Als einen Wanderer zwischen den Welten bezeichnete die neue musikzeitung im September 1998 den Komponisten Daniel Schnyder und hat damit nicht nur gemeint, dass der in Zürich geborene Komponist heute in New York lebt, sondern dass er auch zwischen den Musikstilen pendelt: Bald komponiert er "klassische" moderne Musik, bald ist er als ernstzunehmender Jazzmusiker unterwegs. Studiert hat er Flöte in Winterthur sowie Jazz-Saxophon und -komposition am Berkley College in Boston. Die nmz schrieb zudem: "Die wechselseitige Anregung zwischen beiden Musikbereichen scheint das eigentliche Geheimnis seiner Produktivität zu sein." Schnyder versteht es, Musik zu schreiben, die nicht nur modern und überraschend, sondern auch gut gemacht ist und beim Publikum „ankommt“. Er beschreibt sein dem Carmina Quartett gewidmetes Werk so: Goethes ‚West-Östlicher Divan‘ hat mich zu meinem 3. Streichquartett inspiriert. Wie der Titel schon impliziert, zeige ich darin musikalische Verbindungen auf zwischen Nord und Süd, West und Ost. Der Schnittpunkt dieser in verschiedene Himmelsrichtungen strebenden musikalischen Vektoren liegt in Mitteleuropa, meiner Heimat. Trotz der vielen exotischen Einflüsse ist mein Streichquartett tief in der traditionsreichsten Gattung der abendländischen Musik verankert. Man kann diese Entwicklung meiner Musik vielleicht mit der europäischen Cuisine vergleichen, die sich vom Kohl zum Erdapfel, dann zu Curry, und nun zu mit Kokosnüssen und Mango versetzten Spezialgerichten entwickelt hat.
Beethovens opus 59 ist offensichtlich als Zyklus konzipiert. Zu dessen für das damalige Publikum schwierigen Zügen hat sicher der sinfonische Tonfall beigetragen, zu dem, angeregt durch die Qualitäten des Schuppanzigh-Quartetts, weitere Elemente wie spieltechnische Ansprüche, die Harmonik und die Rhythmik hinzutreten. Im Gegensatz zum F-dur-Quartett (Nr. 1) bleibt das zweite der Rasumowsky-Quartette stärker der Tradition verpflichtet. Es wirkt wie die Antithese zum kühnen ersten - das dritte in C-dur würde dann die Synthese bilden. Auf den düsteren Kopfsatz, einen Vorgriff auf op. 95 in f-moll, folgt ein zunächst scheinbar lichter Adagio-Choral - Czerny berichtet, er sei Beethoven beim Anblick des Sternenhimmels eingefallen. Durch Beifügen von Gegenstimmen und rhythmischen Kontrapunkten löst sich der Choral-Charakter immer mehr auf. Im fünfteiligen rhythmisch pointierten Scherzo fällt im Trio das aus Mussorgskys Boris Godunow bekannte Thème russe ins Ohr. Beethoven fand es in einer Sammlung russischer Volkslieder, die erstmals 1790 in St. Petersburg erschienen war. Das Finale weist, nicht nur mit dem Beginn in C-dur, auf das dritte Quartett, die Synthese des Opus, voraus.
rs