Konzerte Saison 1969-1970

  • 3.2.1970
  • 20:15
  • 44.Saison
Stadtcasino, Festsaal

Smetana-Quartett (Prag)

Unzählige Briefe (man vermutet zwischen 600 und 2000) hat Janáček zwischen 1917 und 1928 an seine „ferne Geliebte“ Kamila Stösslová, die 38 Jahre jünger war als er, geschrieben. Sie war für ihn Befreierin und Anregerin für sein grandioses Spätwerk, an dessen Ende das 2. Streichquartett steht (es wurde vier Wochen nach seinem Tod am 11. September 1928 uraufgeführt). Eben dieses Quartett ist gewiss der schönste dieser Briefe. Es thematisiert – wie schon das erste („Kreutzersonate“) – die Liebe. Im Februar 1928 schrieb Janáček an Kamila: „Jetzt habe ich begonnen, etwas Schönes zu schreiben. Unser Leben wird darin enthalten sein. Es soll «Liebesbriefe» heissen. Ich glaube, es wird reizend klingen. Wir hatten ja genug Erlebnisse!“ Doch bald darauf ändert er den Titel in Intime Briefe, da man seine „Gefühle nicht Dummköpfen preisgibt“, und ersetzt gleichzeitig die vorgesehene Viola d’amour durch die gewöhnliche Bratsche. Was äusserlich an den ständig wechselnden Tempobezeichnungen ablesbar ist, gilt generell für Janáčeks Kompositionsstil. Er entwickelt nicht Themen oder gar Melodien verarbeitend zu einem klassisch-romantischen Satzgebilde, sondern reiht in oft hartem Schnitt Motive oder aus solchen gebildete Phrasen aneinander. Diese sind von tiefem emotionalem Gehalt erfüllt; sobald er ausgeschöpft ist, wird ein Wechsel vollzogen. Dies führt zu starken Kontrasten, wie es gleich zu Beginn des Quartetts zu erleben ist: Aus dem Kern der beiden Phrasen ist letztlich der ganze Satz gereiht. Der Brünner Musikschriftsteller Ludvik Kundera schildert Janáčeks Arbeitsweise folgendermassen: „Janáček hämmerte so laut, als es überhaupt möglich war, (...) mit den Fingern immer wieder ein und dasselbe Motiv von ein paar Tönen aus dem Klavier hervor. (...) Er wiederholte das Motiv mehrere Male rundum, entweder in unveränderter Gestalt oder zuweilen mit einer kleinen Abänderung. Aus der Verve, mit der er spielte, war herauszufühlen, wie stark er von dem Gefühlsgehalt des Motivs erregt und hingerissen wurde. (...) Bei diesem Beginnen komponierte er nicht – er wollte sich nur durch das ständige Wiederholen eines kleinen Motivs in eine bestimmte Stimmung versetzen, um dann ohne Klavier das zum überwiegenden Teil aus diesem Motiv aufgebaute Tonwerk in fieberhafter Hast unmittelbar aufs Papier zu werfen.“
Beethovens letzte vollendete vollständige Komposition ist das Quartett op. 135. Es entstand im Sommer und im Frühherbst 1826 in zwei Schaffensphasen. Nach den drei monumentalen Werken op. 130, 131 und 132 wirkt es wie eine Rückkehr zu Tradition und Gewohntem, gerade auch in der Rückkehr zur traditionellen Viersätzigkeit. Man glaubt sich, wie bei der 8. Sinfonie (1809 bis 1812), ebenfalls in F-dur, zeitweise, wenn auch nur scheinbar, in Haydns Welt zurückversetzt. Trotz der grösseren Zugänglichkeit und trotz der Kürze ist op. 135 ein echtes spätes Beethoven-Quartett mit überraschenden Brüchen und Wechseln. Schon der Beginn des Sonatensatzes mit dem kurzen Bratschenmotiv, auf welches die anderen Instrumente reagieren, ist raffiniert, wirkt aber natürlich und leicht. Das wieder von fünf auf drei Teile reduzierte Scherzo ist wohl der modernste Satz. Höhepunkt des Werkes ist das nur 54 Takte lange Lento assai in Des-dur. Erst mit der Zeit wird einem bewusst, dass es sich um einen Variationensatz mit vier bezeichnenderweise nicht speziell gekennzeichneten Variationen über ein zehntaktiges Thema handelt. Ein wahrer Abgesang, der in der Stimmung, vor allem in der Schlussvariation mit dem Verklingen im pianissimo zu den Schlüssen langsamer Bruckner-Sätze (8. oder 9. Sinfonie) hinführt. Beethoven hat offenbar zunächst nur drei Sätze geplant, sich aber vom Verleger Schlesinger zu vier «verführen» lassen. Hat nicht da das rätselhafte «Muss es sein?» und die Allegro-Antwort «Es muss sein!» der damals ungewohnten Einleitung zum Finale seine Ursache? Dass sich Beethoven hier einen Scherz erlaubt hat, ist wenig wahrscheinlich. Man hat behauptet, der nachkomponierte Satz sei das Lento – dann aber wäre ein Zusammenhang mit dem «Muss es sein?» unmöglich. Peter Gülke (vgl. Konzertvorschau 11. März 2013) plädiert dafür, es sei der 4. Satz gewesen – und in diesem Fall wäre die Einleitung genial und erst noch biographisch wie musikalisch begründet. Das Motiv der Frage (Muss es sein?) und die Antwort (Es muss sein!) stehen sich konträr gegenüber: Zuerst folgt auf eine fallende Terz eine aufsteigende Quart, in der Antwort ist es umgekehrt. Auch rhythmisch und im Tempo ist das Motiv, dem Sprachlichen angeglichen, verändert: Frage (Grave) lang – kurz – lang, Antwort (Allegro alla breve) kurz – lang – lang. Aus der Antwortversion des Motivs entwickelt Beethoven den Gang des Allegro; sie ist bis zum Schluss bestimmend, auch wenn die Frageversion nochmals auftaucht. Gülke verweist auf einen Parallelfall: Hatte nicht bei der letzten Klaviersonate op. 111 (1821/22) der gleiche Verleger nach der Arietta (Adagio molto) mit ihren allerdings umfangreicheren Variationen ein Finale erwartet, dort aber nicht erhalten? Warum aber Beethoven beim letzten Quartett dem Drängen Schlesingers nachgegeben hat, ist kein Rätsel – der Grund war das Geld!

Antonín Dvorák 1841-1904

Terzett für zwei Violinen und Viola, C-dur, op. 74, B 148 (1889)
Introduzione: Allegro ma non troppo
Larghetto
Scherzo: Vivace
Tema con variazioni: Poco adagio – Molto allegro

Leoš Janácek 1854-1928

Streichquartett Nr. 2 «Intime Briefe» (1928)
Andante – Allegro
Adagio
Moderato
Allegro

Ludwig van Beethoven 1770-1827

Streichquartett Nr. 16, F-dur, op. 135 (1826)
Allegretto
Vivace
Lento assai e cantante tranquillo
Der schwer gefasste Entschluss: «Muss es sein?» Grave, ma non troppo tratto –
«Es muss sein!» Allegro