Concerts Season 1988-1989

  • 8.11.1988
  • 20:15
  • 63.Season
  • Zyklus A
Stadtcasino, Festsaal

Artis Quartett (Wien)

Biography available in German ▼
Commentary available in German ▼
Ob die Auseinandersetzung mit der Barockmusik und speziell mit Bach ein Auslöser für die kühnen, den damaligen Hörern so unvertrauten Harmonien im einleitenden Adagio des darum so betitelten Dissonanzen-Quartetts waren? Sicher ist nur, dass ihr oft unvermitteltes Auftreten, das sich nicht unbedingt aus einer Struktur wie in einer bachschen Fuge erklären liess, nicht nur Korrekturversuche ausgelöst hat, sondern irritierte Käufer veranlasste, die Noten an den Verleger Artaria zurückzuschicken mit der Bemerkung, sie seien voller Fehler des Stechers. «Der in der Einleitung angeschlagene chromatische Grundton wird zum Kennzeichen der ganzen Komposition, scheint fast an die Stelle kontrapunktischer Kunstfertigkeit zu treten, die wir aus den vorangehenden Quartetten kennen» (A. Werner-Jensen).

* * *

Ein italienischer Käufer soll dem Verleger Artaria die Noten von Mozarts Haydn-Quartetten mit der Bemerkung zurückgeschickt haben, sie seien voller Fehler des Stechers. Und der Komponist Giuseppe Sarti kritisierte sie, weil Mozart wie ein Klavierspieler schreibe, der zwischen Dis und Es nicht unterscheiden könne. Die Kritik zielte gewiss auf die 22 Takte der Einleitung zum C-dur-Quartett. Obwohl es lange vor Mozart kühnere harmonische Reibungen gegeben hatte, erregte ihr Auftauchen in einem Streichquartett und der Umstand, dass die Dissonanzen so gar nicht zur Klarheit der folgenden Sätze passen wollten, Unmut. Aber vielleicht war es gerade das, was Mozart suchte: So wird einem das C-dur erst wirklich bewusst. Mozart trug das C-dur-Quartett am 15. Januar 1785 in sein Werkverzeichnis ein. Bereits am nächsten Tag führte er es mit den fünf andern dem Widmungsträger und Freunden vor mit Wiederholung am 12. Februar - wieder im Beisein Haydns. Dieser hat nach der ersten Aufführung bekanntlich von Mozart gesagt, er habe „die grösste Compositionswissenschaft“. Dies hätte er kaum von einem Komponisten gesagt, der Dis und Es nicht unterscheiden kann.

Die «Fünf Sätze» Weberns dürften für den Komponisten in mancher Hinsicht den Durchbruch gebracht haben: Befreiung von der festen Tonalität – das Wort Atonalität schätzte Webern nicht – ebenso wie von den tradierten Formen und Bekenntnis zur Kürze. Die für Webern charakteristische Kürze hängt eng mit dem Verlassen der klassischen Satzformen zusammen. Sonatenform mit Durchführung und Reprise oder Rondoform mit mehrfacher Wiederkehr des Themas waren keine unumgehbaren Zwänge mehr, und diese Freiheit der beinahe abstrakten selbst gewählten Form machte aussagekräftige Stücke von der Dauer einer halben bis zwei Minuten möglich. «Webern kann in zwei Minuten mehr sagen als die meisten anderen Komponisten in zehn.» Die Aussage von Humphrey Searle (englischer Zwölftonkomponist und Webern-Schüler, 1915-1982) können wir zu «in wenigen Sekunden» ändern: Der dritte der «Fünf Sätze» dauert gegen 40 Sekunden. Und doch sind die «Fünf Sätze» mit rund zehn Minuten noch relativ lang; die «Sechs Bagatellen» op. 9 (1911/13) werden noch vier dauern. Der erste Satz des op. 5 ist eigentlich noch ein Sonatensatz. Kürze allein ist nicht entscheidend. Wichtig ist neben der Dichte, die durchaus auch Luft lässt, die Vielfalt der Klänge, welche durch extreme Differenzierung der Spielweise erreicht wird. Der Kritiker Paul Stefan hat die Kompositionsweise umschrieben mit «Nicht ein Ton zuviel, von allem nur die letzte Frucht, das innerste Wissen, die kleinste Bewegung.» Im op. 5 ist Webern auf dem Weg dahin.
Wagner und Brahms, Mahler und Schönberg, sein ehemaliger Schüler, haben auf Zemlinsky Einfluss ausgeübt. Auch bei ihm gibt es ein frühes Quartett (1893, E-dur), das aber vom Wiener Tonkünstlerverein nicht zur Aufführung angenommen wurde. Das offiziell erste Quartett (1895/96) wurde 1897, also kurz vor Schönbergs D-dur-Quartett, im Tonkünstlerverein uraufgeführt. Es steht noch im Banne von Brahms. Im gut fünfzehn Jahre später entstandenen zweiten Quartett ist dann Schönbergs Einfluss unverkennbar, auch wenn Zemlinskys Tonsprache eigenständig ist. Im Aufbau war offensichtlich Schönbergs 1. Quartett op. 7 (1905) das Vorbild im Versuch, die vier traditionellen Sätze als eine Art grossen, übergreifenden Sonatensatz zu gestalten. Auch Verklärte Nacht (1899), besonders im Schlussteil, und das 2. Quartett von 1907/08 sowie Bergs op. 3 (1911/13) haben Zemlinsky angeregt. Und doch ist etwas Eigenes entstanden, gerade in der Form. Das Quartett ist eigentlich viersätzig, allerdings ohne Unterbruch zu spielen. Die Teile erhalten aber mehr Eigenständigkeit als bei Schönberg. Gleichwohl ist es beim Hören nicht einfach, die Sätze mit den zahlreichen Zwischenepisoden eindeutig voneinander abzugrenzen, obwohl Zemlinsky jedem Hauptteil das Motto voranstellt, das er zu Beginn präsentiert. Es trägt im Kern die Motive für die jeweiligen Hauptthemen in sich. Es besteht aus Sekund + Terz (= Quart) d – e – g mit bestätigender Wiederholung des Sekundschritts im zweiten Takt. Im Gegensatz zu Schönbergs 1. Quartett, wo die vier Sätze zu einem riesigen Sonatensatz verbunden sind, erinnert Zemlinskys Gestaltung «eher an die Rondoform, in der ein Hauptsatz mit verschiedenen kontrastierenden Episoden abwechselt. Allerdings verlagert Zemlinsky die Gewichtung auf die Formteile (Horst Weber)». Schönberg, inzwischen Zemlinskys Freund und Schwager und zudem Widmungsträger des Quartetts, dankte dem Komponisten im November 1916 mit aufrichtiger Freude: «Ich ... bin wirklich ganz begeistert.» Bewunderung fand er vor allem «für den herrlichen Schluss, den Anfang des unheimlichen Scherzos und des Adagios. Ich werde das natürlich oft vornehmen, bis ich es ganz vor mir habe...» und begann sogleich mit einer Bearbeitung für zwei Klaviere.

Wolfgang Amadeus Mozart 1756-1791

Streichquartett Nr. 19, C-dur, KV 465 «Dissonanzen-Quartett» (1785)
Adagio – Allegro
Andante cantabile
Menuetto: Allegro – Trio
(Molto) Allegro

Anton Webern 1883-1945

5 Sätze für Streichquartett, op. 5 (1909)
Heftig bewegt. Tempo I – Etwas ruhiger, Tempo II
Sehr langsam
Sehr bewegt
Sehr langsam
In zarter Bewegung

Alexander von Zemlinsky 1871-1942

Streichquartett Nr. 2, op. 15 (1910/15)
Sehr mässig–Heftig und leidenschaftlich–Moderato–Andante mosso–Allegretto–
Adagio –
Schnell – Andante – mit energischer Entschlossenheit –
Allegro molto – Langsam – Andante