Nicht lange nach den sechs Quartetten op. 50 von 1787 liess Haydn diesen eine neue Sechsergruppe folgen; sie wurde allerdings auf zwei Opusnummern aufgeteilt (opp. 54 und 55). Das C-dur Quartett op. 54/2 fällt durch mehrere Eigenheiten und besondere Qualitäten, insbesondere durch den originellen Schlusssatz auf. Welcher Komponist ausser Haydn hätte es damals gewagt, ein Quartett mit einem Adagio zu beenden? Nicht nur dies verleiht dem Werk besondere Bedeutung. Die mit der Bestimmung für den Geiger Johann Tost erklärbare Virtuosität der ersten Violine verbindet sich mit Beschwingtheit, Melodienreichtum, erlesener Feinheit der satztechnischen Arbeit und mit formaler Originalität. Kühne Akzente bestimmen den ersten Satz, der zudem durch neuartige harmonische Gestaltung überrascht. Schon das Hauptthema, welches in der Regel sein C-dur bekräftigen sollte, wechselt gleich nach G-dur, As-dur und a-moll. Das c-moll-Adagio in seiner improvisatorischen Form wird von geradezu meditativem Fortspinnen des musikalischen Gedankens in der ersten Violine bestimmt. Wie in op. 20/2 schliesst das Menuett eher ungewohnt attacca an. Das Trio, wiederum in c-moll, überrascht: Nicht pastorale Heiterkeit oder ein ländlicher Tanz, sondern beklemmende, geradezu schmerzerfüllte Klagen werden laut. Und dann folgt das einmalige Finale. Wer es nicht kennt, glaubt zunächst, eine langsame Einleitung zu hören. Doch dann beginnt die erste Violine ausgiebig eines der schönsten langsamen Themen Haydns zu singen und zu umspielen. Ist das nun der Hauptteil des Satzes? Doch Haydn wäre nicht Haydn, würde er uns nicht weiterhin überraschen. So folgt dann doch noch mit einem federnd leichten Presto der erwartete Finalkehraus – aber auch da täuscht man sich: Der Spass dauert keine Minute, dann kehrt der Gesang des Adagio zurück und lässt das originelle Werk leise ausklingen.
Auch
Bartóks 5. Quartett ist mit den USA verbunden. Es entstand sechs Jahre nach dem vierten als Auftrag der amerikanischen Mäzenin Elizabeth Sprague Coolidge (1864-1953) in nur vier Wochen im August/September des Jahres 1934. Für Bartók, der oft lange um ein Werk rang, ist das auffallend kurz. Auf Wunsch der Auftraggeberin spielte das Kolisch Quartett, zugleich Widmungsträger, die Uraufführung am 8. April 1935 in Washington. Mit dem 4. Quartett hat es die äussere Form – man hat sie Bogen- oder Brückenform genannt – gemeinsam: Vier Sätze legen sich, was Tempo, Charakter, Dauer und weitere Gesichtspunkte betrifft, symmetrisch um einen zentralen Satz herum. Beim Vorgänger war das ein langsames Stück (Non troppo lento), um das zwei Scherzi stehen; beide Aussensätze hatten ein rasches Tempo. Im 5. Quartett geht Bartók punkto Symmetrieachse noch etwas weiter, wird diese doch vom Trio (Vivacissimo) eines Scherzos in der Mitte des ganzen Werks gebildet. Dieser Mittelsatz ist kein rein heiteres oder heftiges Scherzo, sondern wirkt gelegentlich geradezu verspielt. Ebenso wenig bilden, wie die Bezeichnung alla bulgarese andeuten könnte, bulgarische Melodien das Material. Bartók bezieht die Bezeichnung auf die Rhythmik mit ungleichmässigen, ständig wechselnden Metren. Im con sordino zu spielenden Trio etwa ist die Taktform mit 3+2+2+3/8 angegeben. Auch die übrigen Sätze nehmen die Bogenform auf, einerseits im Rückgriff auf den «Spiegelsatz», andererseits auch im Satzinnern. So treten im Kopfsatz in Sonatenform mit drei Themen in der Reprise die Teile rückläufig auf. Seine Themen werden im Schlusssatz wieder aufgegriffen und verarbeitet. In dessen Mittelteil steht eine Fuge. Die beiden den Mittelsatz rahmenden langsamen Sätze hängen insofern zusammen, als das Andante das Thema des Adagio frei aufnimmt und weiterentwickelt, wie auch im Scherzo die Reprise eine Variante des ersten Teils ist. Kommt dazu, dass das Werk Elemente der ‚klassisch-ernsten’ Musik und der Volksmusik harmonisch verbindet. Auch wenn, vor allem im ersten Satz, das Heftige nicht zu kurz kommt, wirkt das Stück eher heiter und transparent.
Beethovens letzte vollendete vollständige Komposition ist das Quartett op. 135. Es entstand im Sommer und im Frühherbst 1826 in zwei Schaffensphasen. Nach den drei monumentalen Werken op. 130, 131 und 132 wirkt es wie eine Rückkehr zu Tradition und Gewohntem, gerade auch in der Rückkehr zur traditionellen Viersätzigkeit. Man glaubt sich, wie bei der 8. Sinfonie (1809 bis 1812), ebenfalls in F-dur, zeitweise, wenn auch nur scheinbar, in Haydns Welt zurückversetzt. Trotz der grösseren Zugänglichkeit und trotz der Kürze ist op. 135 ein echtes spätes Beethoven-Quartett mit überraschenden Brüchen und Wechseln. Schon der Beginn des Sonatensatzes mit dem kurzen Bratschenmotiv, auf welches die anderen Instrumente reagieren, ist raffiniert, wirkt aber natürlich und leicht. Das wieder von fünf auf drei Teile reduzierte Scherzo ist wohl der modernste Satz. Höhepunkt des Werkes ist das nur 54 Takte lange Lento assai in Des-dur. Erst mit der Zeit wird einem bewusst, dass es sich um einen Variationensatz mit vier bezeichnenderweise nicht speziell gekennzeichneten Variationen über ein zehntaktiges Thema handelt. Ein wahrer Abgesang, der in der Stimmung, vor allem in der Schlussvariation mit dem Verklingen im pianissimo zu den Schlüssen langsamer Bruckner-Sätze (8. oder 9. Sinfonie) hinführt. Beethoven hat offenbar zunächst nur drei Sätze geplant, sich aber vom Verleger Schlesinger zu vier «verführen» lassen. Hat nicht da das rätselhafte «Muss es sein?» und die Allegro-Antwort «Es muss sein!» der damals ungewohnten Einleitung zum Finale seine Ursache? Dass sich Beethoven hier einen Scherz erlaubt hat, ist wenig wahrscheinlich. Man hat behauptet, der nachkomponierte Satz sei das Lento – dann aber wäre ein Zusammenhang mit dem «Muss es sein?» unmöglich. Peter Gülke (vgl. Konzertvorschau 11. März 2013) plädiert dafür, es sei der 4. Satz gewesen – und in diesem Fall wäre die Einleitung genial und erst noch biographisch wie musikalisch begründet. Das Motiv der Frage (Muss es sein?) und die Antwort (Es muss sein!) stehen sich konträr gegenüber: Zuerst folgt auf eine fallende Terz eine aufsteigende Quart, in der Antwort ist es umgekehrt. Auch rhythmisch und im Tempo ist das Motiv, dem Sprachlichen angeglichen, verändert: Frage (Grave) lang – kurz – lang, Antwort (Allegro alla breve) kurz – lang – lang. Aus der Antwortversion des Motivs entwickelt Beethoven den Gang des Allegro; sie ist bis zum Schluss bestimmend, auch wenn die Frageversion nochmals auftaucht. Gülke verweist auf einen Parallelfall: Hatte nicht bei der letzten Klaviersonate op. 111 (1821/22) der gleiche Verleger nach der Arietta (Adagio molto) mit ihren allerdings umfangreicheren Variationen ein Finale erwartet, dort aber nicht erhalten? Warum aber Beethoven beim letzten Quartett dem Drängen Schlesingers nachgegeben hat, ist kein Rätsel – der Grund war das Geld!