Konzerte Saison 2003-2004

  • 18.11.2003
  • 20.15
  • 78.Saison
  • Zyklus B
Stadtcasino, Hans Huber-Saal

Dietrich Henschel, Bariton Michael Schäfer, Klavier

Dietrich Henschel

wurde in München und Berlin ausgebildet; schon während des Studiums war er Preisträger mehrerer Wettbewerbe. Sein Operndebüt gab er als 23-jähriger bei der Münchner Biennale 1990. Es folgten Gastengagements an verschiedenen deutschen Opernhäusern und bei Festivals, so bei den Schubertiaden in Wien und Feldkirch. 1993–95 war er Ensemblemitglied der Kieler Oper und sang dort Papageno, Graf (Nozze), Valentin (Faust), Pelléas und Orfeo (Monteverdi und Gluck). Seit 1996 führten ihn freie Engagements nach Bonn, Stuttgart, Lyon und Berlin (Deutsche Oper), wo er 1997 Henzes Prinz von Homburg sang. 1999 war es die Rolle des Faust, die er mehrfach interpretierte: in Schumanns «Faustszenen» mit Gardiner in London und Luzern, in Busonis «Dr. Faust» in Lyon, Berlin und Paris unter Kent Nagano (auch auf CD eingespielt). Im Opernhaus Zürich war er als Odysseus in Monteverdis Il ritorno d’Ulisse in patria unter Nikolaus Harnoncourt zu sehen. Weitere wichtige Rollen sind Wozzeck, Pelléas, Beckmesser, eine Reihe von Mozart- und Strauss-Partien. Als Konzertsänger trat er mit vielen Spitzenensembles und berühmten Dirigenten. Besondere Aufmerksamkeit gilt dem Liedgesang. Mit Irwin Gage führte er bei uns am 7. November 2000 mit grossem Erfolg Schuberts «Winterreise» auf. Wolfs Mörike-Lieder hat Henschel mit Franz Schwinghammer, Mahlers Rückert- und Wunderhorn-Lieder unter Kent Nagano eingespielt. Vor kurzem erschienen ist die Einspielung von Beethovenliedern mit Michael Schäfer.

Michael Schäfer

Der aus Tübingen stammende Pianist studierte an den Musikhochschulen von Stuttgart und München. Bereits hier widmete er sich der Kammermusik und dem Lied. Mit 31 Jahren erhielt er eine Klavierprofessur an der Hochschule für Musik und Theater in München. Er gibt Meisterkurse in Deutschland, Japan und Korea. Bei seinen Auftritten widmet sich sowohl dem Solorepertoire als auch der Kammermusik und der Liedbegleitung (auf CD das Klavierwerk von Korngold und Leopold Godowski, Klaviertrios von Schostakowitsch, Schubert, Turina, Beethoven-Lieder).

Beethoven wird als Liedkomponist unterschätzt, weil einerseits sein sinfonisches, kammermusikalisches und pianistisches Oeuvre alles überragt, und weil andererseits wenig später mit Schubert ein viel bedeutenderer Liedkomponist aufgetreten ist. Ihn hingegen hat man in Verkennung seines gesamten Schaffens zum reinen Liedkomponisten erklären wollen. Beethoven geht in manchen seiner Lieder über das hinaus, was Vorläufer und Zeitgenossen (die Reichardts, Zelters und Zumsteegs) im Lied gewagt haben oder wagen wollten. Er wendet sich wie Schubert vielfach vom Strophenlied ohne besondere musikalische Hervorhebung der Affekte – was Goethe an den genannten Komponisten geschätzt hat – ab. Die kantatenhaften An die Hoffnung (zweimal vertont, 1805 als Strophenlied), Wachtelschlag und Adelaide, das früheste Meisterwerk unter seinen Liedern, sind durchkomponiert und gehen bewusst mit Tempowechseln auf den Textinhalt ein. Schubert hat Wachtelschlag und Adelaide ebenfalls vertont (als Strophenlieder), doch hat Beethoven mehr Gewicht. In Wachtelschlag setzen beide den Wachtelruf, im Volksmund (wie in Sauters Text) mit «Fürchte Gott» umschrieben, als Hauptmotiv ein.

Die vier Lieder Schuberts zeigen seine dunkle Seite: Die geheimnisvoll-choralhafte Totengräberweise lebt vom harmonischem Reichtum, das noch ernstere Totengräbers Heimwehe vom scheinbar simplen Mittel, die Singstimme im Klavier zunächst unisono zu begleiten. Das Ende, die Befreiung des einsamen Totengräbers im Tod, schwingt sich hymnisch empor, bevor das Klaviernachspiel alles zurücknimmt. Auch Nachtstück nach dem Gedicht des 1836 im Selbstmord endenden Schubertfreundes Mayrhofer spricht von Todessehnsucht. Wunderbar die abwärts führende Melodie zu den Worten «so nimmt der Alte seine Harfe und schreitet und singt waldeinwärts und gedämpft». Ein Nachtstück ist auch das ruhige, vom wiederholten Ton Es im Klavier bestimmte Zügenglöcklein.

Vor gut hundert Jahren endete am 23. Februar 1903 das Leben Hugo Wolfs nach fünf Jahren des Wahnsinns im Irrenhaus. Obwohl er Sinfonisches, Kammermusik und eine Oper geschrieben hat, gilt er als Liedkomponist. Die Lieder seiner Reife (die Mörike-, Keller- und Heine-Lieder, das spanische und das italienische Liederbuch) entstanden in geschlossenen Gruppen in den Jahren 1888–1892. Die beliebtesten sind die Gesänge nach Gedichten des damals wenig bekannten Mörike (53). Ein Grossteil der musikalischen Aussage ist ins Klavier verlegt und dieses manchmal virtuos behandelt. Die Musik kommt vom Text her und entwickelt diesen weiter. Trotz Anlehnung an Wagners Behandlung der Singstimme findet Wolf eine eigene Deklamation. Ob es sich um ein frohes Wanderlied wie Fussreise oder um stille, in sich gekehrte religiöse Lieder handelt: Immer trifft er den richtigen Ton. «Wolfs Lieder sind Stücke aus Stimme und Klavier, das kann man nicht trennen; das ist eine Einheit, [...] das ist wahrscheinlich das Geheimnis» (Elisabeth Schwarzkopf, Opernwelt 2003/8). Ein Beispiel dafür in seinem zunächst scheinbar harmlosen Volksliedton ist Denk es, o Seele, dessen Todesmahnung plötzlich hervorbricht und im Klaviernachspiel, variierte Wiederaufnahme des Vorspiels, zerbröckelnd ausklingt. Die Gruppe der Goethe-Vertonungen (51) wurde am 12. Februar 1889 abgeschlossen; sie zeigt einen noch weiter entwickelten Ausdruck und schärferen Charakter. In Prometheus und Ganymed übertrifft Wolf Schubert eben darin; im balladenhaften Rattenfänger kommt dämonischer Humor hinzu.

rs