Haydns Quartette op. 76 bilden den End- und Höhepunkt der Streichquartettkomposition des 18. Jahrhunderts. Das G-Dur-Quartett ist eines der schönsten und beliebtesten - obwohl es keinen Namen trägt. Nach einem zweitaktigen «Vorhang» setzt das Thema nicht etwa in der ersten Violine ein, sondern wird fugenartig auf alle vier Instrumente verteilt, doch wird die Form nicht weitergeführt. Das Adagio, wohl einer der schönsten langsamen Sätze Haydns, verbindet Kantabilität und konzertantes Prinzip. Das Presto-Menuett könnte man als Haydns erstes Scherzo im beethovenschen Sinne bezeichnen. Das Finale beginnt düster in g-moll, nimmt dann lieblichere Formen an und endet geradezu gassenhauerhaft.
Berg hat seine Lyrische Suite nach Alexander Zemlinskys Lyrischer Sinfonie benannt, sie dem älteren Freund und Mentor gewidmet und mit einem Zitat im Adagio appassionato die Reverenz bekräftigt. Dass jedoch hinter Widmung und Zitat mehr steckt, erahnt man, seit man weiss, dass Bergs Quartett der Ausdruck einer tiefen, doch unerfüllten Liebe zu Franz Werfels Schwester Hanna Fuchs-Robettin ist. Ja, man kann sich fragen, ob nicht nachträgliche Tarnung vorliegt. Die Lyrische Sinfonie ist eine Folge von sieben Liebesgesängen. Berg zitiert die schönste Phrase des Baritons, den Refrain «Du bist mein Eigen, mein Eigen» aus dem 3. Satz. Sieht man das Textumfeld näher an, so fällt folgende Passage der 3. Strophe auf: «Ich hab dich gefangen und dich eingesponnen, Geliebte, in das Netz meiner Musik. Du bist mein Eigen, mein Eigen, du, die in meinen unsterblichen Träumen wohnt.» Genau das hat Berg getan, wenn er die Initialen A-B und H-F «immer wieder in die Musik hineingeheimnisst». Die Zahlen 10 und 23, «unsere Zahlen», wie Berg für Hanna schreibt, bestimmen das Kompositionsschema von Sätzen und Satzteilen. «Ich habe dies und vieles andere Beziehungsvolle für Dich in diese Partitur hineingeschrieben», so ein Tristanzitat und in der Melodiestimme des Largo desolato eingewoben ein Zitat aus Baudelaires Gedicht De profundis clamavi: «Zu Dir, Du einzig teure, dringt mein Schrei aus tiefster Schlucht, darin mein Herz gefallen.» All dies geschieht unter dem Deckmantel der Zwölftontechnik und der scheinbar absoluten Musik eines Streichquartetts. In Kenntnis des geheimen Programms - Bergs Gattin Helene hat den Code nie durchschaut - versteht man auch die eigenartigen Satzbezeichnungen vom gioviale (ursprünglich gioioso) über das delirando der Krise des Liebesdramas bis hin zum endgültigen Verzicht im desolato besser.
Auch Brahms hat in frühere Werke seine Liebe hineinkomponiert, so im 2. Streichsextett (Kryptogramm für Agathe [von Siebold]), doch nicht mehr in die nach langem Suchen entstandenen Quartette op. 51. Als sie endlich zur Geburt reif waren, bedurfte es, wie Brahms scherzhaft vermerkte, für die «Zangengeburt» des Chirurgen. Ihm, dem Freund Theodor Billroth, sind sie denn auch gewidmet. Im c-moll-Werk überraschen der neue Klang und die Verdichtung mit geradezu spröder Verschlossenheit, strengem Ernst und einer fast monothematischen Substanz. Ludwig Finscher charakterisiert die Sätze mit «dramatisch zerklüftet» (Kopfsatz), «melancholisch» (Romanze), «nachdenklich-versponnen» (Allegretto anstelle eines Scherzos!) und «emotionale Hochspannung» (Finale). Kein Wunder, dass die Uraufführung am 11. Dezember 1873 in Wien nur einen Achtungserfolg einbrachte.
rs