Über Haydns op. 20 sagte einst Donald Tovey: «Mit Opus 20 erreicht die historische Entwicklung von Haydns Quartetten ihren Endpunkt; und weiterer Fortschritt ist nicht Fortschritt in irgendeiner geschichtlichen Bedeutung, sondern schlicht der Unterschied zwischen einem Meisterwerk und dem nächsten.» Man hat im op. 20 aber auch divergente Tendenzen, ja Uneinheitlichkeit im Satztechnischen und Ausdruck festgestellt. Und doch erkennt man den Willen zu formaler Geschlossenheit und zu aparter Klanglichkeit. Als einzige weist diese Sechserserie zudem zwei Quartette in einer Molltonart auf; dazu kommt im 4. Quartett ein Variationensatz in d-moll. Dieses besonders originelle Quartett beginnt mit einem fünffach nur wenig veränderten sechstaktigen Themengedanken – unverkennbar das Klopfmotiv an dessen Beginn – im Piano. Der Variationensatz, der längste Einzelsatz im Quartett und im Opus, teilt das Variieren des in sanfter Marschbewegung gehaltenen Themas einzelnen Instrumenten zu (2. Violine und Bratsche / Cello / 1. Violine), bevor es zur gleichwertigen Beteiligung in der 4. Variation kommt; diese endet in einer emotionsgeladenen Coda von 34 Takten. Das Menuett «alla zingarese» überrascht mit rhythmischen Verschiebungen durch Sforzati, das Trio durch sein Cellosolo. Haydns Hauptaugenmerk liegt im Opus 20 auf den Finali. Bei dreien hat er sich für eine Fuge entschieden. Die andern sprühen von Originalität, ganz besonders das im D-dur-Quartett. Statt einer gewichtigen intellektuellen Fuge steht hier ein leichtes, aber höchst geistreiches Finale, das im Spiel zwischen Scherz und bedeutend sein wollenden Volksmusikelementen Gegensätzliches verbindet. Ist es Zufall, dass Haydn nach diesem originellen, so viel Widersprüchliches vereinigenden Opus fast zehn Jahre wartete, bis er 1782 eine neue Sechserserie veröffentlichte?
Mit dem 1890 komponierten 2. Streichquintett hielt Brahms, noch keine sechzig Jahre alt, sein Schaffen für abgeschlossen. Doch da verliebte er sich noch einmal, diesmal – anders als früher – nicht unglücklich, in eine «junge Dame». Er nannte sie «Fräulein Klarinette». Der Grund für diese späte «Entdeckung» des ihm natürlich längst bekannten Instruments war die Kunst des Soloklarinettisten der Meininger Hofkapelle, Richard Mühlfeld (1856-1907). Brahms hörte ihn im März 1891 und schrieb aus Meiningen an die von ihm viel früher geliebte und inzwischen 71 Jahre alte Clara Schumann: «Man kann nicht schöner die Klarinette blasen, als es der hiesige Mühlfeld tut.» Mühlfeld, dessen Wohnhaus in Meiningen heute als «Ernestiner Hof» ein hübsches Hotel ist, verdanken wir also Brahms’ späten Schaffensschub, bei dem er vor allem für die Klarinette (Trio op. 114/1891, Quintett op. 115/1891, 2 Sonaten op. 120/1894) und für sein eigenes Instrument, das Klavier, die wunderbaren späten Klavierstücke op. 116 bis 119 schrieb. Dazu kommen, nun wirklich als Abschluss des Schaffens, die «Vier ernsten Gesänge» op. 121 (1892 und 1896) und die Orgelvorspiele op. 122. Fast alle diese späten Werke pflegen einen verinnerlichten Ton (den einen oder anderen Ausbruch und gewisse Herbheiten darf es allerdings noch geben) und verbinden Klangschönheit mit Melancholie und einer Art resignativer Heiterkeit. Dies gilt besonders für das Klarinettenquintett, das gegenüber dem Trio freundlicher wirkt, was wohl auch an der Besetzung liegt. Doch kann man hier auch Leidenschaftlichkeit, männliche Kraft, ja Freude hören.
Vielleicht kommt diese Spannung im Gegenpol der beiden
bestimmenden Tonarten h-moll und D-dur zum Ausdruck. Brahms arbeitet hier besonders stark mit der «entwickelnden Variation», die Schönberg bei ihm so sehr bewunderte. Die Themen werden variierend entwickelt; so greift etwa das Finale, nun ein echter Variationensatz, auf den 3. Satz (ein Andantino statt einem Scherzo) zurück und führt ihn in Abwandlungen weiter. Ganz zum Schluss greift Brahms zurück auf den Beginn des Werkes mit seinem viertaktigen «Motto» aus zwei Motiven, aus denen alle Themen des Werks abgeleitet sind. Der Tod hatte für Brahms, wie schon das viel frühere «Deutsche Requiem» (1868) zeigt, offensichtlich nichts
Schreckhaftes. Die vielleicht
letzten von ihm komponierten Töne galten in den «Vier
ernsten Gesängen» den Worten: «Nun aber bleibet
Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei, aber die Liebe ist die
grösste unter ihnen.» In Ausdruck und Kantilene sind sie manchen Stellen im Quintett ähnlich. Es war wohl tatsächlich diese letzte Liebe zum «Fräulein Klarinette», welche diese Spätblüte möglich machte.