Konzerte Saison 1993-1994

  • 2.11.1993
  • 20:15
  • 68.Saison
  • Zyklus B
Stadtcasino, Hans Huber-Saal

Stuttgarter Klaviertrio (Stuttgart)

1785 erhielt Haydn, dessen Todestag sich am 31. Mai 2009 zum 200. Mal jährt, in Esterházy Besuch vom Kupferstecher und Kunsthändler Gaetano Stefano Bartolozzi (1757-1821). Er versuchte, dem Komponisten England schmackhaft zu machen, weil dort Musiker viel mehr geschätzt würden, als es Haydn im Dienst des Fürsten Esterházy widerfahre. Am 29. Januar 1786 erschien im Public Adviser ein Bericht über Haydn, der sich auf Bartolozzi beruft: «Der Musiker gilt wie der Prophet nichts im eigenen Land, so scheint es. Ein deutlicher Beweis dafür ist der berühmte Haydn. Der Fürst Esterházy bringt zwar den Werken Haydns, der ständig in seinen Diensten steht, die grösste Bewunderung entgegen, die einzige Entlohnung aber, die er für ihn bereit hält, ist ein kümmerliches Gehalt, das in London selbst der geringste Geiger verächtlich zurückweisen würde.» Bartolozzi rühmte die Musikförderung in England so sehr, dass Haydn zum ersten Mal mit dem Gedanken spielte, London zu besuchen. Zehn Jahre später heiratete eben dieser Bartolozzi in London Therese Jansen. 1770 in Aachen geboren, war sie in London Schülerin Clementis geworden. Einer der Trauzeugen bei der Hochzeit am 16. Mai 1795 war Haydn, der von Johann Peter Salomon zweimal (1791/92 und 1794/95) nach London geholt worden war. Als Haydn vor seinem ersten Besuch Mozart von seinem Plan berichtete, wandte dieser ein, er verstehe doch die Sprache nicht. Haydn entgegnete: «Meine Sprache verstehet man durch die ganze Welt.» Wie sehr er Recht hatte, zeigen seine riesigen Erfolge in London. Meist denkt man dabei an die zwölf Londoner Sinfonien oder an die Streichquartette op. 71 und 74. Haydn schrieb aber eben für Therese Jansen in London drei Klaviertrios (1797 in London erschienen) und widmete ihr die letzten Klaviersonaten (Hob. XVI:50-52), welche, insbesondere diejenige in Es-dur, als Höhepunkt in seinem Klavierschaffen gelten. Jansen muss eine hervorragende Pianistin gewesen sein, wie die technischen Anforderungen in diesen Werken zeigen. Auch instrumententechnisch zeigt sich Haydn der neusten Entwicklung zugeneigt, schreibt er doch für die Trios nicht mehr Cembalo, sondern Pianoforte vor. Dabei hatte er wohl Instrumente der Firma Broadwood (gegr. 1738, als älteste bestehende Klavierfabrik 2003 geschlossen) im Auge, deren kraftvoller Klang und Tonumfang (5½ Oktaven gegenüber 5 bei den Wiener Klavieren) ihn beeindruckte. Die Virtuosität des Klaviersatzes im C-dur-Trio ist bemerkenswert. Im 1. Satz überrascht es durch grosse Gesten und starke forzato-Akzente. Das Andante, ein Siciliano in A-dur bzw. im Mittelteil a-moll setzt auf Kontraste, die auf Beethoven vorausweisen. Das humorvolle Presto-Finale, ein Sonatenrondo, erhält seine Originalität im Harmonischen wie durch die «falschen» Akzente. Laut Charles Rosen weist der Klavierstil auf den mittleren Beethoven (Klaviersonate op. 31/1) voraus.
Mehr als 25 Jahre hat Brahms gewartet, bis er seinem (falls man das ihm zugeschriebene A-dur-Trio ausser Betracht lässt) ersten Klaviertrio ein neues folgen liess. Es waren sogar zwei geplant, doch ist das gleichzeitig in Bad Ischl begonnene Es-dur-Fragment verschollen. Dem umfangreichen Opus 8 von 1854 mit seiner Demonstration gelehrten kompositorischen Könnens und emotionalen Übersteigerungen stellte er nun ein knapperes, konzentriertes Werk gegenüber. Die vier Sätze des op. 87 dauern nur wenig länger als die beiden ersten der Erstfassung von op. 8. Gleichwohl stehen im 1880 entstandenen Kopfsatz den beiden Hauptthemen nicht weniger als sechs Nebengedanken gegenüber, was den ersten Brahms-Biographen nach dessen Tod, Heinrich Reimann, 1897 zur Kritik veranlasst hat, es seien «etwas heterogene Stimmungen aneinandergeschweisst». Die drei übrigen Sätze kamen erst 1882 dazu. Das Andante in a-moll ist ein Variationensatz über ein pathetisches Thema mit magyarischem Einschlag. Auf das spukhafte, von einem klangvollen Trio unterteilte Scherzo folgt ein helles, oft geistreich-witziges Finale in Form eines Sonatensatzes. Clara Schumann war ganz begeistert: «Welch ein prachtvolles Werk ist das wieder! Wie vieles entzückt mich darin, und wie sehnsüchtig bin ich, es ordentlich zu hören. Jeder Satz ist mir lieb, wie herrlich sind die Durchführungen, wie blättert sich da immer ein Motiv aus dem anderen! – Wie reizend ist das Scherzo, dann das Andante mit dem anmutigen Thema, das eigentümlich klingen muss in der Lage der doppelten Oktaven, ganz volkstümlich!» Die Uraufführung fand am 29. Dezember 1882 mit Mitgliedern des Joachim-Quartetts und dem Komponisten am Klavier in Frankfurt statt, nur knapp drei Wochen, nachdem Brahms seinen «Gesang der Parzen» in Basel zur Uraufführung gebracht hatte.
Schuberts Klaviertrioproduktion fällt, sieht man vom einfachen Sonatensatz D 28 von 1812 ab, in die letzte Schaffensphase. Ob, wie heute öfters angenommen, das im November 1827 begonnene Es-dur-Trio das frühere Werk ist, lässt sich nicht eindeutig klären. Das B-dur-Trio könnte nach dem Erfolg des Es-dur-Werks im Privatkonzert vom 26. März 1828 rasch im April/Mai dieses Jahres entstanden sein, nicht zuletzt, weil Schubert die Möglichkeit hatte, gleich zwei Trios verlegt zu sehen. Leider ist das Autograph verschollen. So lässt sich auch nicht ermitteln, welche Rolle das Adagio (D 897), das sogenannte Notturno dabei gespielt hat. Schubert hat es sicher nicht so benannt. (In Diabellis Erstausgabe heisst es "Nocturne".) War es die erste Fassung des langsamen Satzes? Tonart und manche Indizien sprechen dafür. In jedem Fall ist es ein faszinierendes Stück, zugleich ruhig und doch gespannt, in ständiger Bewegung (erst recht im aufgeregten E-dur-Teil, der später in C-dur/Es-dur wieder aufgenommen wird), aber doch mit langen Melodiebögen. Am besten charakterisiert wird das Stück durch seine erste Vortragsbezeichnung: appassionato.
Das Trio op. 99 - Schubert hat die Opuszahlen der beiden Trios noch selbst vergeben - ist eines der beliebtesten und schönsten Instrumentalwerke Schuberts, obwohl manche das Trio op. 100 vorziehen. Es wirkt scheinbar problemlos, pendelt zwischen Energie (gleich zu Beginn) und melodischer Lyrik (im Andante), zwischen lockerer Heiterkeit (Scherzo) und wienerischem Charme (Finale) hin und her - und passt so gut in eines der zahlreichen Schubert-Klischees: Schubert, der ohne Reflexion und wo möglich ohne völlige Beherrschung der strengen Form naiv-heiter und ohne Schwierigkeiten Meisterwerke schafft, doch am stärksten in der lyrischen Kleinform des Liedes volle Meisterschaft erreicht. Dass Schubert im Spätwerk gerade im Formalen bewusst eigene, andere Wege als die Vorbilder ging, hat die neuere Forschung klar erwiesen. So hat er seine eigene Frage, wer nach Beethoven noch etwas zu machen vermöge, selber beantwortet, gerade in der formalen Vielfalt, der Andersartigkeit der Themengestaltung und deren Verarbeitung, d.h. in der nicht selten bewussten Abkehr vom übermächtigen Vorbild. So wirkt auch das B-dur-Trio äusserlich klassisch, im Detail steckt es aber voller Überraschungen.

Joseph Haydn 1732-1809

Klaviertrio Nr. 43, C-dur, Hob. XV:27 (vor 1797)
Allegro
Andante
Finale. Presto

Johannes Brahms 1833-1897

Klaviertrio Nr. 2, C-dur, op. 87 (1880/82)
Allegro
Andante con moto
Scherzo: Presto – Trio: Poco meno presto
Finale: Allegro giocoso

Franz Schubert 1797-1828

Klaviertrio Es-dur, op. post. 148, D 897, sog. «Notturno» (1828?)
Adagio
Klaviertrio Nr. 1, B-dur, op. 99, D 898 (1828 ?)
Allegro moderato
Andante un poco mosso
Scherzo. Allegro – Trio
Rondo: Allegro vivace