Konzerte Saison 1988-1989

  • 9.5.1989
  • 20:15
  • 63.Saison
  • Zyklus A
Stadtcasino, Festsaal

Arditti Quartet (London)

Das Arditti Quartet geniesst weltweit einen herausragenden Ruf für seine lebendige und differenzierte Interpretation von Kompositionen der Gegenwart und des 20. Jahrhunderts. Seit seiner Gründung 1974 durch den Geiger Irvine Arditti sind mehrere hundert Streichquartette für das Ensemble komponiert worden. Viele dieser Werke sind aus dem Repertoire der zeitgenössischen Musik nicht mehr wegzudenken und geben dem Quartett einen festen Platz in der Musikgeschichte. Die Bandbreite seines Repertoires beweisen Uraufführungen von Komponisten wie Thomas Adès, Georges Aperghis, Harrison Birtwistle, John Cage, Elliott Carter, Hugues Dufourt, Pascal Dusapin, Brian Ferneyhough, Luca Francesconi, Ashley Fure, Sofia Gubaidulina, Jonathan Harvey, Toshio Hosokawa, Mauricio Kagel, György Kurtág, Helmut Lachenmann, György Ligeti, Conlon Nancarrow, Younghi Pagh-Paan, Wolfgang Rihm, Giacinto Scelsi, Salvatore Sciarrino, Karlheinz Stockhausen, Jennifer Walshe oder Iannis Xenakis. Das Ensemble sucht bei der Erarbeitung von Werken einen engen Austausch mit den Komponisten, da dies seiner Überzeugung nach wesentlich für die Interpretation moderner Musik ist. In Meisterkursen für junge Interpreten und Komponisten engagieren sich die vier Spieler weltweit als Pädagogen. Die Diskografie des Arditti Quartets umfasst über 200 CDs. Allein bei Montaigne Naïve sind mehr als 40 Aufnahmen erschienen, die zahlreiche zeitgenössische Komponisten porträtieren und erstmals die Streichquartette der Zweiten Wiener Schule in Gesamtheit präsentieren. Viele Werke wurden in Anwesenheit der Komponisten eingespielt, wie zum Beispiel die Quartette Luciano Berios. Auch legendäre Ereignisse der jüngsten Musikgeschichte wie Stockhausens spektakuläres Helikopter-Quartett wurden vom Ensemble auf CD festgehalten. Im Laufe der letzten 40 Jahre erhielt das Arditti Quartet zahlreiche Preise, darunter mehrfach den Deutschen Schallplattenpreis. 1999 wurde ihm der Ernst-von-Siemens-Musikpreis für sein musikalisches Lebenswerk verliehen. 2004 verlieh ihm die Académie Charles Cros den «Coup de Cœur» für seinen «Beitrag zur Verbreitung der Musik unserer Zeit». Für die Einspielung von Werken Elliot Carters (1999), Harrison Birtwistles (2002) und Pascal Dusapins (2018) gewann es dreimal den Gramophone Award für die «beste Aufnahme zeitgenössischer Musik». Das Archiv des Arditti Quartets befindet sich in der Paul-Sacher-Stiftung in Basel.
«In meinen neueren Werken verwende ich mehr Kontrapunkt als früher. So vermeide ich wieder die Formeln des 19. Jahrhunderts, die vorwiegend homophoner Art waren. Ich studiere Mozart. Vereinigte er nicht in wunderbarer Weise kontrapunktische und homophone Ideen? Ich habe die vorklassischen Kontrapunktisten studiert, die für Orgel und Cembalo schrieben, und ich habe vor, die Partituren der alten Vokalkontrapunktisten zu lesen. Denn ich beabsichtige immer ein Lerner zu bleiben.» So äusserte sich Bartók, dessen 50. Todestages man am kommenden 26. September gedenken wird, 1928, im Entstehungsjahr des 4. Streichquartetts. Das kontrapunktische Element (Häufigkeit von Kanon und Umkehrungsimitation, etwa im Finale) verbindet sich mit dem Mittel der Variation und mit der neu entwickelten Brücken- oder Bogenform. "Der langsame Satz bildet den Kern des Werkes, die übrigen Sätze schichten sich um diesen. Und zwar ist der 4. Satz eine freie Variation des 2., die Sätze 1 und 5 wiederum haben gleiches Material, das heisst: um den Kern (Satz 3) bilden die Sätze 1 und 5 die äussere, 2 und 4 die innere Schicht" (Bartók). So entsteht eine Symmetrieform vom Muster ABCBA. Zu den vielen klanglichen Spezialeffekten wurde Bartók vielleicht von Bergs Lyrischer Suite angeregt. Das motivische Material wird aus einer Keimzelle entwickelt, die ständig variiert wird: zwei Halbtonschritten aufwärts (h-c-des) folgen zwei abwärts (c-h-b). ---

Bartók schrieb für die Studienpartitur eine Analyse und sagte zur Form seines 4. Quartetts: „Der langsame Satz bildet den Kern des Werkes, die übrigen schichten sich um diesen, und zwar ist der vierte Satz eine freie Variation des zweiten Satzes. Die Sätze eins und fünf wiederum haben gleiches thematisches Material, das heisst: um den Kern (Satz drei) bilden die Sätze eins und fünf die äussere, die Sätze zwei und vier die innere Schicht.“ Dies geschieht nicht nur im Satzcharakter, z.B. der beiden Scherzi, sondern – wie Bartók andeutet – auch in der Verwendung des Materials. Das Hauptthema des 5. Satzes und das Seitenthema des 1. Satzes gehören zusammen. „Das Thema des vierten Satzes ist mit dem Hauptthema des zweiten Satzes identisch: dort bewegt es sich innerhalb enger Intervalle der chromatischen Tonleiter, hier erweitert es sich in der diatonischen Tonreihe.“ Erstaunlicherweise unterstreicht auch die Dauer der Sätze diesen Bau: Sätze 1, 3 und 5 bzw. 2 und 4 sind ungefähr gleich lang, wobei die längeren Sätze etwas mehr als doppelt so lang dauern wie die beiden kürzeren Scherzi. Das Werk wird von einer konstruktiven Zelle, bestehend aus auf- und absteigenden Halbtonschritten, zu Beginn des Kopfsatzes im Cello h – c – des – c – h – b, bestimmt. Diese Keimzelle wird mehrfach variiert. Der 3. Satz, der Kern des Quartetts, beruht auf einem Variationsprinzip, dessen Mittelteil durch die Vielfalt der Spieltechniken auffällt.

Giacinto Scelsi 1905-1988

Streichquartett Nr. 4 (1964)
In einem Satz

Jonathan Harvey 1939-2012

Streichquartett Nr. 3 (1989)
In drei Teilen

Brian Ferneyhough 1943-

Streichquartett Nr. 3 (1986/87)
(Ohne Bezeichnung) – inquieto – agitato
Irato – meno violente – un poco affrettando – quasi recitativo – molto ritmico

Béla Bartók 1881-1945

Streichquartett Nr. 4, Sz 91 (1928)
Allegro
Prestissimo, con sordino
Non troppo lento
Allegretto pizzicato
Allegro molto