Wenn wir
Beethovens Verhalten und seine Äusserung gegenüber Karl Amenda, das F-Dur Quartett in der Urfassung nicht weiterzugeben, richtig interpretieren, dürfen wir die Quartette Nr. 4 bis 6 als den entscheidenden Schritt vom Quartett des späten 18. zu dem des frühen 19. Jahrhunderts ansehen. Beethoven hat die ersten drei Quartette im Jahre 1800 revidiert. Dies zeigt, dass er selbst von der ersten zur zweiten Dreiergruppe einen qualitativen Fortschritt sah, der ihn nötigte, die ersten Werke dem neuen Standard anzupassen. So sind auch diese drei Quartette, zumindest in einzelnen Sätzen (vor allem beim F-dur-Quartett die beiden ersten) zu neuartigen Kompositionen geworden. Natürlich stehen auch die Nummern 4 bis 6 noch in der Tradition; der eigentliche Bruch mit dem 18. Jahrhundert wird sechs Jahre später - dafür umso radikaler - mit den Rasumowsky-Quartetten op. 59 erfolgen.
Die modernste Passage im 6. Quartett ist die langsame Einleitung zum Schlusssatz, welche die Überschrift "La Malinconia" trägt. Die Schwermut wird in einer Weise gemalt, die "harmonisch alles Vergleichbare jener Zeit weit hinter sich lässt" (W. Konold). Im Wechsel mit der Heiterkeit der tänzerischen Allegrettoteile ergibt sich nicht nur ein Kontrast, sondern auch der Versuch, beide Seiten menschlichen Verhaltens als austauschbar nebeneinander zu stellen. Am Schluss setzt sich mit der Prestissimo-Steigerung das Tänzerisch-Lustige durch, wirkt aber, wie so oft bei Beethoven, nicht ganz frei, eher etwas künstlich. Das Werk ist auf diesen Finalsatz hin ausgerichtet: ein musikantischer, nur im Seitenthema etwas ruhigerer Kopfsatz, das melodisch-subtile Adagio in dreiteiliger Liedform und das synkopierte Scherzo mit eigenwilligen Akzenten bilden den Vorspann zum quasi una fantasia des Finales.
Formal ist das erste der Rasumowski-Quartette eine Art „Variationenfolge“ über die Sonatensatzform. Der erste Satz (ursprünglich war eine Wiederholung von Durchführung und Reprise, nicht aber der Exposition geplant) verzichtet auf Wiederholungen und breitet stattdessen neben vielen thematischen Einfällen grosse, ungewohnte Steigerungen aus. Das fünfteilige scherzohafte Allegretto verbindet das Scherzoschema mit dem Sonatensatz. Als wollte Beethoven die Ungewöhnlichkeit auch dieses Satzes demonstrieren, gab er ihm nicht die Tonart F-dur, sondern B-dur, die eigentlich einem langsamen Satz zukäme. Dieser wiederum steht in f-moll und bildet erneut einen Sonatensatz. Er steht als Adagio molto e mesto in grösstem Gegensatz zum vorangehenden Scherzo und kommt mit geradezu barocken Trauerfloskeln daher. Die Tiefe dieses Satzes kann mit dem Trauermarsch der Eroica verglichen werden. Beethoven hat in die beiden ersten Quartette bekanntlich russische Melodien eingebaut, wohl zu Ehren des Auftraggebers. Was er aber daraus macht, ist erstaunlich. Aus einem volksliedhaften Klagelied der russischen Sammlung von Iwan Pratsch (1790 erstmals in St. Petersburg erschienen – Beethoven besass eine Ausgabe) wird ein Rondothema mit geradezu tänzerischer Energie – doch handelt es sich gar nicht um ein echtes Rondo, sondern wieder um einen Sonatensatz. Beethoven arbeitet mit Überraschungseffekten, indem er mit Konventionen bricht, daraus aber eine vollkommen überzeugende Neugestaltung bildet. Ein Höhepunkt des Quartetts ist sicher der Übergang vom langsamen zum Schluss-Satz: Aus einem beinahe banalen Überleitungstriller der Violinkadenz wächst das Finalthema heraus.
Die drei Opera 132, 130 (inkl. op. 133) und 131 – dies die Entstehungsreihenfolge – weisen einige Besonderheiten und Gemeinsamkeiten auf. Als einzige Beethovenquartette gehen sie mit fünf, sechs resp. sieben Sätzen über die Viersätzigkeit hinaus. Zudem sind sie durch Motivverwandtschaft, die von einer Keimzelle aus vier Tönen in zwei gegenläufigen Halbtonschritten (dis – e / c – h) ausgeht, verbunden. Das mag beim Hören unbemerkt bleiben, doch zeigt die Analyse die geheime Klammer auf. Im cis-moll-Quartett tritt das Motiv zu Beginn der Fuge in den Tönen zwei bis fünf (his – cis / a – gis) auf. Hatte die Originalfassung des op. 130 mit einer Fuge geendet (so am 19.10.1999 zu hören), so beginnt op. 131 ebenfalls mit einer solchen, wenn sie auch keine „Grosse“ und keine so schwierige ist. Einheitlich geschlossen wirkt das „wohl Schwermütigste, was je in Tönen ausgesagt worden ist“, wie sich Richard Wagner ausgedrückt hat. Der 2. Satz im 6/8-Takt übernimmt den Oktavsprung vom Ende der Fuge einen Halbton höher, der improvisationsartig wirkende 3. Satz reduziert ihn auf die Quinte. Mit nur elf Takten, von denen die letzten vier Adagio zu spielen sind, bildet er die Überleitung zum Werkzentrum, der umfangreichen tiefgründigen Variationenfolge. Der fünfteilige 5. Satz ist ein Scherzo mit Trio im Schema ABABA. Nach der teilweise sul ponticello zu spielenden Coda geht erattacca in ein 28-taktiges Adagio über. Es ist zwar selbständig gehalten, bildet aber eine Art langsame Einleitung zum Finale. Hier ist am Beginn mit den Tönen gis – a / cis – his wieder das Grundmotiv fassbar. Mit drei heftigen fortissimo-Akkorden endet das komplexeste der Beethoven-Quartette.