Von den Cello-Suiten wurde bei uns bisher einzig die 3. Suite aufgeführt: Am 5. April 1946 spielte sie Pablo Casals in einem Konzert mit Paul Baumgartner (mit Sonaten von Beethoven, Schumann und Brahms).
Die genaue Entstehungszeit der sechs Cellosuiten ist bis heute nicht geklärt. Das Autograph fehlt, eine erste unvollständige Abschrift ist um 1726 entstanden. Stehen sie vor oder hinter den sechs Sonaten und Partiten für Violine solo, die auf das Jahr 1720 datiert sind? Man darf davon ausgehen, dass die Cellosuiten etwa in die gleiche Zeit, somit in die Köthener Jahre Bachs gehören. In Köthen hat Bach als Hofkapellmeister den Hauptteil seiner Instrumentalmusik – von der Orgel abgesehen – komponiert und dabei die Möglichkeiten der Instrumentaltechnik und der Form ausgelotet, unter anderem in den Brandenburgischen Konzerten. Oft sind die Werke nach damaligem Brauch zu Sechsergruppen zusammengefasst. Um die zeitliche Abfolge zu klären, hat man argumentiert, die vielseitigeren und experimentelleren Violinwerke müssten nach den Cellosuiten geschrieben sein. Anderseits sind die Suiten auch als Vereinfachung und Vereinheitlichung der bereits erprobten Modelle denkbar. Auffällig ist die Gleichmässigkeit der (äusseren) Form: Alle Cellosuiten sind sechssätzig, wobei alle Sätze nach dem Prélude Tanzformen umfassen: die vier althergebrachten zweiteiligen Tänze einer Suite sowie ein variables Intermezzo. Mit dieser einen Ausnahme ist die Satzfolge also dieselbe: Prélude – Allemande – Courante – Sarabande – Intermezzo – Gigue. Der fünfte Satz ist jeweils paarweise anders gehalten: In den Suiten 1 und 2 sind es Menuette, bei 3 und 4 Bourrées, bei 5 und 6 Gavottes. Diese neueren Tänze sind alle nach dem Schema ABA, aus dem sich später das obligate Menuett-Trio-Modell entwickelt, gebaut. Im Stil sind sie voller Spielfreude und unbekümmerter als die Traditionssätze. In der von Antonio Meneses vorgenommenen Aufteilung der sechs Suiten auf die beiden Abende kommen alle drei Intermezzo-Varianten pro Abend jeweils einmal zum Zug. Die Reihenfolge der Suiten in Bachs Anordnung ist auf Steigerung in Länge, Schwierigkeit und inhaltlicher Tiefe angelegt.
Die 1. Suite beginnt mit einem wirklichen Vorspiel: Arpeggien und Tonleiternteile suggerieren echtes Präludieren, unterbrochen von einem langen Orgelpunkt. Die majestätische Allemande konstrastiert mit einer leichten und heiteren Courante. Die kurze, aus Phrasen von 4 x 4 Takten bestehende Sarabande ist ein Muster an Ausgewogenheit. Die beiden Menuette greifen auf das Prélude zurück. Die prägnant rhythmische Gigue bildet kehrausartig den Schluss. – Die 3. Suite beginnt mit einer Tonleiter ab- und aufwärts, durch welche die Tonart C-dur festgelegt wird. Im Mittelteil wird das Prélude von Arpeggien über einem Orgelpunkt bestimmt. Diese Festlichkeit setzt sich in den folgenden Sätzen fort. Mit edlem und majestätischem Schreiten folgen sich die schweren Akkorde der Sarabande. Spielerisch hell kommen die Bourrées daher, während die Final-Gigue von Virtuosität sprüht. – In der 5. Suite ist die Scordatura, die Tieferstimmung der obersten Saite von a auf g, bemerkenswert. Dies ergibt einen gedeckteren Klang. Das umfangreiche Prélude ist als einziges in eine pompöse Einleitung und einen fugenähnlichen Hauptteil gegliedert. Die Allemande ist „à la française“ eher ruhig und behält den Charakter des Prélude bei. Die Courante steht im 3/2- (statt wie sonst 3/4-) Takt. Die grossartige, dabei so einfach einstimmig gehaltene Sarabande verliert das Tanzhafte fast ganz; dafür spielen die Gavottes, obwohl in c-moll belassen, es elegant aus. Die knappe Gigue führt tänzerisch das tiefsinnige Werk zu seinem Ende. Bach selber hat die Suite – nach g-moll transponiert – zwischen 1727 und 1731 für Laute bearbeitet (BWV 995).
rs