Konzerte Saison 1978-1979

  • 14.11.1978
  • 20:15
  • 53.Saison
  • Zyklus A
Stadtcasino, Festsaal

Juilliard Quartet (New York)

Auch wenn Robert Mann, Gründer und fünfzig Jahre lang Primarius des Juilliard Quartet, seit 1997 nicht mehr dabei ist: Einer Vorstellung bedarf diese Legende des Quartettspiels nicht mehr. 1946 wurde es auf Anregung William Schumans, des Präsidenten der Juilliard School of Music New York, gegründet. Die neu hinzugekommenen Mitglieder Samuel Rhodes (1969), Joel Krosnick (1974) und Joel Smirnoff (1986) übernahmen den Juilliard-Stil, führten ihn weiter und werden ihn auch mit Ronald Copes weitergeben. R. Copes debütierte mit dem Juilliard String Quartet am 6. August 1997 in Tanglewood. Zuvor war er Mitglied zweier amerikanischer Klavierquartette und war zwanzig Jahre lang Professor an der University of California in Santa Barbara. Er wird zum Lehrkörper der Juilliard School gehören, wo das Quartett seit jeher als Quartet in residence wirkt. Seit 1962 hat es die gleiche Funktion an der Library of Congress in Washington inne. Die Fähigkeit der Juilliards, Partituren auszuleuchten, musikalische Abläufe überblickbar zu machen, emotionales understatement und Texttreue mit innerer Gespanntheit zu verbinden und mit der Klangfülle doch auch die Selbständigkeit der Stimmen zu bewahren, wurde immer bewundert und wird auch die Qualität des «neuen» Juilliard Quartet sein.
Schubert waren in der Jugend Sinfonien und Streichquartette für den Schul- bzw. Hausgebrauch leicht aus der Feder geflossen. Dabei handelte es sich meist um eher «leichte» Werke, denen es zwar nicht an Ernst fehlte, die aber doch mehr als Spielmusik denn als tiefgründige Einzelwerke zu gelten haben. Was ihm im Liedschaffen damals immer wieder gelungen ist, fehlte im Instrumentalen noch weitgehend. Erst ab 1820 zeigte sich auch im Instrumentalen eine überraschende Entwicklung. Nun treten auf einmal in den Gattungen Streichquartett und Sinfonie Werke hervor, deren Anspruch und Klangbild neuartig sind. Gemeinsam ist ihnen, dass sie alle nicht zu Ende geführt wurden. Drei betreffen die Sinfonie: 1820 oder später, 1821 und 1822 (die «Unvollendete»). Der wohl früheste gescheiterte Versuch von 1820 ist ein c-moll-Streichquartett, von dem der überraschende Kopfsatz ganz und 41 Takte eines weniger gewichtigen Andante in As-dur vorliegen. Jener ist der bekannte «Quartettsatz». Hier tritt die packende Stimmung, wie sie für den späten Schubert typisch wird, erstmals richtig auf. Die Tremoli sind keine Verlegenheit, sondern gestalten bewusst das Unheimliche und die Unruhe. Das lyrische Seitenthema in As-dur bietet mit seiner Sanglichkeit den Gegenpol, ohne ins Beliebige abzugleiten. Das Stück endet in der Unruhe des Beginns. Schubert fand damals keine gültige Fortsetzung. Der Quartettsatz ist zehn Jahre nach Beethovens «Serioso»-Quartett, einem denkbaren Vorbild, entstanden.
Haydns B-dur-Quartett op. 71/1 ist nach der ersten Englandreise entstanden und gehört zu den sechs dem Grafen Anton Georg Appónyi gewidmeten Quartetten op. 71 und 74. Sie wurden aber wohl vor allem im Hinblick auf den Geiger Johann Peter Salomon geschrieben, der Haydn 1791 nach dem Tod von Nikolaus Eszterházy nach London geholt hatte. Haydn hat in London ein Konzertleben mit grossbürgerlichem Publikum kennengelernt und überträgt die Erfahrungen, etwa durch Hereinnahme sinfonischer Elemente, auf die Kammermusik. «Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Quartette ‚äusserlich’ geworden wären; sie haben sozusagen zwei Ebenen: eine grossdimensionierte, glänzend virtuose, und eine strukturell-anspruchsvolle, die sich ergänzen» (Wulf Konold). Wie bei vier weiteren dieser Quartette setzt Haydn im B-dur-Quartett an den Anfang eine Art «Vorhang-Auf»-Passage. Sie ist diesmal – im Gegensatz zum op. 71/2, das am 13. November 2018 mit dem Ariel Quartet zu hören war – keine langsame Einleitung, sondern führt im Tempo des Kopfsatzes kadenzmässig in fünf Fortissimo-Akkorden kraftvoll zum Pianoeinsatz des Hauptthemas hin. Seine schöne Melodie vergisst man nicht so schnell, und dadurch fällt einem auch auf, dass das zweite Thema aus ihr abgeleitet ist. Auch das aus Achteln und Achtelpausen gebildete rhythmische Motiv der Einleitung erscheint mehrfach wieder. Das ernste Adagio (F-dur, 6/8-Takt) ist in dreiteiliger Liedform gestaltet, wobei der Mittelteil mit seinem Wechsel von Dur und Moll an die Durchführung eines Sonatensatzes erinnert. Dem ebenfalls einem Sonatensatz angeglichenen Menuett steht ein in kurzen Noten gespieltes Trio in der gleichen Tonart gegenüber. Ein virtuoses, doch nicht allzu übermütiges Vivace-Finale, wiederum – mag die Durchführung auch kurz sein – in Sonatensatz-Form, rundet das Werk ab.
1936 verfasste Schönberg für Schallplattenaufnahmen eine Analyse seiner Streichquartette. Zum ersten bemerkte er: «Danach (nach Verklärte Nacht op. 4 und Pelléas und Mélisande op. 5 [rs]) gab ich die Programmusik auf und wandte mich in eine Richtung, die sehr viel mehr meine eigene war als jede vorher. Es war das Erste Streichquartett, op. 7, in dem ich alle Neuerungen meiner Zeit – einschliesslich meiner eigenen – zusammenfasste. Dazu gehörten: der Aufbau sehr grosser Formen; weitgespannte Melodik über einer reich bewegten Harmonie und neuen Klangschritten; und eine Kontrapunktik, die die Probleme löste, die sich aus den überbürdeten, individualisierten, sich frei in entfernteren Regionen der Tonalität bewegenden und häufig in vagierenden Harmonien zusammenklingenden Stimmen ergeben hatten. In Anpassung an die Überzeugung der Zeit vereinigte diese Grossform alle vier Charaktere der Sonate in einem ununterbrochenen Satz. Durchführungen fehlten nicht, auch eine gewisse thematische Einheit innerhalb der kontrastierenden Abschnitte war erreicht worden. Die grosse Ausdehnung erforderte eine sorgfältige Konstruktion. Es mag vielleicht den Analytiker interessieren zu erfahren, dass ich einen wertvollen Rat erhielt und ausnutzte, den mir ein für diese Aufgabe gewähltes Modell gewährte: der erste Satz der Eroica. Alexander von Zemlinsky erzählte mir, Brahms hätte einmal gesagt, dass er immer, wenn er schwierigen Problemen gegenberstand, ein bedeutendes Werk von Bach und eines von Beethoven um Rat befragte. Natürlich wurde das Modell nicht mechanisch kopiert, sondern sein Geist wurde in sinnvoller Weise angewandt. in derselben Art entnahm ich der Eroicapartitur Lösungen meiner Probleme: wie man Monotonie und Leerlauf ausweicht; wie Verschiedenes aus Einheitlichem geschaffen wird; wie neue Formen aus dem Ausgangsmaterial geschaffen werden; wieviel durch geringfügige Veränderungen erreicht werden kann, wenn nicht durch entwickelnde Variation aus oft ziemlich undeutlichen kleinen Figuren. Von diesem Meisterwerk lernte ich auch viel vom Bau harmonischer Kontraste und ihrer Auflösung.»