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Haydns opus 33 ist das Epochenwerk, in dem das Streichquartett seine erste klassische Verwirklichung gefunden hat, im vollen Sinne des Begriffs.» So charakterisiert Ludwig Finscher dieses Opus. Sein als «Vogelquartett» bekanntes drittes Quartett enthält im Kopfsatz zahlreiche Melodienoten mit Vorschlägen, die man als Vogelrufe deuten kann. Auch in den anderen Sätzen kann man Vogelrufmotive hören, etwa in den Trillern des Trios oder in den wiederholten Terzen im Finale. Sie verleihen dem Werk eine verspielte Heiterkeit. Im 1. Satz tritt das Hauptthema über einer simplen Grundierung wiederholter Achtel in Violine und Viola auf. Im Scherz(and)o legt Haydn alle Stimmen tief an. Im Trio dagegen liegen sie höher, und Haydn lässt nur die beiden Geigen spielen, während die tiefen Stimmen schweigen. Das Adagio ist «der erste ganz affektstarke, auch schmerzlich bewegte Satz des op. 33» (Finscher). Haydn setzt mit zwei lyrisch-kantablen Themen einen ernsthaften Kontrast zum Scherzando. Beide werden zweimal variiert. Da treten auch idyllische Seiten hervor, vor allem in den Schlusstakten. Im C-dur-Finale, erstmals als Rondo bezeichnet, gibt sich das Thema mit fallenden Terzen und Sechzehntelfolgen im selben Tonumfang spielerisch-populär; der B-Teil klingt leicht «all’ongarese».
Das Opus 33 machte gleich Furore. Laut Hartmut Schick war es «das ‚Mass aller Dinge’ am Beginn der Wiener Klassik». Unter diesem Eindruck wandte sich auch Mozart nach beinahe zehn Jahren wieder der Quartettkomposition zu. Die sechs neuen, bei Artaria als «Opera X» erschienenen Quartette hat er Haydn in Privataufführungen vorgeführt und ihm auch gewidmet. Das «Dissonanzen-Quartett» ist wegen der damals auch formal eher ungewohnten langsamen Einleitung in c-moll berühmt, ja berüchtigt. So habe ein italienischer Käufer dem Verleger die Noten mit der Bemerkung zurückgeschickt, sie seien voller Fehler des Stechers. Und der Komponist Giuseppe Sarti (1729-1802) kritisierte sie, weil Mozart wie ein Klavierspieler schreibe, der zwischen Dis und Es nicht unterscheiden könne. Obwohl es lange vor Mozart kühnere harmonische Reibungen gegeben hatte, erregte ihr Auftauchen in einem Streichquartett und der Umstand, dass die Dissonanzen so gar nicht zur Klarheit der folgenden Sätze zu passen schienen, Unmut. Aber vielleicht wollte Mozart genau das, dass einem das C-dur gleich am Beginn des Allegro, wo es mit Leuchtkraft erscheint, stärker bewusst wird. Mark Evan Bonds hat 1993 festgestellt, wie sich Mozart für die Struktur dieser Einleitung an Haydns C-dur-Quartett orientiert hat. Haydns Quartett hat keine eigentliche langsame Einleitung, doch in den Takten 1 bis 18 eine Art implizit einleitender Form, die Mozart nun explizit zu einer Einleitung macht. Mozart hat dabei einzelne Elemente offensichtlich dem Muster nachgestaltet. Auch in den jeweiligen langsamen Sätzen hat Bonds Übereinstimmungen entdeckt, so die jeweils viertaktigen Phrasen zu Beginn, welche durch eine Dreiachtelfigur verbunden werden. Mozart greift also auf Modelle Haydns zurück, gestaltet sie aber nach eigenen Vorstellungen und Bedürfnissen um. Das dürfte Haydn festgestellt und sich darüber gefreut haben, wie seine berühmte Bemerkung zu Leopold Mozart, die dieser im Brief an Nannerl vom 16.2.1785 erwähnt, zeigt: «ich sage ihnen vor gott, als ein ehrlicher Mann, ihr Sohn ist der grösste Componist, den ich von Person und dem Nahmen nach kenne: er hat geschmack, und über das die grösste Compositionswissenschaft.»
Bartóks knappstes, konzentriertestes Quartett war damals das kühnste seiner Werke und durfte als repräsentativ für moderne Musik gelten, selbst im Vergleich mit den Werken des Schönberg-Kreises. Adorno hielt es damals für «fraglos die beste von des Ungarn bisherigen Arbeiten» und bewunderte die «Formkraft des Stückes, die stählerne Konzentration, die ganz originale, aufs genaueste Bartóks aktueller Lage angemessene Tektonik». Die Recapitulazione bildet die Reprise des 1. Satzes, die Coda nimmt, ebenfalls reprisenhaft, Material der Seconda parte wieder auf. Dies ergibt eine ungeheure Geschlossenheit. Dazu kommt, dass die Motive auf zwei oder drei beschränkt sind; aus ihnen wird das gesamte Material des ganzen Werkes abgeleitet. Neu ist vor allem die Lösung von romantischen und vordergründig folkloristischen Anklängen und besonders die in ihren harmonischen Schärfen und in der kontrapunktischen Kompromisslosigkeit noch nie gehörten, dem Streicherklang bisher fremden Farben.
Im Februar und März 1824 war Schubert in einer Art Schaffensrausch «unmenschlich fleissig» (Schwind). Neben dem am 1. März beendeten Oktett kündigt er drei Streichquartette an. Nur das a-moll-Quartett erlebt am 24. März seine Uraufführung und erscheint im Druck. Doch auch das d-moll-Werk muss damals entstanden sein, wird aber erst 1826 geprobt (Schubert nimmt dabei noch Korrekturen vor) und am 1. Februar erstmals aufgeführt. Hat Schubert das düstere Werk – alle vier Sätze stehen in Moll – wegen seiner Kühnheit zurückbehalten? Denn was er im Harmonischen und mehr noch im Ausdruck erreicht, ist selbst im Vergleich mit Beethovens Spätwerk neuartig. Schon in der Wahl der Variationenvorlage ist Todesnähe erkennbar. Das Todesmotiv tritt in Verbindung mit dem für Schubert so typischen Wanderrhythmus des Daktylus: lang-kurz-kurz. Der Tod kommt als Wanderer, Verkörperung von Fremdsein und Ausgeschlossensein (Denken wir an den wandernden Müllerburschen und an den Wanderer der Winterreise!), daher. Im Lied sanft und friedlich (Bin Freund und komme nicht zu strafen...), lange nicht so traurig wie der Leiermann am Ende der Winterreise, zeigen einige Variationen seine gewalttätige Macht. Noch gewaltsamer ist sein Auftritt in der Reiterhektik des Finale, wo plötzlich des Knaben Frage Siehst Vater du den Erlkönig nicht? aufscheint. So endet das Quartett in einer Art Totentanz und erreicht eine existenzielle Ausdruckskraft, die um 1824/26 ebenso schauerlich wirken musste wie die Lieder der Winterreise.