Konzerte Saison 1997-1998

  • 31.3.1998
  • 20:15
  • 72.Saison
  • Zyklus A
Stadtcasino, Festsaal

Carmina Quartett (Zürich) Paul Coletti, Viola | Antonio Meneses, Violoncello

Das Carmina Quartett darf heute zu Recht als das namhafteste unter den Schweizer Quartetten bezeichnet werden. Das 1984 gegründete Ensemble konnte bald grosse Erfolge aufweisen, so 1987 beim Borciani-Wettbewerb. Im gleichen Jahr trat es erstmals in unseren Konzerten auf; heute ist es zum siebten Mal zu Gast. Das national und international gefragte Quartett plant sein Repertoire äusserst sorgfältig und studiert die ausgewählten Werke mit grösster Gewissenhaftigkeit ein. Dies ist nicht nur in den Konzerten zu hören, sondern auch bei Platteneinspielungen, etwa der Quartette von Ravel, Debussy, Szimanowsky, Haydn oder Brahms. Um so erfreulicher ist es, dass das Carmina Quartett nicht nur das Quartettrepertoire pflegt, sondern immer wieder mit ausgezeichneten Kammermusikpartnern auftritt.

Paul Coletti, der die erkrankte Nobuko Imai ersetzt, ist in Schottland geboren und lebt heute in New York. Er betätigt sich weltweit als Solist, Kammermusiker und Lehrer, aber auch als Jazzmusiker und Dirigent. Er hat unter Yehudi Menuhin Bartóks Bratschenkonzert für das Fernsehen aufgezeichnet; auf CD liegen Sonaten von Schubert, Schumann, Brahms und Schostakowitsch vor. Als Mitglied des Menuhin Festival Piano Quartet war er 1995 bei uns zu Gast.

Antonio Meneses unterrichtet als einer der wichtigsten heutigen Cellisten an der Basler Musikhochschule. 1957 als Sohn eines Hornisten in Brasilien geboren, studierte er bei Antonio Janigro. 1994 ist er in unseren Konzerten zusammen mit dem Vermeer Quartet aufgetreten. Bekannt wurde er dank der Förderung durch Herbert von Karajan (Aufnahmen des Brahms-Doppelkonzerts mit Anne-Sophie Mutter und des Don Quixote von Strauss). Seither spielte er mit allen bedeutenden Orchestern und unter den berühmtesten Dirigenten, 1992 auch unter seinem Cellisten-Kollegen Rostropowitsch. Die Kammermusik pflegt er im Duo mit Nelson Freire und mit Quartetten (Vermeer, Carmina, Amati). Platteneinspielungen mit dem Basler Sinfonieorchester unter Ronald Zollman sind d’Albert und Popper gewidmet.

Der Traditionalist und der Neuerer – ?

Brahms verdankte einen Teil seines Ruhms einem Missverständnis, da ihn die «Neudeutschen» um Liszt und Wagner zum Reaktionär stempelten. Einer hingegen, dessen Fortschrittlichkeit nicht in Zweifel zu ziehen ist, hat Brahms unter dem Blickwinkel des Modernen gesehen: Schönberg. Was er als Grundlage für sein eigenes Vorgehen benutzte, das Verfahren der entwickelnden Variation, bewunderte er bei Brahms: die Verschmelzung von Poesie und Logik, Ausdruckskraft und Form, von Melodik und thematischer Arbeit.

Dies ist nicht erst in der manchmal spröde wirkenden Sprache des Spätwerks zu erkennen. Schon ein so langes sentimentales Stück – wie Brahms sein 1. Sextett bezeichnete – mit seiner überquellenden Emotionalität und Melodienseligkeit lässt jene variative Verarbeitung thematischer Motive erkennen. Das Motivmaterial stammt im 1. Satz aus dem Themenkopf des Hauptthemas und dem Auftaktmotiv des Seitenthemas, während die in schubertscher Formerweiterung zwischen Haupt- und Seitenthema eingeschobene Ländlermelodie in A-dur keine Entwicklung auslöst. Im Rondo-Finale bleiben der Form entsprechend die Themen zwar unverändert, in den Verbindungsteilen dagegen werden ihre Motive höchst aktiv variiert und entwickelt. Einfacher verarbeitet der Variationensatz das Thema. Über gleich bleibendem Bass entsteht eine chaconnehafte Reihe von Veränderungen, die mehr durch die Kontraste im Rhythmischen und im Ausdruck bestimmt wird als durch echte Veränderung des Materials oder gar durch Erweiterungen im beethovenschen Sinne. Auffällig bleibt im ganzen Werk die geradezu orchestrale Klangfülle.

Schönberg überträgt in der Verklärten Nacht – auch er im Klanglichen orchestral (1917 erstellt er dann eine Orchesterfassung) – die sinfonische Dichtung vom grossen Orchester auf die Kammermusik. Dies rief damals noch mehr Befremden hervor als die an Wagner orientierte Klangsprache. In der Variationstechnik fusst Schönberg bereits hier auf Brahms. Allerdings wird in dieser «kammermusikalischen Dichtung» keine Handlung oder gar ein Drama erzählt. Dem fünfteiligen Aufbau von Dehmels Gedicht Zwei Menschen zwar folgend, beschreibt das Werk das Atmosphärische, die Stimmung, wie sie zwischen der Frau und dem Mann, die nebeneinander durch die Nacht gehen, herrscht. Das Bekenntnis der Frau, ein Kind von einem andern in sich zu tragen, und die Nachsicht des Mannes wird überwölbt vom Glanz der Nachthelle. Das ist in der Musik zeitloser dargestellt als in Dehmels heute etwas befremdlicher Sprachexpressivität und hat dem musikalischen Werk gegenüber dem Gedicht zu ungebrochener Beliebtheit verholfen.

Als Auftakt und Einstimmung hören wir im heutigen Konzert ein neues Werk aus der Feder des Zürcher Komponisten, Dirigenten und Musikkritikers Rolf Urs Ringger. Dieses stimmungsvolle einsätzige Opus enstand 1995 im Auftrag des Carmina Quartetts und wurde von ihm schon mehrfach erfolgreich aufgeführt. Inspiriert wurde die nur 13 Minuten dauernde Miniaturen-Collage «Feuillages» von einem Ausblick auf die Baumkronen des Central Parks in New York; in dieser Stadt wurden mehrere Werke Ringgers uraufgeführt.

rs