Bartóks offizielles 1. Streichquartett gehört in die gleiche Schaffensphase wie das 1. Violinkonzert, das Bartók für Stefi Geyer geschrieben hat (uraufgeführt erst 1958 unter Paul Sacher in Basel), und die daraus abgeleiteten "Zwei Porträts" (von S. Geyer; das erste, ideale Porträt, ist mit dem ersten Satz des Violinkonzerts identisch). Das Stefi Geyer-Motiv tritt in einer Moll-Variante (zwei Sexten F-As und C-D), welche die Grundlage für die Polyphonie des Satzes bildet, auch im Lento des 1. Quartetts auf. Bartók beschrieb es als Begräbnisgesang und scheint darin zugleich endgültig Abschied von der Jugendliebe und von der Spätromantik zu nehmen. Erstaunlicherweise nimmt auch der erste Satz des rund acht Jahre später entstandenen 2. Quartetts zumindest in der Stimmung auf dieses Idealporträt Stefi Geyers Bezug. Zoltán Kodály hat das 2. Quartett "Episoden" genannt und die Sätze mit "Ruhiges Leben - Freude - Leid" bezeichnet, womit autobiographische Bezüge des Werkes deutlich werden. Während der erste Satz im Frühwerk wurzelt, weist der dritte, geradezu pessimistische, auf den Stil der dreissiger Jahre voraus. Die wilde Tanzweise des auf den Ton D zentrierten Mittelsatzes ist Reminiszenz der Nordafrikareise zur Erforschung und Sammlung von Volksliedern im Jahre 1913. Die Ecksätze sind "in sehr vagem a-moll" (P. Griffiths) gehalten. Diese eher unbestimmte Tonart und die Dreisätzigkeit sind neben den autobiographischen Tendenzen und dem Versuch einer Synthese von Volks- und Kunstmusik beiden Quartetten gemeinsam.
György Kurtág, heute neben György Ligeti Ungarns namhaftester Komponist und legitimer Nachfolger Bartóks, ist wie dieser im heutigen Rumänien geboren. Trotz eigenständiger Tonsprache waren ihm seit seinem Opus 1 Bartók und Webern die Vorbilder. Von Bartók übernahm Kurtág das periodische Denken ("Es geschieht etwas - und es wird geantwortet."), von Webern die ans Verstummen grenzende Verknappung der Formen, die wie Momentaufnahmen wirken. Schon im ersten seiner bisher vier Werke für Streichquartett sind die Sätze auffallend kurz. Der Kopfsatz exponiert knappe Motive, die durch feste Intervalle gekennzeichnet sind (grosse Terz, kleine Sekund, Quinte, Septime); sie definieren jeweils einen Klangmoment. Dem Kopfsatz entspricht der letzte als Epilog. Dazwischen tritt in den Sätzen 2 und 5 die Ostinato-Technik in den Vordergrund; die beiden Mittelsätze enthalten Momente der traditionellen Typen Scherzo und Langsamer Satz. Weberns Technik wird mit dem Verzicht auf jede Art von Schlusskadenz oder Schlusswendung fortgeführt. Weberns Kanon aus op. 31 zitiert Kurtág in seinem op. 28; weitere Zitate gelten dem Komponistenfreund Endre Szervánszky (1911-1977), dessen er mit diesem Werk gedenkt. Als eine Art Reliquie erklingen nach vorangehenden Anklängen zwölf Takte aus dessen Streicherserenade im letzten der fünfzehn kurzen Sätze, die zusammen keine zwölf Minuten dauern. Als dritter Komponist nach Messiaen und Schnittke erhielt Kurtág in diesem Sommer den Österreichischen Staatspreis.
rs