"In meinen neueren Werken verwende ich mehr Kontrapunkt als früher. So vermeide ich wieder die Formeln des 19. Jahrhunderts, die vorwiegend homophoner Art waren. Ich studiere Mozart. Vereinigte er nicht in wunderbarer Weise kontrapunktische und homophone Ideen? Ich habe die vorklassischen Kontrapunktisten studiert, die für Orgel und Cembalo schrieben, und ich habe vor, die Partituren der alten Vokalkontrapunktisten zu lesen. Denn ich beabsichtige immer ein Lerner zu bleiben." So äusserte sich Bartók, dessen 50. Todestages man am kommenden 26. September gedenken wird, 1928, im Entstehungsjahr des 4. Streichquartetts. Das kontrapunktische Element (Häufigkeit von Kanon und Umkehrungsimitation, etwa im Finale) verbindet sich mit dem Mittel der Variation und mit der neu entwickelten Brücken- oder Bogenform. "Der langsame Satz bildet den Kern des Werkes, die übrigen Sätze schichten sich um diesen. Und zwar ist der 4. Satz eine freie Variation des 2., die Sätze 1 und 5 wiederum haben gleiches Material, das heisst: um den Kern (Satz 3) bilden die Sätze 1 und 5 die äussere, 2 und 4 die innere Schicht" (Bartók). So entsteht eine Symmetrieform vom Muster ABCBA. Zu den vielen klanglichen Spezialeffekten wurde Bartók vielleicht von Bergs Lyrischer Suite angeregt.
Erstaunlich, dass Mendelssohns op. 44/3 erstmals in unseren Konzerten erklingt. Die drei Quartette op. 44 scheinen allerdings generell weniger beliebt zu sein als die jugendlich frischen Opera 13 und 12. Der Rückgriff auf geradezu beethovensche Thematik und ein klassisches Formgerüst haben dem Es-dur-Quartett auch schon den Vorwurf des Klassizismus eingetragen, wie man überhaupt das ganze op. 44 als konventionell beurteilt hat. Doch Mendelssohn selber war der Ansicht, op. 44/3 sei "einige hundertmal besser" als die früheren (zu denen ein Jugendwerk in Es-dur hinzuzuzählen ist), und man werde "einen rechten Fortschritt darin bemerken". Vielleicht liegt gerade in der von Mendelssohn hier erreichten kompositorischen Meisterschaft der Ansatz zur Kritik: Man entdeckt die auch hier vorhandene Originalität wegen der eleganten Leichtigkeit und kunstvollen Verarbeitung, wohl zu wenig. Umso mehr lohnt es sich, bei einer Aufführung gerade darauf zu achten.
rs