1936 verfasste
Schönberg für Schallplattenaufnahmen eine Analyse seiner Streichquartette. Zum ersten bemerkte er: «Danach (nach Verklärte Nacht op. 4 und Pelléas und Mélisande op. 5 [rs]) gab ich die Programmusik auf und wandte mich in eine Richtung, die sehr viel mehr meine eigene war als jede vorher. Es war das Erste Streichquartett, op. 7, in dem ich alle Neuerungen meiner Zeit – einschliesslich meiner eigenen – zusammenfasste. Dazu gehörten: der Aufbau sehr grosser Formen; weitgespannte Melodik über einer reich bewegten Harmonie und neuen Klangschritten; und eine Kontrapunktik, die die Probleme löste, die sich aus den überbürdeten, individualisierten, sich frei in entfernteren Regionen der Tonalität bewegenden und häufig in vagierenden Harmonien zusammenklingenden Stimmen ergeben hatten. In Anpassung an die Überzeugung der Zeit vereinigte diese Grossform alle vier Charaktere der Sonate in einem ununterbrochenen Satz. Durchführungen fehlten nicht, auch eine gewisse thematische Einheit innerhalb der kontrastierenden Abschnitte war erreicht worden. Die grosse Ausdehnung erforderte eine sorgfältige Konstruktion. Es mag vielleicht den Analytiker interessieren zu erfahren, dass ich einen wertvollen Rat erhielt und ausnutzte, den mir ein für diese Aufgabe gewähltes Modell gewährte: der erste Satz der Eroica. Alexander von Zemlinsky erzählte mir, Brahms hätte einmal gesagt, dass er immer, wenn er schwierigen Problemen gegenberstand, ein bedeutendes Werk von Bach und eines von
Beethoven um Rat befragte. Natürlich wurde das Modell nicht mechanisch kopiert, sondern sein Geist wurde in sinnvoller Weise angewandt. in derselben Art entnahm ich der Eroicapartitur Lösungen meiner Probleme: wie man Monotonie und Leerlauf ausweicht; wie Verschiedenes aus Einheitlichem geschaffen wird; wie neue Formen aus dem Ausgangsmaterial geschaffen werden; wieviel durch geringfügige Veränderungen erreicht werden kann, wenn nicht durch entwickelnde Variation aus oft ziemlich undeutlichen kleinen Figuren. Von diesem Meisterwerk lernte ich auch viel vom Bau harmonischer Kontraste und ihrer Auflösung.»
Beethoven hat sein opus 130 (wie 127 und 132) zwar im Auftrag des russischen Fürsten Galitzin geschrieben, hat aber im Gegensatz zum op. 59 keinen Bezug mehr zu russischer Musik gesucht. In der Satzfolge verdoppelt er in komplementärer Weise sowohl den Tanzsatz – scherzohaftes Presto und beschwingt heitere Danza tedesca – als auch den langsamen Satz: leichtes (man beachte die Spielanweisung poco scherzando!) , aber doch äusserst kunstvolles Andante und tiefsinnig-expressive Cavatina. Kopfsatz und Finale hingegen entsprechen äusserlich den üblichen Satzformen; dies allerdings nur, wenn man wie heute auf die Grosse Fuge als Schlusssatz verzichtet und an ihrer Stelle das nachkomponierte, fast krampfhaft jugendlich sein wollende Finale spielt, das Beethovens letzte Komposition sein sollte. Obwohl Beethoven nicht wie im op. 131 durch Verknüpfung der Sätze einen grossen Bogen über das ganze Werk schlägt, so erfahren wir gleichwohl, wo die Wurzeln für Schönbergs Idee der Grossform zu suchen sind.
rs