammermusikwerken für Streicher des Komponisten. Natürlich steht bei den Quartetten op. 13 und 12 (dieses ist zwei Jahre nach op. 13 entstanden) Beethoven im Hintergrund, mit dem sich Mendelssohn intensiv auseinander gesetzt hat, vor allem mit den späten und mittleren Quartetten. Bei op. 12 hat man Bezüge zu Beethovens op. 74 und 127 nachgewiesen. Natürlich hat Mendelssohn seine eigene Sprache gefunden, sowohl im Melodischen als auch in der Form. Gerade das Abgehen vom Klassischen, am besten erkennbar beim „Scherzo-Ersatz“ der intermezzoartigen Canzonetta mit ihrem dahinhuschenden Trio, zeigt die Modernität: Der Tanzsatz wird zu einer Art Lied ohne Worte. Das kurze Andante, dominiert von der 1. Violine, konkurrenziert dieses „Lied“ nicht. Es wirkt eher wie eine Einleitung zum Finale, in das es denn auch attacca übergeht. Hier setzt vehement und virtuos ein Feuerwerk von Spielformen ein, das nur kurz von liedhaften Elementen und Rückgriffen auf den Kopfsatz unterbrochen wird, bevor alles in einem lyrischen Abgesang zur Ruhe kommt.

Nun also Beethovens op. 74 selbst! Unter den mittleren und späten Quartetten ist es sicher das einfachste und am leichtesten zugängliche, wirkt es doch vornehmlich heiter und freundlich. Schon die Äusserlichkeit der harfenartigen Pizzicati, die dem Werk den nicht gerade aussagekräftigen Beinamen beschert haben, lässt heitere Stimmung aufkommen. Die langsame Einleitung (die Mendelssohn in op. 12 aufgegriffen hat) leitet auf das Hauptthema des Allegro hin, indem es dessen Hauptmotiv umgekehrt vorwegnimmt. Bereits die Durchführung mit ihren Steigerungen lässt erleben, dass freundliche Heiterkeit allein nicht der einzige Charakterzug dieses Werks ist. Im Adagio, beherrscht von weitgespannten Kantilenen, kommt Expressivität hinzu. Auch hier tauchen die Harfenpizzicati wieder auf. Das Presto, nicht ausdrücklich als Scherzo bezeichnet, wird von einem ständig wiederholten Motiv (man fühlt sich an die Fünfte erinnert) beherrscht und der zweimal auftauchende Trioteil, zum Prestissimo gesteigert, macht durch sein Dauerfortissimo Heiterkeit rasch vergessen. Erst das Variationenfinale mit seinem liebenswürdigen Thema führt wieder zu Beruhigung und bekräftigt den Hauptcharakter des Werks.

Auch Schostakowitsch orientiert sich in seinem 3. Quartett zwar am späten Beethoven, nimmt aber noch mehr den Charakter der eigenen, kurz zuvor abgeschlossenen locker-heiteren 9. Sinfonie, der ersten nach dem Krieg, wieder auf. Dies ist vor allem im Kopfsatz mit seinem tänzerischen Thema zu spüren. Ständig wechselnde Farben bestimmen die Klangwelt des scherzohaften Rondino, das dann aber unerwartet ruhig abschliesst. Darauf folgt - echte Kriegsreminiszenz oder „nur“ Parodie? - mit einem Pseudozitat eines preussischen Militärmarsches das eigentliche Scherzo. Die Groteske, ein Lieblingsstilmittel Schostakowitschs, die ohne Mahler nicht denkbar wäre, zeigt die Doppelbödigkeit an, die auch bei einem scheinbar heiteren Werk bei ihm nicht fehlt. So bekommt der doppelt geführte Schlusssatz, ein attacca ins eigentliche Finale übergehende Threnos-Adagio in Passacaglia-Form und ein umfangreiches Moderato, das auf die früheren Sätze motivisch zurückgreift, bei aller Heiterkeit noch mehr Gewicht und eine neue Tiefgründigkeit, insbesondere im pianissimo verklingenden Schluss, die zeigt, dass das Werk nicht eine locker-leichte Bewältigung der überwundenen Kriegsgefahr ist.

rs

Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847

Streichquartett Nr. 1, Es-dur, op. 12 (1829)
Adagio non troppo – Allegro non tardante
Canzonetta: Allegretto – Più mosso
Andante espressivo –
Molto allegro e vivace

Ludwig van Beethoven 1770-1827

Streichquartett Nr. 10, Es-dur, op. 74 «Harfenquartett» (1809)
Poco Adagio – Allegro
Adagio ma non troppo
Presto – Più presto quasi prestissimo –
Allegretto con Variazioni – Un poco più vivace – Allegro

Dmitrij Schostakowitsch 1906-1975

Streichquartett Nr. 3, F-dur, op. 73 (1946)
Allegretto
Moderato con moto
Allegro non troppo
Adagio –
Moderato