Das Toyko String Quartet wurde von Studenten der Musikhochschule Tokio während ihres Studiums bei Mitgliedern des Juilliard String Quartets (Robert Mann, Raphael Hillyer und Claus Adam) an der Juilliard School New York 1969 offiziell gegründet. 1970 gewann es den ARD-Wettbewerb in München, was eine weltweite Karriere einleitete. Bald galt es als eines der hervorragendsten Quartette überhaupt, bald erschienen auch gerühmte Platten, so die Einspielung der Quartette op. 50 von Haydn (1973). Seither hat es über 40 Aufnahmen gemacht, darunter Gesamtaufnahmen von Beethoven, Schubert und Bartók. Zum Jubiläum gab das Quartett 2009 eine Reihe Konzerte in der Oji Hall von Tokio unter dem Motto «Yesterday (Debütprogramm in New York von 1970 mit Beethoven, Berg, Bartók) – Today (Programm gemäss Publikums-Abstimmung per Internet) – Tomorrow (Musik eines jungen japanischen Komponisten)». Die vier Quartettmitglieder spielen Stradivari-Instrumente, die, weil sie in Paganinis Besitz waren, «Paganini Quartett» genannt werden. Mit den Jahren hat es Besetzungswechsel gegeben. So hat etwa 1996 Mikhail Kopelman, zuvor Primarius beim Borodin Quartett, den 1981 für Koichiro Harada eingewechselten Peter Oundjian abgelöst. Von der ursprünglichen Besetzung ist heute noch der Bratscher dabei. Martin Beaver kam als letzter 2002 neu hinzu, Clive Greensmith 1999, Kikuei Ikeda 1974. Das Ensemble ist natürlich auch in unseren Konzerten aufgetreten: 1981, 1983, 1989 und zuletzt – in der heutigen Besetzung – am 1. Dezember 2009 mit Schubert, Berg und Brahms.
Haydn hat die Sechserserie der Quartette op. 71 und 74 dem Grafen Anton Appónyi gewidmet. Sie dürften die ersten für den grossen Konzertsaal geschriebenen Streichquartette sein. Was ihm bereits in den für London komponierten Sinfonien gelungen ist, überträgt er nun auf die Kammermusik. Gerade das F-dur-Quartett des op. 74 hat, wie man zu Beginn gut vernehmen kann, sinfonischen Charakter: Ein achttaktiges Unisono-Signal eröffnet forte das Werk fanfarenhaft, so dass man sich am Ende dieser Einleitung schon beinahe am Ende des Satzes wähnt – allerdings im «falschen» C-dur. Haydn entwickelt daraus piano das etwas anders geartete Thema des monothematischen Kopfsatzes; auch das Seitenthema wird aus dem gleichen Material abgeleitet. In Durchführung und Reprise verarbeitet er dieses Material immer mehr und sorgt dadurch für Spannung, welche sich erst in der Coda mit einer neuen Unisono-Variante des Themas und zwei Schlussakkorden löst. Das Andante grazioso im 2/4-Takt gibt sich als unkomplizierte Folge von drei Variationen und Coda. In der 1. Variation wird das Thema mit nur geringen Änderungen dem Cello zugewiesen, von der 1. Violine figurativ begleitet. Die mittlere Variation steht in b-moll und entfernt sich am weitesten vom Thema; das ausdrücklich so bezeichnete Solo spielt hier die 2. Geige. Die dritte Variation bringt erneut das Thema weitgehend unverändert; erst in der Wiederholung wird es durch Umspielungen angereichert. Sie mündet in eine Coda, die pianissimo in C-dur ausklingt. Zum Ernst des Menuetts – mit einem deutlich längeren zweiten Teil als üblich – kontrastiert das leisere Trio in Des-dur. Es weist überraschend eine eigene Art Coda auf. Bewundernswert das Finale: ein Sonatenrondo im 2/4-Takt, das von thematischer Arbeit bestimmt ist und unverkennbar zu Beethoven hinführt. Die lange Coda kulminiert fortissimo auf einem Orgelpunkt mit Akkorden in der 1. Violine, bevor nochmals das Hauptthema auftritt und der Satz darauf rasch zu Ende geht.
Bartóks knappstes, konzentriertestes Quartett war damals das kühnste seiner Werke und durfte als repräsentativ für moderne Musik gelten, selbst im Vergleich mit den Werken des Schönberg-Kreises. Adorno hielt es damals für «fraglos die beste von des Ungarn bisherigen Arbeiten» und bewunderte die «Formkraft des Stückes, die stählerne Konzentration, die ganz originale, aufs genaueste Bartóks aktueller Lage angemessene Tektonik». Die Recapitulazione bildet die Reprise des 1. Satzes, die Coda nimmt, ebenfalls reprisenhaft, Material der Seconda parte wieder auf. Dies ergibt eine ungeheure Geschlossenheit. Dazu kommt, dass die Motive auf zwei oder drei beschränkt sind; aus ihnen wird das gesamte Material des ganzen Werkes abgeleitet. Neu ist vor allem die Lösung von romantischen und vordergründig folkloristischen Anklängen und besonders die in ihren harmonischen Schärfen und in der kontrapunktischen Kompromisslosigkeit noch nie gehörten, dem Streicherklang bisher fremden Farben.
Über Borodin hört man manchmal die Frage, ob er ein komponierender Wissenschaftler oder ein wissenschaftlicher Komponist gewesen sei. Zweifellos war er eine grosse Doppelbegabung. Hauptamtlich war er (innovativer) Wissenschaftler, Mediziner, dann Chemieprofessor in Petersburg. Komponieren konnte er nur nebenher. Bei seiner Weiterausbildung nach der Promotion in Medizin lernte er in Heidelberg seine Frau kennen (und daneben in Mannheim die Musik Wagners). Sie war eine grosse Musikliebhaberin; ihr hat er das 2. Streichquartett gewidmet – und das hört man dem Werk an. War im 1. Quartett der Ausgangspunkt Beethoven gewesen (mit einem Zitat aus op. 130), so ist im 2. Quartett russische Melodik bestimmend. Dazu trägt das Cello bei, das Borodin selbst ausgezeichnet spielte. So wurde nicht zufällig das ausdrucksstarke Notturno zum beliebtesten Satz des Werkes. Elegant-lyrisch gibt sich der Kopfsatz, das originelle Scherzo in freier Form, das sein gesamtes Material aus den ersten Tönen bezieht, lässt im Trio einen Walzer anklingen. Am ehesten erinnert das Finale an Beethoven. Das einleitende Andante stellt das Material vor (Unisono-Passagen) und unterbricht später den locker dahin fliessenden Ablauf des Hauptteils.